Auf dem Weg zur digitalen Schule
Medienbildung, Vermittlung von IT-Basiskenntnissen oder "Computational Thinking" - auch vor den Klassenzimmern machen die mannigfaltigen Veränderungen nicht halt, die schon seit geraumer Zeit, und momentan verstärkt unter dem Schlagwort "Digitalisierung", durch Gesellschaft und Arbeitswelt ziehen. Die Bildungspolitik hat diese Themen nun in einer Digitalisierungsstrategie unter dem Titel "Schule 4.0" endgültig breit aufgegriffen.
APA-Science sprach mit Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) über ihre eigenen Erfahrungen mit lebenslangem Lernen, Tablets und Laptops im Schulalltag und die Freude, die spielerisches Programmieren mit sich bringt.
APA-Science: Sie kommen aus der Forschung und sind in ihrer beruflichen Entwicklung einen weiten Weg über die Wirtschaft, die Forschungsförderung, das Hochschulmanagement bis ins Bildungsministerium gegangen. Wie hat sich Ihr Set an beruflichen Kompetenzen über Ihre verschiedenen Tätigkeiten verändert?
Hammerschmid: Als Molekularbiologin stand natürlich eine starke Analysefähigkeit im Vordergrund, aber auch die Kreativität, um Hypothesen zu formulieren, und Forschungsprojekte aufsetzen zu können. Sprich, sich zu überlegen, welche Mechanismen hinter einer Krankheit stehen könnten, um Ursachen aufzuklären und neue Therapien oder Möglichkeiten für Diagnosen zu finden. Nach meinem Wechsel in die Wirtschaft und auch danach war diese Analysefähigkeit immer sehr hilfreich. Für mich ging es dann aber sehr stark darum, mir die wirtschaftlichen Tools anzueignen, die mir aus dem wissenschaftlichen Bereich gefehlt haben. Ich habe das eigentlich "on the Job", lernend, machend, umsetzend getan - auch weil mir Menschen Chancen gegeben haben. Das muss ich betonen.
In der Austria Wirtschaftsservice (aws) hatte ich zwar schon 35 bis 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu führen, aber als Rektorin der Veterinärmedizinischen Universität Wien mit ungefähr 1.400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern war das dann nochmals ein Quantensprung. Das hat mir aber sehr für hier (das Bildungsministerium, Anm.) geholfen, da ich dort schon sehr politiknah gearbeitet habe. Das gilt auch für meine Funktion im Rahmen der Universitätenkonferenz. Ich musste eigentlich beständig lernen, mich immer wieder in völlig neuen Felder entwickeln und bin Zeit meines Lebens nie stillgestanden.
APA-Science: Auch an ihrem Werdegang ist diese seit Jahrzehnten zunehmende Flexibilisierung in der Arbeitswelt ablesbar. Gepaart mit der jetzt so omnipräsenten Beschleunigung durch die Digitalisierung ergeben sich ja auch für das Bildungssystem neue Anforderungen. Was muss jetzt an den Schulen passieren?
Hammerschmid: Es ist augenscheinlicher denn je, dass sich unsere Lebens- und Berufswelten rasant verändern. Wie ich in der Molekularbiologie ausgebildet wurde, ist jetzt schon hundertfach überholt. Mit dem Know-how könnte ich heute niemals mehr arbeiten. Hier hat die technologische Entwicklung viel verändert und das sehe ich auch für viele andere Felder. Was wir tun müssen ist, unsere Kinder und Jugendliche darauf vorzubereiten, dass sie sich wirklich beständig weiterentwickeln werden müssen. Sie werden Fähigkeiten und Fertigkeiten brauchen, die wir jetzt an der Schule noch viel zu wenig im Visier haben.
APA-Science: Welche sind das in erster Linie?
Hammerschmid: Da rede ich von Problemlösungskompetenz, Teamfähigkeit, Selbstorganisation, Selbstwirksamkeit, unternehmerischem Denken, bis hin zum "Lernen lernen" und die Lust daran nicht zu verlieren - denn sie werden es ein Leben lang tun müssen. Die digitalen Kompetenzen sind hier mitten drinnen. Das ist eine Technologie, die zur Zeit alles dominiert - vom Privatleben bis in fast alle Berufsfelder. Die Medienkompetenzen kommen da noch dazu.
APA-Science: Manche Experten sehen den Umgang mit digitaler Technologie und Neuen Medien mittlerweile als Kulturtechnik auf Augenhöhe mit Lesen, Schreiben und Rechnen. Wie ist ihre Meinung dazu?
Hammerschmid: Das sehe ich genauso. In der Zukunft ist das die vierte Grundkompetenz. Daran ist nicht mehr zu rütteln. Wir müssen sie aber gut mit den anderen Grundkompetenzen verschneiden.
APA-Science: Wo besteht hier momentan der größte Handlungsbedarf?
Hammerschmid: Jetzt bilden wir das in den Schulen noch nicht durchgehend ab. Das heißt, wir haben im Wesentlichen vier Säulen zu bearbeiten. Grundvoraussetzung ist die infrastrukturelle Ausstattung - sprich: Breitbandanbindung, W-LAN. Die braucht es, um hier überhaupt arbeiten zu können. In den Bundesschulen ist das schon weitgehend der Fall, an den Pflichtschulen aber bei weitem nicht. Hier haben wir mit dem BMVIT ein Programm aufgesetzt, um alle Schulen bis zum Jahr 2021 an das Breitbandnetz anzubinden. Die zweite Säule - und wahrscheinlich einer der wesentlichsten Schlüssel ist -, die Aus- und Weiterbildung der Pädagoginnen und Pädagogen. Die jetzt studieren, haben das Thema schon in den Curricula und werden auch mit neuen Technologien unterrichtet. Alle neuen Pädagoginnen und Pädagogen müssen zudem ab Herbst einen Check durchlaufen, auf welchem Niveau ihre digitalen Kompetenzen sind. Ebenso müssen sie einen eigenen Lehrgang zu didaktischen digitalen Kompetenzen in den ersten drei Jahren ihrer Tätigkeit durchlaufen.
APA-Science: Wie sollen aber die älteren Pädagogen motiviert werden?
Hammerschmid: Ein Hauptaugenmerk liegt auf der Vermittlung dieser Kompetenzen an Kolleginnen und Kollegen, die schon länger an Schulen sind. Wir haben hier mehrere Dinge vor: Die an der PH Burgenland angedockte "Virtuelle PH" bietet sehr gute Weiterbildungsmöglichkeiten, auch im digitalen Bereich. Wir haben auch in der regulären Fort- und Weiterbildung Curricula geschaffen, die das adressieren. Wir versuchen auch sehr stark mit schulinternen Weiterbildungsmaßnahmen zu arbeiten. Das heißt: Der Weiterbildner geht direkt an den Standort.
APA-Science: Manchmal wird ja unterstellt, dass die Lehrerausbildung nicht unbedingt die technologieaffinsten Interessenten anzieht. Wie könnte das geändert werden?
Hammerschmid: Das halte ich für ein Gerücht! Sie glauben gar nicht, wie begeistert Pädagoginnen und Pädagogen reagieren, wenn sie sehen, was mit digitalen Lernmaterialien alles möglich ist. Hier sind wir bei der dritten Säule der Strategie: den digitalen Lernmaterialien. Die ermöglichen einen sehr individualisierten Unterricht. Ich habe etwa Tools gesehen, die es ermöglichen, dass Kinder im Mathematikunterricht in einer Klasse auf sehr unterschiedlichen Niveaus arbeiten. Weil die Pädagogin in Echtzeit sieht, wer gerade auf welchem Level arbeitet, kann sie viel gezielter unterstützen. Ich habe eine Pädagogin getroffen, die etwa auch in der Mathematik kleine Filmchen macht, die sie den Kindern mit nach Hause mitgibt. Die sehen sich das am Tablet an und sie macht in der Schule sozusagen nur noch die Vertiefung. Das gibt ihr viel mehr Zeit zur direkten, gezielten Förderung. Die Lehrer sehen schon auch den Mehrwert und sind in der Regel begeistert, wenn sie sich einmal drübergetraut haben. Das gilt auch für die älteren Kolleginnen.
APA-Science: Um das breit auszurollen, braucht es natürlich die nötigen Endgeräte, die es dem Plan zufolge auch bald geben soll. Wie wird das Finanzierungsmodell in etwa aussehen?
Hammerschmid: Im "Plan A" des Bundeskanzlers ist vorgesehen, dass alle Schüler ab der fünften Schulstufe ein Tablet und ab der neunten Schulstufe einen Laptop gratis bekommen. Wir arbeiten an den Finanzierungsmodellen. Wir haben etwa in Gesprächen mit den Bundesschülervertretern gelernt, dass es nicht nur ein Geräte-Typ sein sollte, den wir anbieten. Wir arbeiten uns hier voran. Klar muss aber sein, dass es nicht an der Geldbörse der Eltern scheitern darf, ob ein Kind ein Tablet hat.
APA-Science: Wie sollen denn die digitalen Inhalte an den Schulen verankert werden?
Hammerschmid: Wir haben lange überlegt, ab welchem Alter das sinnvoll ist, und uns für einen Beginn in der dritten und vierten Klasse Volksschule entschieden. Das soll etwa im Sachunterricht in sehr, sehr spielerischer Art und Weise passieren. Wir haben zum Beispiel die "Bee Bots" für uns entdeckt. Das sind kleine Roboter-Bienen, die auf einem speziellen Feld sitzen, und sich ganz einfach am Rücken programmieren lassen. Die Kinder sind davon begeistert und nutzen das sehr gerne. Dahinter verbergen sich spielerische Programmieraufgaben, mit deren Hilfe man die grundlegenden technologischen Ansätze von Informatik verstehen lernt. "Coding" im frühesten Alter hilft in weiterer Folge viel. Das setzen wir dann in der Sekundarstufe I entsprechend in einer verbindlichen Übung im Ausmaß von zwei bis vier Wochenstunden fort. Die genaue Gestaltung liegt im Bereich der Schulautonomie.
APA-Science: Ein aktuell ebenso stark diskutiertes Thema ist ja auch die digitale Medienbildung...
Hammerschmid: Das Thema reicht auch bis zum kritischen Hinterfragen von Inhalten aus den Sozialen Medien. Wir sehen, dass Cybermobbing, Hasspostings und Fake News gerade bei unseren jungen Menschen echt ein Thema sind. Wir müssen sie in die Lage versetzen, durch kritisches Hinterfragen und Quellenchecken erkennen zu können, was wahr und falsch ist.
APA-Science: Hier tun sich auch Erwachsene mit weit längerer Medienerfahrung sehr schwer. Da hört man schon Stimmen, die anmerken, dass man das in der Schule kaum leisten könne. Wie kann das gelingen?
Hammerschmid: Wir entwickeln etwa mit der Plattform "Safer Internet" oder "Mimikama" Unterrichtsmaterialien, die genau das adressieren - also Fake News oder Datensicherheit. Es gibt in der Schule viele Andockpunkte, wo man das einbauen kann. Gerade an NMS habe ich schon einiges gesehen, wo digitale Inhalte schon zum Thema gemacht werden, wo mit Tablets unterrichtet wird. Wir müssen nur schauen, dass dieses Know-how in die Breite kommt. Hier verfolgen wir einen Peer-Learning-Ansatz über eine Plattform von Schulen, die sich besonders bewährt haben. Es geht um den Erfahrungsaustausch zwischen den Pädagogen. Viele Lehrer haben nämlich schon viel Zeit investiert, um neue Lernmaterialien zu erstellen, die jetzt zur Verfügung gestellt werden. Wir bauen gerade ein Portal auf, auf dem alle Lehrer leicht qualitätsgesicherte Inhalte finden können.
APA-Science: Wenn jetzt all diese Themen verstärkt an den Schulen behandelt werden, braucht es dafür ja auch die nötigen Freiräume. Gibt es konkrete Bestrebungen, andere Inhalte aus den Lehrplänen herauszunehmen?
Hammerschmid: Vieles ist hier ja schon bei den Umstellung zur Kompetenzorientierung passiert. Man muss aber immer genau hinschauen. Wir überprüfen unsere Lehrpläne daher in regelmäßigen Abständen, weil sonst geht es sich irgendwann einmal nicht mehr aus. Das muss man schon im Blickfeld haben.
APA-Science: Sollen die Schulen - analog zu der Öffnung für Sportvereine und Trainer in Ganztagsschulen - auch in diesen Bereichen stärker für "Externe" geöffnet werden?
Hammerschmid: Wir müssen Schule so und so öffnen. Das ist auch Teil des Autonomiepakets. Es ist ganz wichtig, dass Schule in der Gesellschaft ankommt. Was mir im Zuge des Pakets vorschwebt, ist dass wir etwa Fragestellungen aus den Gemeinden mit aufnehmen, um sie an den Schulen zu bearbeiten. Da können wirklich tolle, innovative Zugänge entstehen.
Das Gespräch führte Nikolaus Täuber / APA-Science