Wiener Forscher finden beschleunigte Arbeitswelt, aber nicht überall
Viele Menschen nehmen eine Intensivierung ihrer Arbeitstätigkeit wahr. Vor allem in Verbindung mit dem gerade omnipräsenten Schlagwort "Digitalisierung" scheint auch die Beschleunigung überall zu sein. Laut einer umfassenden Studie von Wiener Forschern ist dieser Trend zwar deutlich messbar, insgesamt jedoch weniger stark als oft gefühlt, sagte Christian Korunka von der Universität Wien zur APA.
Die Gruppe um den Arbeitspsychologen beschäftigt sich bereits seit mehreren Jahren intensiv mit der Intensivierung der Arbeit. Als Ausgangspunkt diente das Konzept der sozialen Beschleunigung des deutschen Soziologen Hartmut Rosa. Als Motor fungiert demnach vor allem die Durchdringung nahezu aller Lebensbereiche durch Informationstechnologie (IT) und die fortschreitende Digitalisierung. Vielleicht am plakativsten sei diese Entwicklung in den Medien sichtbar, so Korunka: "Früher waren Beiträge einmal zehn Minuten lang, jetzt muss die Botschaft oft in zwei Zeilen herübergebracht werden."
Wo braucht es das ständige Update?
Die Überlegung der Wiener Gruppe war, diese Beschleunigung in der Arbeitswelt anhand neuer Arbeitsanforderungen abzulesen. Auf drei Felder konzentrierten sich die Forscher im Rahmen ihrer vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten Analysen, im Zuge derer mehr als 2.000 Mitarbeiter aus den Bereichen Verwaltung, Gesundheit und IT über mehrere Jahre hinweg regelmäßig befragt wurden: die Arbeitsintensivierung, die Autonomie- und Kompetenzanforderungen.
Letzteres lasse sich gewissermaßen als die Notwendigkeit zum ständigen "Update" der Kompetenzen über die gesamte Lebenszeit beschreiben - ähnlich einer Software, die ständig erweitert wird. "Wobei hier ganz wichtig ist, zu sehen, dass Lernen an sich etwas Positives ist. Es stellt sich halt die Frage nach dem richtigen Maß. Es kann sein, dass durch das Tempo der IKT-Entwicklung die Dinge zu schnell werden", sagte der Experte.
Autonomie-Plus nicht immer nur gut
Dass es auch in Bezug auf die positive Wirkung der Gestaltungsmöglichkeiten der eigenen Arbeit sozusagen ein Ende der Fahnenstange zu geben scheint, ist eines der überraschenden Ergebnisse des Forschungsprojekts, zu dem kürzlich ein Buch mit dem Titel "Job demands in a changing world of work" (Springer Verlag) erschien. Bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass mehr Autonomie immer positiv wirkt. "Jetzt leben wir in der entgrenzten Arbeitswelt, in der man selbst die Grenzen definieren muss. Diese neue Anforderung führt dazu, dass es auch ein Zuviel an Autonomie geben kann", sagte Korunka.
Bezüglich der aktuell oft diskutierten Arbeitsintensivierung zeichnen die Wiener Forscher ein uneinheitliches Bild: Aus europaweit über mehrere Jahrzehnte hinweg erhobenen Daten lasse sich "ein erster Schub an Intensivierung in den 1990er Jahren feststellen. Dann bleibt es auf erhöhtem Niveau relativ stabil, um dann nach dem Jahr 2000 wieder anzusteigen", erklärte Korunka.
Intensivierung mancherorts geringer als vermutet
Der Anstieg sei zwar da, "er ist aber kleiner als man glaubt". Auch wenn viele das subjektiv weit dramatischer empfinden und in Berichten oft von größeren Sprüngen die Rede ist, liege das gesamte Ausmaß des Intensivierungs-Plus in diesem Zeitraum bei etwa zehn Prozent. Auch in der Wissenschaft gebe es eine gewisse Tendenz zum Überschätzen des Phänomens, so der Psychologe.
In der aktuellen Studie zeigte sich ebenfalls eine leichte Zunahme - und zwar in Form einer Intensivierung, die nicht mit einem reinen Anstieg des Zeitdrucks zu erklären ist. Korunka: "Arbeitsintensivierung ist mehr als Zeitdruck. Das heißt: es wird nochmals dichter."
Gewisse Branchen unter Druck
Das Phänomen ist aber alles andere als gleich verteilt. Deutlich ist der Trend im Bereich der "Neuen Dienstleistungen", wie etwa der IT-Branche, in den Medien, zum Teil in der Wissenschaft oder nahezu überall dort, wo direkter Kundenkontakt gegeben ist. Als universeller Treiber fungieren nach wie vor kommunikationstechnologische Entwicklungen. Man dürfe aber auch nicht vergessen, "dass viele Jobs auch heute noch recht 'konventionell' sind", sagte Korunka.
Nimmt die Arbeitsdichte allerdings zu, habe das fast durchgehend negative Folgen für Beschäftigte, wie den Rückgang des Engagements, geringeres Wohlbefinden oder Konflikte zwischen Arbeit und Privatleben. Das Thema "Burnout" sei in dem Zusammenhang zwar auch zu nennen, entgegen mancher Quellen, die hier Zahlen von bis zu 25 Prozent nennen, lägen "die wahren Prozentwerte für die Prävalenz des Phänomens bei zwei bis drei Prozent - aber das ist schon schlimm genug", sagte der Psychologe, der auch betonte, dass durch die Verlagerung vieler Arbeitstätigkeiten von der Produktion in Richtung Dienstleistung in unseren Breiten die Arbeitswelt gleichzeitig insgesamt gesünder geworden sei.
Nicht alle können mithalten
Angesichts dieser Verschiebung und der insgesamt steigenden Anforderungen steige auch die Zahl jener, die auf der Strecke bleiben. Die höhere Arbeitslosigkeit habe zwar wirtschaftliche Ausgangspunkte, es gebe aber auch immer mehr Leute, die mit der Entwicklung der Anforderungen nicht mehr mitkommen. Auf diese Gruppe - zu der vor allem weniger qualifizierte Personen zählen - würde in den Diskussionen um Digitalisierung oder Burnout oft zu wenig geachtet.
Psychologisch betrachtet ist die Sicherheit ein bekanntes Grundbedürfnis und das gelte natürlich auch für die Arbeitsplatzsicherheit. "Diese sichere Arbeitswelt ist durch die neoliberalen Veränderungen natürlich stark bedroht. Etwa durch Verträge mit Ablaufdatum. Diesen Faktor halte ich für mindestens so relevant wie die Intensivierungs-Diskussion", sagte Korunka.
Veränderungen kooperativ angehen
Die momentanen Umbrüche könnten auch dafür genützt werden, Arbeit künftig besser zu verteilen - und eben nicht den Arbeitenden immer mehr aufzuerlegen, während auf der anderen Seite mehr und mehr Menschen aus dem System ausscheiden. Hier bräuchte es längerfristig Bewegung aufseiten der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber, sowie deren Interessensvertretern. Unternehmen wiederum sollten sich mehr mit der Gestaltung der Arbeitsbedingungen befassen und das Thema "psychische Belastungen" ernst nehmen.
Service: Christian Korunka & Bettina Kubicek (Hg.): "Job demands in a changing world of work", Springer International Verlag, 98,99 Euro (Hardcover)/74,96 Euro (eBook).