"Digitalisierung: Warum zählen wir Arbeitsplätze?"
"Die Anzahl der Beschäftigten konnte erhöht werden." "Die Zahl an Arbeitslosen ist gesunken." Politiker verbinden erfolgreiche Wirtschaftsmeldungen oft mit Beschäftigungskennzahlen.
Je mehr Arbeitsplätze, desto besser. Diese Aussagen prägen nicht nur die Dekaden des politischen und wirtschaftlichen Aufschwungs im vergangenen Jahrhundert. Sie gelten auch heute noch als Messlatte für Stabilität und einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik. Je mehr Beschäftigung, desto erfolgreicher ist die Standortpolitik.
Die Welt hat sich allerdings geändert. Die produzierende und dienstleistende Industrie arbeitet digitalisiert, der Konsum umfasst heute nicht nur Güter, sondern immer mehr Daten. Der Arbeitsmarkt unterliegt diesem rasanten Wandel ebenso. Die Ausbildung nimmt diese geänderten Anforderungen an, aber mit Verzögerung. Man lernt, lebt, arbeitet heute anders als noch vor 20, 30 Jahren. Der Arbeitsplatz der Zukunft wird mit dem heutigen Bild einer erwerbstätigen Beschäftigung wenig gemein haben.
Es gibt sie also nicht mehr, die klassischen Arbeitsplätze mit maßgeschneiderter Berufsausbildung. Es gäbe aber unzählige Erwerbschancen, in die Fähigkeiten eingebracht werden können. Wir alle haben unterschiedlichste und facettenreiche manuelle, geistige und soziale Fähigkeiten - und alle Fähigkeiten suchen nach ihrem optimalen Einsatz. Es gilt also einen Abgleich zu schaffen aus Fähigkeiten und dem Bedarf des Arbeitsmarkts. Flexible Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt sind Grundvoraussetzungen, die Politik ist hier gefordert. Jede Bildungsreform, die eine rasche Anpassung der Ausbildung an eine geänderte Arbeitswelt ermöglicht, ist eine richtige.
Spitzenverdiener und Komplexitätsbeherrscher
Der Wandel in der Arbeitswelt lässt sich an einem weiteren Parameter erkennen: der Komplexität. Gestern lernten wir programmieren; heute versuchen wir, unsere Handys zu verstehen und den Roboter einfache Aufgaben erledigen zu lassen. Und morgen wird unser Alltag von selbstfahrenden Autos und vernetzten Alltagsgegenständen bestimmt sein. Die viel diskutierte Einkommensschere hat einen Begleiter: die Komplexitätsschere. Analog zur rasanten Geschwindigkeit technologischer Entwicklungen steigen die Anforderungen an unsere Fähigkeiten. Was ein kleiner Teil der Gesellschaft früher gerade noch erlernen konnte, ist heute eine allgemeine Voraussetzung für das Bestehen am Arbeitsmarkt.
Die größer werdende Schere der Anforderungen an die Arbeitsmarktteilnehmer reflektiert sich in der Einkommensschere. Komplexitätsbeherrscher haben deutlich mehr Chancen auf ein hohes Einkommen. Wir stehen da erst am Anfang der Entwicklung. Umgekehrt ist das Angebot an komplexitätsschwachen Erwerbsmöglichkeiten begrenzt, der Wettbewerb bei Billig-Jobs ist deutlich spürbar. Auch darin ist die Entwicklung nicht zu Ende, die Unterschiede werden noch größer - trotz politischer Korrektive: Stichwort Mindestlohn.
Es gibt sie also nicht mehr, die klassischen Arbeitsplätze. Vielmehr gilt es, von nun an von der Qualität der Beschäftigung zu sprechen. Und der Erfolg der Politik sollte daran gemessen werden, ob der Bedarf an Fähigkeiten durch die Arbeitsmarktteilnehmer gedeckt wird. Zählen wir also nicht Arbeitsplätze, sondern bestimmen wir die "Skill-Demand-Balance". Schaffen wir nicht Jobs, sondern fördern wir den Fähigkeiten-Transfer.