Wolfgang Feist: "Nullenergie" ist der am meisten missbrauchte Begriff
Passivhaus, Nullenergiehaus, Plusenergiehaus - Begriffe, die in der Debatte um energieeffizientes Bauen und Nachhaltigkeit häufige Verwendung erfahren. Doch sprechen ein Engländer und ein Österreicher von der gleichen Sache, wenn Sie sich über Nullenergiehäuser unterhalten? Über diese und weitere Bereiche des Themas "Gebäude der Zukunft" sprach Wolfgang Feist, Universitätsprofessor für Hochbau, Bauphysik und Gebäudetechnik an der Universität Innsbruck mit APA-Science.
APA-Science: Wenn es um Gebäude und Energieeffizienz geht werden verschiedene Begriffe wie Niedrigenergiehaus, Passivhaus, Null- und Plusenergiehaus verwendet. Was genau steht hinter diesen Begriffen und gibt es einheitliche länderübergreifende Definitionen dafür?
Wolfgang Feist: Die einzige hier international klar definierte Kategorie ist das Passivhaus - Heiz- und Kühlbedarf kleiner gleich 15 kWh/m2a (Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr, Anm.) und Gesamt-Primärenergie (inkl. aller Anwendungen, also auch Haushaltsstrom und evtl. Büroanwendungen) unter 120 kWh/(m2a), wobei der Bezugswert hier die beheizte Netto-Nutzfläche (Wohnfläche) ist. Das alles muss man leider dazu sagen, weil sich die Regierungen noch nicht einmal auf einheitliche Bezugsflächen einigen können. "Niedrigenergiehaus" wird in den verschiedensten Bedeutungen gebraucht; die meisten Verordnungen beanspruchen, bereits zum Niedrigenergiehaus zu führen - nur die Heizwärme ist da meist reguliert und die Werte liegen beim Drei- bis Vierfachen gegenüber dem Passivhaus. "Nullenergie" ist der wohl am meisten missbrauchte Begriff - mathematisch ist Null "das neutrale Element der Addition", da wirkt es dann schon sehr seltsam, wenn z.B. die Engländer ihre Nullenergiehäuser bei 45 kWh/(m2a) (Brutto-Geschossfläche) definieren; das sind noch nicht einmal Passivhäuser. Bei "Plusenergie" ist es auch weit verbreitet, nur die Heizung zu betrachten und dann im Sommer produzierten PV-Strom dagegen zu rechnen.
APA-Science: Welche Fehlentwicklungen gab/gibt es auf diesem Gebiet?
Feist: Vor allem will natürlich jeder Hersteller und Anbieter seine jeweiligen Produkte besonders attraktiv aussehen lassen: Deshalb werden die Bezugsflächen so groß wie möglich angesetzt, es werden Verbräuche und Energieproduktion einfach über das ganze Jahr gemittelt - inkl. der Zeiten, in dem kaum jemand den produzierten Strom braucht. Es wird Zeit, dass hier seriöse Maßstäbe angesetzt werden. Weit verbreitet ist auch der Irrtum, dass es sich bei einem Niedrigenergiehaus mit Holzheizung (weil Holz eine erneuerbare Ressource ist) automatisch um eine nachhaltige Lösung handelt: Uns steht gar nicht genug Biomasse zur Verfügung, dass dies jeder so machen könnte, dadurch ist dies auch nicht nachhaltig.
APA-Science: Kostengünstige Passivhäuser: Stichwort Energieeffizienz vs. Wartungskosten – schließt das verstärkten Einsatz von Sensor- und Regeltechnik aus bzw. welche Fallstricke sehen Sie hier?
Feist: Ganz im Gegenteil: Regeltechnik muss nur zuverlässig und für den Nutzer einfach bedienbar sein, dann kann sie sogar Wartungskosten sparen: Z.B. halte ich die derzeit in den Normen vorgesehene jährliche manuelle Inspektion von Brandschutzklappen für ein Unding - wenn das so bleibt, dann lohnt es sich, an jeder Klappe eine Webcam einzubauen und das fernauslesbar über Funk zu machen. Nachteilig wirken sich zu komplexe, störanfällige, nur von promovierten Nutzern bedienbare Systeme aus.
APA-Science: Welche Forschungsfelder spielen im Moment eine dominante Rolle, welche zeichnen sich ab?
Feist: Integration der Gebäudetechnik in die Gebäudehülle (das ist bei gut wärmegedämmten Gebäuden leicht möglich), universelle Schnittstellen (z.B. zum Android-Handy), verbesserte Regelbarkeit von Lüftungssystemen, kostengünstige und zuverlässige Sensoren, Verbesserung der g-Wert-Regelbarkeit (Energiedurchlassgrad; Maß für die Durchlässigkeit von transparenten Bauteilen für Energie, Anm.) von Verglasungen, Integration der Systeme in die elektrischen und Informations-Netze.
APA-Science: Am 21. November wurde mit dem aspern IQ in Wien ein Plusenergie-Bürogebäude eröffnet. Was kommt als nächstes – das autonome Haus, das beispielsweise auch seine Abwässer selbst entsorgt?
Feist: Das kann man heute alles machen - ich halte aber Autonomie nicht für ein wichtiges Ziel. Überregionale Energienetze haben viele Vorteile, z.B. das ein leichterer Ausgleich zwischen Bedarf und erneuerbarer Stromerzeugung möglich ist; vor allem aber, dass der Aufwand viel geringer wird, wenn sich Erzeuger und Verbraucher über Netze austauschen. Beim Wasser ist das ganz besonders augenfällig: Mein Kollege vom Wasserbau betont immer wieder, wie wichtig es war, das Hygieneniveau der heutigen Wasser- und Abwasserwirtschaft zu erreichen. Was eigentlich spricht dagegen, wenn eine Stadt Energie aus ihrem Umland bezieht? Nahrungsmittel bringen ja auch schon seit langem die Landwirte aus dem Umland in die Stadt.
APA-Science: Wie sieht das „Wohnen der Zukunft“ für die Bewohner eines Hauses ihrer Meinung nach aus?
Feist: Sie werden überrascht sein: Das Wohnen ist vermutlich nicht viel anders als heute, denn von den Vorteilen des verbesserten Komforts wird kaum jemand sprechen, daran gewöhnt man sich schnell. Die Kommunikations- und Steuermöglichkeiten werden künftig in weit größerem Maß wahrgenommen werden - ich kann dann mit dem Handy mein Licht steuern oder die Stromerzeugung meiner Solarpanels abrufen.
APA-Science: Glauben Sie wird die wachsende Verbreitung von Mikrocontrollern verstärkt dazu beitragen, dass sich Leute mit eigenen „Basteleien“ ihr Haus „smart“ machen?
Feist: Das eigene Basteln wird wohl nur ein Hobby einer kleinen Gruppe besonders motivierter und ausgebildeter Personen betreffen. Wichtig wird sein, dass die wesentlichen Protokolle klar definiert und von allen Systemen aus lesbar sind. Dann gibt es einen fließenden Übergang zwischen den "professionellen Systemen" und den Eigenbaulösungen; vor allem drahtlose Schnittstellen sehe ich hierbei klar im Vorteil.
Das Interview führte Thomas Altmutter / APA-Science.