Regularien für Medizinprodukte im Umbruch
Die EU-Richtlinien über Medizinprodukte sind in die Jahre gekommen und sollen durch Verordnungen, die den aktuellen Anforderungen entsprechen, ersetzt werden. Die Vorschläge der Europäischen Kommission sorgen allerdings für Diskussionen. Über die wesentlichen geplanten Änderungen hat APA-Science anlässlich des Medizinprodukte-Tags (24. Juni) mit dem TÜV AUSTRIA gesprochen.
"Es sind in vielen Bereichen Anpassungen notwendig, um neuen Technologien gegenüber die entsprechende Handhabe zu haben. Schließlich sind die Regularien schon sehr alt", erklärte Michael Pölzleitner, Leiter des Geschäftsbereichs Medizintechnik. Die drei derzeit gültigen EU-Richtlinien stammen aus den Jahren 1990, 1993 und 1998 und sind im österreichischen Medizinproduktegesetz umgesetzt. Dabei geht es im Wesentlichen um aktive Implantate, allgemeine Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostik.
Der aktuelle Entwurf sieht vor, aus den drei Richtlinien zwei Verordnungen zu machen. Wegen heftiger Diskussionen und vielen Änderungsanträgen aus den verschiedensten Gremien dürfte sich das aber noch bis Ende 2015 ziehen. Grund sind zahlreiche Anpassungen. So werden beispielsweise die Definitionen geändert, was überhaupt in diese neuen Regularien fällt.
Brustimplantate als Kosmetika
"Der neue Entwurf sieht vor, dass Produkte reinkommen, die an sich keine medizinische Zweckbestimmung haben, aber trotzdem einen Gefahrenaspekt für den Menschen aufweisen, zum Beispiel ein Fettabsaugungsgerät oder Brustimplantat", so Pölzleitner. Letztere beleuchte man von zwei Seiten: Einerseits als Medizinprodukt mit klarer medizinischen Indikation und als reines Kosmetikum.
"Ein Brustimplantat, das in einem Schönheitsinstitut nur aus kosmetischen Gründen implantiert wird, könnte momentan unter Umständen gar kein Medizinprodukt sein. Wegen dieses Doppelzwecks wird es zwar schon jetzt als Medizinprodukt gesehen, aber in den neuen Regularien steht das dann explizit drinnen", erläuterte der Experte.
Eine weitere Änderung betrifft die Lieferkette vom Hersteller über den Handel bis zum Patienten: Die Information und Produktsicherheit in dieser Kette soll stärker gewährleistet werden, etwa in Hinblick auf gefälschte Produkte. Denn ein Einkäufer muss derzeit nicht verifizieren ob ein Produkt "echt" oder gefälscht ist. Für Importeure soll es künftig eine Verpflichtung geben, sich darüber zu informieren.
Datenbank wird für Bürger geöffnet
Auch die Europäische Datenbank für Medizinprodukte (Eudamed) soll ausgebaut und schrittweise geöffnet werden. Derzeit ist sie nur für Behörden zugänglich. Künftig kann jeder Bürger nachsehen, von welcher Firma das Medizinprodukt kommt, wer dort die dafür verantwortliche Person ist, welche klinischen Daten es dazu gibt und welche Probleme es mit dem Produkt schon gegeben hat. Hier gelte es darauf zu achten, dass der Verwaltungsaufwand nicht den Nutzen übertrifft, so der TÜV-Manager.
Die Einführung einer so genannten "Qualified Person" ist für Österreich hingegen nichts Neues, weil es hierzulande im Medizinproduktegesetz den Sicherheitsbeauftragten gibt, der im Wesentlichen dieser Funktion entspricht. Auch die Marktüberwachung soll verstärkt werden. Ein weiterer Punkt ist die schrittweise Einführung einer "Unique Device Identification", das ist ein Code für das Produkt, der die Rückverfolgbarkeit verbessern soll.
Bestimmte Schwächen in den Richtlinien scheinen aber schon behoben zu sein. So wurden manche Bereiche aus den neuen Regularien herausgelöst, etwa in Folge der Affäre um defekte Brustimplantate der französischen Firma PIP. Sie gelten schon jetzt.
Verschärfte Überwachung umgesetzt
"Zum Beispiel wurde die Überwachung der europäischen Zulassungsstellen für Medizinprodukte - 'Notified Bodies' beziehungsweise 'Benannte Stellen' - deutlich verschärft", erklärte Pölzleitner. Dass die EU bei den Regularien für Medizinprodukte im Vergleich zu den USA prinzipiell hinterherhinkt, bestreitet der Experte: "Unser System hat jetzt schon Vorteile gegenüber dem US-amerikanischen."
Massiv verbesserungswürdig sei aber die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission, die für die Richtlinien zuständig ist, und der Normung. Die Richtlinien definieren grundlegende Anforderungen in sehr allgemeiner Form. Die detaillierteren Angaben stehen in den Normen. "Hinter 14 Seiten grundlegender Anforderungen stehen 2.000 bis 3.000 Normen, die diese Anforderungen präzisieren. Bei der Harmonisierung gibt es aber Probleme", so der TÜV AUSTRIA-Manager.
Wenn eine Norm in einer Liste der harmonisierten Normen aufscheine, erfülle sie bestimmte Punkte der grundlegenden Anforderungen ganz oder teilweise. Das sei die so genannte Konformitätsvermutung, die dann greift. "Dieses wichtige Prinzip funktioniert aber seit mehreren Jahren nicht, das hängt in der Luft. Hier herrscht Handlungsbedarf", erläutert der Experte.
Von Stefan Thaler / APA-Science