"Genetischer Beifang": Wiener Expertin mahnt zu Schutz vor Missbrauch
Werden heute im Rahmen von wissenschaftlichen Untersuchungen Proben entnommen, kann daraus mit neuen genetischen Methoden viel Erbgut-Information gefiltert werden. In einer Studie im Fachblatt "Nature Ecology & Evolution" zeigt ein Team um Forscher von der University of Florida (USA), dass sich darin auch menschliche DNA in erstaunlich hoher Qualität finden lässt. Das könne in Zukunft auch missbräuchliche Verwendungsmöglichkeiten eröffnen, für die es noch kaum Handhabe gibt.
In der Hollywood-Gentechnologie-Dystopie "Gattaca" aus dem Jahr 1997 ist es absolut normal, mehr oder weniger überall nach DNA-Spuren zu suchen und daraus in Sekundenschnelle das Tun und Lassen ihrer Hinterlasser zu rekonstruieren. Was Ende der 1990er-Jahre noch weit in der Zukunft zu liegen schien, ist durch die spektakulären technischen Fortschritte im Auffinden und Analysieren von Geninformationen der vergangenen rund 20 Jahre deutlich näher gerückt.
Geninformationen in Umweltproben
So kann nun etwa - genügend Know-how und technische Ressourcen vorausgesetzt - in aus der Umwelt entnommenen Proben viel darüber gesagt werden, welche Mikroorganismen, Tiere oder Pflanzen sich an einem Ort befinden oder einst befanden. Das bringt in der Archäologie, verschiedensten Bereichen der Lebens- und Umweltwissenschaften oder der Kriminalistik ungeheure neue Möglichkeiten mit sich.
Die Wissenschafter um David Duffy suchten nun gezielt nach menschlicher DNA in diversen Proben, die in Gewässern, an Stränden, auf Bergen oder aus der Luft in Gesundheitseinrichtungen genommen wurden. "Wir waren durchgehend überrascht darüber, wie viel menschliches Erbgut wir fanden und wie gut die Qualität war. In den meisten Fällen war die Erbinformation annähernd so brauchbar, wie wenn sie direkt von einer Person entnommen wurde", so Duffy in einer Aussendung der US-Uni.
Auch menschliches Erbgut in Proben
Das rücke auch neue ethische Fragestellungen in den Fokus - nämlich wenn es möglich ist, aus einem in einer Probe ausfindig gemachten umfassenden Genpool tatsächlich auf einzelne, womöglich unfreiwillige DNA-Spender rückzuschließen. Dass das ginge, zeigten die Forscher im Rahmen ihrer Studie, indem sie Informationen aus Proben mit dem Erbgut Freiwilliger verglichen, die sich zuvor an den Orten aufgehalten hatten.
Derartiger "genetischer Beifang" von Tieren sei zwar bereits in mehreren Analysen aufgetaucht. "Für menschliche DNA war es bisher nicht dokumentiert gewesen", so Barbara Prainsack vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien in einem Statement zu der US-Studie gegenüber dem deutschen Science Media Center (SMC).
Referenz-Erbinformation zur Identifizierung nötig
Um jedoch einzelne Menschen zu identifizieren braucht es - wie in dem Teil der Studie mit den freiwilligen DNA-Spendern - Datenbanken, in denen die Referenz-Erbinformation dieser Personen bereits enthalten ist. Die technischen Möglichkeiten, derartige Sammlungen aufzubauen, werden sich künftig jedenfalls weiter verbessern.
"Neben den positiven Möglichkeiten, die die Technologie schafft, gilt es daher, sicherzustellen, dass Menschen vor missbräuchlicher Verwendung dieser Technologie geschützt werden. Einerseits müssen einzelne Personen davor geschützt sein, dass ihre DNA-Information ohne ihre Zustimmung und ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung von anderen verwendet wird. Andererseits müssen auch ganze Gruppen wie Minderheiten vor missbräuchlicher Verwendung genetischer Information geschützt werden", so Prainsack.
So sei es etwa Usus, in wissenschaftlichen Studien gewonnene Gensequenzen öffentlich zugänglich zu machen. "Das heißt aber auch, dass man menschliche Erbinformation aussortieren müsste", um zu vermeiden, dass jemand DNA-Information einfach sammelt, so Duffy. Hier stellen sich einige Fragen rund um das Einholen von Einverständnis oder zum Aussieben von eventuell heiklen Gen-Informationen.
Denke man all das weiter, befinde man sich auf einer schmalen Gratwanderung zwischen Regulation und wissenschaftlicher Innovation: "Das Ziel kann hierbei allerdings nicht sein, jegliche Umweltforschung, bei der es denkbar ist, dass menschliche DNA zufällig mit analysiert wird, als Forschung am Menschen zu qualifizieren und genau denselben forschungsethischen Vorgaben zu unterwerfen", so Prainsack.
Schützenswerte Daten
Sie plädiert dafür, vor allem dann Überlegungen anzustellen, wo an Orten Proben entnommen werden, an denen sich regelmäßig Menschen aufhalten. Insgesamt zeige die neue Untersuchung auch, dass man sich von der Idee verabschieden wird müssen, "dass menschliche Daten nur dann besonderem Schutz unterliegen, wenn es sich um personenbezogene Daten (im rechtlichen Sinne) handelt", so die Wiener Forscherin, die auch Mitglied der österreichischen Bioethikkommission ist.
Service: https://doi.org/10.1038/s41559-023-02056-2