"Ungefragt vor den Vorhang"
Es soll ja Wissenschafter geben, die Anfang Oktober vor der Bekanntgabe der Nobelpreise hoffnungsfroh vor dem Telefon warten. Ob dies kurz vor Weihnachten, wenn die Mitglieder des Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten alljährlich den "Wissenschafter des Jahres" wählen, auch der Fall ist, ist nicht überliefert. Bisher hat sich aber noch jeder bzw. jede der 20 Wissenschafter und Wissenschafterinnen des Jahres erfreut über die Auszeichnung gezeigt - auch wenn sie weder mit Geld verbunden ist, noch einen Karriereschub bedeutet und stattdessen viel Zeit für Interviews, Medienauftritte, Vorträge etc. kostet.
Das Einzige, das der Klub neben einer Skulptur mit Gravur zu bieten hat, sind die "legendären ’15 minutes of fame’ in Form medialer Aufmerksamkeit", wie es Klub-Vorsitzender Oliver Lehmann bei der Verleihung des „Wissenschafter des Jahres 2012“ an den Ökologen Georg Grabherr formuliert hat. Diese 15 Minuten haben es aber offensichtlich in sich, wie die Reaktion Grabherrs eine Woche nach der Verleihung deutlich machte: Er zeigte sich "tief beeindruckt von der Intensität der Reaktionen, den Gratulationen, teils aus unerwarteten Ecken“.
Dabei ging es den Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten ursprünglich gar nicht darum, mit Ruhm herumzukleckern, als sie Anfang 1995 mit dem Innsbrucker Alternsforscher Georg Wick den ersten "Wissenschafter des Jahres" kürten. In einer Zeit, als Professoren noch auflegten, wenn Journalisten anriefen, und man als Journalist in Vorlesungsverzeichnissen blätternd nach Experten suchte, sollte vielmehr öffentlich ein kleines Dankeschön gesagt werden. Und zwar an Forscher, die sich besonders darum bemühten, ihre Arbeit und ihr Fach einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln.
Es war auch der Versuch eines Winks mit dem Zaunpfahl: "Seht doch her, liebe Wissenschafter, es geht auch so. Gute Wissenschaft und Öffentlichkeit sind kein Widerspruch. Traut euch heraus aus den Laboren und Hörsälen, schnuppert Medienluft, so schlimm ist das gar nicht!" Natürlich wurde dieser Aufruf zum Auszug aus dem Elfenbeinturm nicht von allen goutiert. Und wer sich zum Exodus entschloss, hörte wohl öfters hinter sich Getuschel und das Wort "mediengeil".
Ein Vorwurf, der für den einen oder anderen Forscher möglicherweise zurecht erhoben wurde bzw. wird. Im Fall des "Wissenschafter des Jahres" hieße es aber die Schwarmintelligenz von ein paar Dutzend Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten zu unterschätzen. Denn die können durchaus zwischen Schaumschlägerei und ernsthafter Bereitschaft zum Dialog mit der Öffentlichkeit unterscheiden. Schließlich kommen die Nominierungen für den Wissenschafter des Jahres ausschließlich von Klubmitgliedern und auch die Wahl selbst erfolgt nur durch die Journalisten. Die Wissenschafter selbst wissen weder von ihrer Nominierung, noch wird eine Rangliste des Wahlergebnisses veröffentlicht. Weder Geschlecht und Alter, noch Nationalität oder Fach spielen eine Rolle.
So ist in den vergangenen 19 Jahren eine bunte Schar von Forschern von den Wissenschaftsjournalisten ungefragt vor den Vorhang gezerrt worden: Geistes- und Sozialwissenschafter ebenso wie Theologen, Philosophen, Biologen oder Physiker, Männer und (sicher zuwenige) Frauen. Was sie eint, ist nicht nur ihre wissenschaftliche Exzellenz, sondern auch ihre Bereitschaft zum Dialog mit der Öffentlichkeit, entweder direkt oder über den Umweg der Medien. Darunter sind "Medienstars" genauso wie leise Kommunikatoren.
Jede Wissenschafterin und jeder Wissenschafter des Jahres ist auch ein Beispiel dafür, dass sich in den vergangenen Jahren einiges im Verhältnis zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zum Positiven geändert hat - gleich welche Motive dahinterstecken: Vielleicht ist es der wachsende Legitimationsdruck bei der Verwendung öffentlicher Mittel oder der durch die Sichtbarkeit erleichterte Zugang zu Geld, vielleicht ist es einfach nur die Lust, im Rampenlicht zu stehen oder die Freude daran, neues Wissen mit einer breiteren Öffentlichkeit zu teilen, vielleicht ist es auch ein Mix von all dem.
An den Motiven des Journalistenklubs hat sich letztlich nichts geändert: Nach wie vor geht es darum, die Dialogbereitschaft von Forschern zu würdigen und als leuchtendes Beispiel vor den Vorhang zu holen. Man könnte es auch als sanfte, gerade noch er- und verträgliche Form einer öffentlichen Inszenierung von Wissenschaft sehen, wie sie in anderen gesellschaftlichen Bereichen schon lange üblich ist - und überstrapaziert wird. Denn auf Homestorys von Physikern, die neueste Affären von Biologen oder Bussi-Bussi-Berichte von der letzten Historiker-Tagung können wir gerne verzichten.