"Ein Plädoyer für die Terra Sigillata"
Die Auszeichnung zur "Wissenschafterin des Jahres 2011" ereilte mich völlig überraschend. Weder wusste ich von meiner Nominierung, noch, dass eine solche Wahl überhaupt anstand. Erreicht hat mich die Nachricht in Kairo an der Zweigstelle des Österreichischen Archäologischen Instituts, einer – Dank sei der österreichischen Beamtensprache! – wissenschaftlichen Anstalt und nachgeordneten Dienststelle des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung, der ich als Direktorin vorstehe.
Die ersten Wochen waren naturgemäß sehr turbulent mit zahlreichen Einladungen, Interviews und anderen öffentlichkeitswirksamen Terminen. Ich habe von Anfang an versucht, meine Auszeichnung als Signal für die Geisteswissenschaften und speziell natürlich für die Archäologie zu werten und auch in diesem Sinne zu kommunizieren. Darüber hinaus war es für mich persönlich die Bestätigung eines nicht unumstrittenen Wegs. Bekanntlich – und das sei voran gestellt – habe ich diesen Preis für mein Bemühen um Wissenschaftskommunikation bekommen und nicht meiner wissenschaftlichen Leistungen wegen.
Manche wurden hinter vorgehaltener Hand sicherlich nicht müde, auf diesen feinen Unterschied beharrlich hinzuweisen. Denn noch immer wird Öffentlichkeitsarbeit gerade in den Geisteswissenschaften argwöhnisch betrachtet und jedes Wort auf die Waagschale gelegt. Notwendige erklärende Vereinfachungen, aktualitätsbezogene Vergleiche werden unter Fachkollegen gerne kopfschüttelnd als simplifizierende Verallgemeinerungen und sogar bisweilen als unseriöse Behauptungen abgetan. Schnell ist man mit Begriffen wie Oberflächlichkeit, Geltungsdrang und Ausverkauf zur Hand, ohne das Ziel von Wissenschaftsvermittlung tatsächlich zu reflektieren. Da bleibt man schon viel lieber akademisch unter sich und beklagt stundenlang das wissenschaftsfeindliche Klima und die unzureichende Finanzierung der Grundlagenforschung. Beides – eine fehlende Wissenschaftskultur und die notorische Unterfinanzierung unserer Forschungen – ist Realität.
Aber wie gehen wir, die Betroffenen, mit dieser Realität um? Und wer ist eigentlich das Publikum, an das zu wenden es sich angeblich nicht lohnt? Ist es nicht ein Paradoxon, einerseits die gesellschaftliche Relevanz geisteswissenschaftlicher Forschung einzufordern, andererseits die Gesellschaft selbst nur widerwillig über die Forschungsergebnisse zu informieren? Forschung als Lebenskonzept muss kommuniziert werden, um Akzeptanz zu finden und Vorbildcharakter zu erlangen. Wir beklagen das geringe Geschichtsbewusstsein jüngerer Generationen, verabsäumen es aber, die Jugend im Rahmen von Präsentationen in Schulen für unsere Disziplinen zu gewinnen. Immer wieder erlebe ich auf Ausgrabungen Kollegen, die sich über Reiseführer und deren, zum Teil fantasievollen Geschichten in beinahe unerträglicher Arroganz lustig machen. Auf den Gedanken, sie mit Informationen aus erster Hand zu versorgen und somit den Besichtigungen Aktualität und Substanz zu geben, kommen nur wenige.
Noch verpönter sind Sponsoren, gelten sie doch nicht nur als humanistisch ungebildet und mäßig intellektuell, sondern zudem als Macht besessene Menschen, deren einziges Ziel die Übernahme und betriebswirtschaftliche Führung geisteswissenschaftlicher Projekte zu sein scheint. Warum sollte sich sonst ein CEO eines großen Unternehmens für Archäologie interessieren? Doch einzig und allein nur, um zuerst eine wahnwitzige und von der Wirtschaft diktierte Forschungsstrategie kompromisslos umzusetzen und in letzter Konsequenz – darüber besteht überhaupt kein Zweifel – die ganze Sache zu ruinieren und abzuschaffen.
Gegen diese globalen Gefahren muten das Argument des Steuerzahlers und sein Recht auf Information über die Verwendung öffentlicher Gelder geradezu harmlos an. Trotzdem werden populärwissenschaftliche Vorträge nicht als Chance für direkte Wissenschaftsvermittlung, sondern als notwendiges Übel betrachtet, da sie Zeit stehlen; jene Zeit, die man doch viel lieber für das Verfassen tatsächlicher wissenschaftlicher Abhandlungen aufwenden möchte. Bei populärwissenschaftlichen Büchern lohnt es sich, immer wieder darauf hinzuweisen, dass man an ihnen nichts verdient. So behalten sie zumindest einen gewissen Wert.
Und dann gibt es da auch noch die Medien! Wissenschaftsjournalisten begegnet man grundsätzlich skeptisch, handelt es sich doch um verkappte oder gescheiterte Wissenschafter. Daher traut man ihnen kaum zu, komplexe Sachverhalte wirklich zu durchdringen und sachgemäß wiederzugeben. Boulevardjournalisten sind sowieso ein absolutes No-Go. Getoppt wird das Ganze nur durch Verwaltungsarbeit. Dort einmal angekommen, ist man sich des Schimpfworts als wissenschaftlicher Sondermüll, genauer gesagt als Wissenschaftsmanager, sicher. Römische Sigillata versus Überstundenkontingent – wer würde sich da nicht für die Forschung entscheiden? Die Frage, warum solche Führungspositionen dann allerdings dermaßen umkämpft sind, konnte mir bislang niemand befriedigend beantworten.
Archäologie übt auf mich noch immer eine große Faszination aus. Ich betrachte es als Privileg, meine Passion zum Beruf gemacht zu haben und die archäologische Grundlagenforschung in einem europäischen Kontext maßgeblich weiter entwickeln zu können. Das letzte Jahr hat mir aber auch gezeigt, wie gewaltig das Interesse an unserem Fach wirklich ist und welch breiter Konsens über die Notwendigkeit geistes- und kulturwissenschaftlicher Forschung in Österreich besteht. Ein Konsens, den man übrigens bei Entscheidungsträgern und deren ausführenden Organen zuweilen vermisst. Vielleicht lohnt sich auch hier eine Kommunikationsoffensive. Zumindest versuchen sollten wir es!