Kreiskys Nahost-Politik
Die Außenpolitik und dabei insbesondere die Nahostpolitik waren ein zentrales Betätigungsfeld von Bundeskanzler Bruno Kreisky. Er engagierte sich für die Palästinenser und sympathisierte mit umstrittenen arabischen Staaten, wofür er seitens der österreichischen Opposition kritisiert und seitens Israels angefeindet wurde. Die Beziehungen zu Israel verschlechterten sich unter Kreiskys zusehends. Zwischen 1977 und 1982 herrschte politische Eiszeit zwischen Israel und Österreich.
GEISELNAHME JÜDISCHER AUSWANDERER IN ÖSTERREICH
Am 28. September 1973 überfielen Palästinenser einen aus der UdSSR kommenden Zug mit 37 nach Israel auswandernden Juden in der Grenzstation Marchegg und schlugen sich mit drei Juden und einem österreichischen Zöllner als Geiseln zum Flughafen Schwechat durch. Bei Verhandlungen mit Unterstützung der Botschaften des Irak, des Libanon und Libyens erklärte sich Kreisky bereit, das Transitlager Schönau zu schließen. Am 29. September wurden die Terroristen, die die Geiseln freigelassen hatten, nach Tripolis geflogen. Trotz Protesten seitens Israels blieb das Transitlager geschlossen.
ERKUNDUNGSMISSIONEN IM NAHEN OSTEN
Auf dem Höhepunkt des Konfliktes zwischen Israel und den arabischen Nachbarländern im Zuge des "Jom Kippur-Kriegs" zwischen Ägypten und Syrien gegen Israel organisierten im November 1973 Vertreter der Sozialistischen Internationale in London eine Konferenz zur Lage im Nahen Osten. Neben Kreisky waren u.a. die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir und der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt gekommen.
Kreisky sprach sich dafür aus, dass Europa eine Rolle im Nahen Osten spielen sollte und befürwortete die Schaffung eines Palästinenserstaates. Er erneuerte seinen sechs Jahre alten Vorschlag einer Erkundungsmission ("Fact-Finding-Mission"), um zu prüfen, ob es überhaupt Voraussetzungen für die friedliche Lösung des Nahostkonflikts gebe.
Im Jänner 1974 wurde Kreisky zum Delegationsleiter der Sozialistischen Internationalen im Nahen Osten ernannt. Kreisky sah dies als ersten formellen Versuch der Sozialistischen Internationalen, mit den arabischen Staaten in direkten Kontakt zu treten. Das Nahostproblem müsse mit arabischen Augen betrachtet werden, erklärte der österreichische Bundeskanzler. Er betonte, es handle sich um keine Vermittlungsmission, sondern es gehe darum, "von den arabischen Führern Informationen zu erhalten", um festzustellen, welche Bedingungen für eine Nahost-Lösung nötig seien.
Die erste Mission führte Mitte März 1974 nach Ägypten, Syrien und Israel, wobei Kreisky am 11. März in Ägypten auch mit Palästinenserchef Jassir Arafat zusammentraf. Kreisky erklärte im Anschluss an die Mission, das zwischen Israel und Ägypten abgeschlossene Entflechtungsabkommen sei perfekt durchgeführt worden. Schwieriger war laut Kreisky die Situation in Syrien. Das schwierigste Problem im Nahen Osten war für Kreisky die Palästinenserfrage.
Die zweite Nahostmission führte Kreisky im Februar 1975 nach Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen. Der libysche Staatschef Gaddafi zeigte dabei laut Kreisky am wenigsten Verhandlungsbereitschaft.
Bei der dritten und letzten Fact-Finding-Mission 1976 besuchte Kreisky Kuwait, den Irak, Jordanien, Saudiarabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Die wichtigste Erkenntnis der dritten Nahost-Mission war laut Kreisky die Bereitschaft der arabischen Staaten zur Anerkennung Israels im Falle einer Verständigung. Die arabischen Staaten würden allerdings eine Rückgabe der im Krieg von Israel eroberten Gebiete fordern, so Kreisky.
SADAT UND PERES IN ÖSTERREICH
Mit keinem anderen Staatsmann der arabischen Welt hatte Kreisky so enge Kontakte gepflogen wie mit dem ägyptischen Staatsoberhaupt Anwar el Sadat. 1974 traf Kreisky Sadat in Ägypten, 1975, 1976 und 1978 kam Sadat nach Wien.
Kreisky brachte Sadat am 11. Februar 1978 auch erstmals den damaligen israelischen Oppositionsführer und Vorsitzenden der israelischen Arbeiterpartei, Shimon Peres, zusammen. Ergebnis des Treffens in Salzburg war eine Einladung für Peres nach Ägypten. Die positive Atmosphäre des Gesprächs wurde beiderseits gelobt.
Einen Tag später fand in der Wiener Hofburg eine eintägige Nahostkonferenz statt, an der Vertreter von 20 sozialistischen Parteien aus der ganzen Welt teilnahmen. Im Mittelpunkt standen die Ergebnisse der drei Erkundungsmissionen von 1974, 1975 und 1976 sowie das Treffen zwischen Sadat und Peres.
Im Juli 1978 kam es zu einem weiteren Treffen zwischen Kreisky, Peres und Sadat in Wien, an dem auch Willy Brandt teilnahm. Der israelische Außenminister Mosche Dajan sprach sich gegen das Treffen aus, da Gespräche auf Regierungsebene durchgeführt werden sollten.
ARAFAT IN WIEN
Im Juli 1979 organisierte Kreisky in Wien ein Treffen mit Jassir Arafat und dem Präsidenten der Sozialistischen Internationale, Willy Brandt, um über Möglichkeiten einer friedlichen Lösung des Nahostproblems zu diskutieren. Bei diesem Anlass bewegte sich der PLO-Chef zum ersten Mal auf westlich-demokratischem Parkett. Arafat lehnte Verhandlungen mit Israel ab und erklärte, dass die Friedensvereinbarungen Ägyptens und Israels von Camp David 1978 die Genfer Nahost-Friedenskonferenz "umgebracht" hätten. Kreisky, Brandt und Arafat zeigten sich einig, dass es ohne Bereinigung der Palästinenserfrage keine gerechte und zufriedenstellende Lösung im Nahen Osten geben könne und die Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten ein schweres Hindernis für den Frieden sei. Kreisky begründete sein besonderes Interesse an der Palästinenserfrage mit den eigenen Erfahrungen aus der Exilzeit in Schweden. Während Ägypten das Treffen begrüßte, kritisierte Israel die Gespräche aufs Schärfste. Peres bezeichnete die Gespräche als schädigend für den Frieden, da mit Terroristen überhaupt nicht verhandelt werden sollte. Der israelische Premierminister Menachem Begin bezeichnete Kreisky als "jüdischen Verräter". Nach den Worten Kreiskys hingegen hatte Arafat den Terror in Europa beendet. Die PLO sei für den OPEC-Überfall in Wien und die Geiselaffäre in Schwechat nicht verantwortlich, so der Bundeskanzler.
Österreich erkannte schließlich am 11. März 1980 als erster westlicher Staat in Europa die PLO an. Die bilateralen Beziehungen zwischen Israel und Österreich erreichten einen Tiefpunkt.
GADDAFI IN WIEN
Am 10. März 1982 kam der umstrittene Revolutionsführer Muammar el Gaddafi zu einem viertägigen Staatsbesuch nach Österreich. Es handelte sich um den ersten offiziellen Besuch in einem westlichen Staat seit über zehn Jahren. Sowohl Gaddafi als auch Kreisky bezeichneten das Treffen als Erfolg. Übereinstimmung gab es in den Auffassungen zum Nahostkonflikt und insbesondere dessen Kernproblem, der palästinensischen Frage.
Die Opposition in Österreich übte scharfe Kritik am Gaddafi-Besuch und stellte eine Dringliche Anfrage im Parlament. Innenminister Erwin Lanc wies die vielen Behauptungen, dass Libyen den internationalen Terrorismus unterstütze, als unzutreffend oder zumindest unbewiesen zurück. Heftige Kritik am Besuch des Revolutionsführers in Wien übte auch die israelische Presse.