Medizin zwischen Null und Eins
Smartphones überwachen die Vitalwerte, immer kleinere Sensoren und Visualisierungen erlauben tiefe Einblicke in den Körper und auch der Austausch von medizinischen Informationen und Dokumenten verlässt zunehmend die analoge Welt. Egal, ob in Krankenhäusern oder Arztpraxen, in der Verwaltung oder direkt beim Patienten: Die Medizin- und Gesundheitswelt steht durch die Digitalisierung vor massiven Veränderungen. Warum Ärzte gläsern werden, bei der Telemedizin noch Nachholbedarf besteht und digitale Infrastrukturen der Grundpfeiler für viele neue Anwendungen werden könnten, beleuchtet APA-Science im aktuellen Dossier.
Abgesehen von den ersten Arztsoftware-Systemen, die Mitte der 90er-Jahre in den Praxen Einzug gehalten haben, stellte die Einführung der E-Card im Jahr 2005 wohl einen der bedeutendsten Schritte zur Digitalisierung des Gesundheitswesens dar. "Das war eine ganz wichtige Erfindung und ein großer Fortschritt, weil die E-Card die elektronische Abrechnung ermöglichte und man weg vom Zettelwerk gegangen ist", erklärte Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS). Mit diesem Meilenstein sei auch der Grundpfeiler für die technologische Standardisierung gesetzt worden, so Günter Rauchegger, Geschäftsführer der ELGA GmbH.
Außerdem entstand damit die Basis für die noch immer heiß diskutierte "Elektronische Gesundheitsakte" (ELGA), die künftig als digitale Basis-Infrastruktur viele weitere Anwendungen ermöglichen soll. "ELGA ist im Gesundheitswesen höchst wichtig, weil bei den zunehmenden chronischen Erkrankungen viele verschiedene Leistungserbringer tätig werden. Da braucht man eine Infrastruktur, die die Kommunikation über den Patienten ermöglicht. Und das ist analog sehr schwierig", strich Czypionka hervor. Allerdings sei man bei ELGA, die ja schon auf das Gesundheitstelematikgesetz 2005 zurückgehe, massiv im Rückstand.
Institutionelle Struktur problematisch
Eine wichtige Rolle spiele dabei natürlich die schwierige institutionelle Struktur in Österreich – Stichwort Hauptverband, Krankenversicherungsträger, Vertragsleistungserbringer und Co. "Diese Probleme existieren in Schweden nicht. Da gibt es die Regionen, die stellen die meisten Ärzte und denen gehören die Spitäler – fertig. Da ist die Infrastruktur leichter aufzubauen", betonte der Gesundheitsökonom. Allerdings seien auch andere Länder auf größere Probleme gestoßen: "England hat da beispielsweise irrsinnig viel Geld versenkt." In Australien und Dänemark gebe es so etwas wie ELGA hingegen schon länger.
"Was die Zugänglichkeit betrifft – also dass es ein bundesweites System gibt – und bei der Anbindung sämtlicher Gesundheitsdiensteanbieter sind wir federführend", strich Rauchegger hervor. Dänemark, Schweden oder die Schweiz hätten ähnliche Systeme, teilweise müsse man sich dafür aber extra anmelden (Opt-in). Insofern habe Österreich den Vorteil, dass man hier die Gesamtbevölkerung abdecken könne. Einem Vorsprung auf Deutschland, das noch auf keine E-Card und ELGA verweisen kann, steht ein Rückstand zu skandinavischen Ländern gegenüber, sieht Robert Mischak, Leiter des Studiengangs Gesundheitsinformatik/eHealth an der Fachhochschule (FH) Joanneum, Österreich eher im Mittelfeld.
Kein Lichtblick im Daten-Dschungel
Massive Hindernisse gebe es im Forschungsbereich, erklärte Martin Sprenger, Leiter des Lehrgangs "Public Health" an der Medizinischen Universität Graz. Die Wissenschaft könne über die Wirksamkeit von medizinischen Maßnahmen oftmals keine gesicherte Auskunft geben, weil schlicht die dazu notwendigen Daten entweder fehlen oder nicht sinnvoll zusammengeführt werden können, so Sprenger.
Von Untersuchungen im Rahmen des Mutter-Kind-Passes über die schulärztliche Betreuung bis zum Impfpass reiche die Palette der Maßnahmen, die vielfach "in der Schublade" landen würden. Die verstreuten Daten im heimischen Gesundheitssystem kämen häufig einfach nicht dort an, wo man sie gesammelt bräuchte, um sinnvolle und belastbare Schlüsse daraus zu ziehen. Hier müsse ein Mittelweg zwischen den Extrempolen "Blackbox" und "totale Transparenz" gefunden werden (siehe "Digitalisierung hat Datendschungel erst teilweise durchdrungen").
Nachzügler bei "Health Literacy"
Einen deutlichen Nachholbedarf gebe es hierzulande auch, was das Informationsangebot für Patienten betrifft. "Das beginnt mit Navigationsinformation im Internet – also wo muss ich mich hinwenden, wenn ich diese oder jene Erkrankung habe, wer ist Spezialist. Da hat es in England schon vor zehn Jahren mit Karten visualisierte Suchmöglichkeiten gegeben", sagte Czypionka. In Österreich habe es irrsinnig lange gedauert bis das Portal gesundheit.gv.at aufgebaut worden sei – "und das ist noch immer vergleichsweise einfach gestrickt und weit hinten gegenüber dem, was es international gibt".
Dementsprechend schlecht würde Österreich bei Studien zur "Health Literacy" – also der Fähigkeit, sich bei Gesundheitsthemen auszukennen und im Gesundheitswesen zurechtzufinden – abschneiden: "Da sind wir eher Schlusslicht." Dabei sei das Thema besonders wichtig, erklärte auch Mischak (siehe "FH-Studiengang will IT-Brücken im Gesundheitswesen bauen"). Entsprechende Aktivitäten könnten von Informationsplattformen oder Chatrooms im Internet bis zu der direkten Möglichkeit reichen, in ELGA via Hyperlink Zusatzinformationen über eine Laboruntersuchung einzuholen.
Das Thema sei insgesamt noch eher in der Zukunft angesiedelt, es gibt aber bereits Pilotprojekte. So haben die steirischen Forscher im Rahmen eines EU-Projekts den "elektronischen Röntgenpass" entwickelt. Dabei bekommt der Bürger die Anzahl und die effektive, kumulierte Dosis seiner radiologischen Untersuchungen angezeigt und kann beim nächsten Mal vielleicht die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen hinterfragen. In das System, das auf die Spitäler der steirischen KAGES beschränkt ist, lässt sich wie bei ELGA mit der Handysignatur einsteigen. In Anspruch genommen werde der Service bisher allerdings kaum.
ELGA als Basis für Innovationen
Die im Dezember 2015 gestartete ELGA soll unterdessen zu einem "nationalen Gesundheits-Backbone" weiterentwickelt werden, der eine solide Basis für weitere Anwendungen darstellt, so Rauchegger: "Wir schaffen eine einheitliche Infrastruktur, um Innovationen bundesweit zu ermöglichen." Viele Projekte seien an fehlenden Basisdiensten, wie einer eindeutigen elektronischen Identifizierung und Authentifizierung oder einer sicheren Plattform zum Datenaustausch, gescheitert. Diese Grundkomponenten stünden künftig zur Verfügung.
Derzeit sei ELGA ein geschlossenes System – genutzt von Professionisten, um zu garantieren, dass qualitätsgesicherte Daten vorliegen. Ziel sei aber, das System unter klar definierten Rahmenbedingungen beispielsweise für klassische E-Health-Anwendungen, etwa Herzinsuffizienzprogramme, wo auch der Patient Daten einpflegt, zu öffnen. "Am Ende des Tages soll die Infrastruktur den kompletten Behandlungsprozess von der Terminfindung bis zum Gesundheitsdatenaustausch vollständig unterstützen", gab Rauchegger einen Ausblick.
Derzeit würde ELGA aber noch immer nicht gut funktionieren, konstatierte Czypionka: "Eines der großen Probleme ist, dass die Metadaten fehlen." Aktuell stelle man Befunde – bei chronisch Kranken können das jährlich durchaus 50 Stück sein – im PDF-Format ins System "und das war es. Das heißt, das ist keine wirkliche Datenbank, die ich durchsuchen kann. Damit fange ich nicht viel an, wenn ich einen Patienten vor mir habe". Notwendig sei eine Suchfunktion und idealerweise eine Person, die sich alle Befunde durchliest und das Wichtigste zusammenfasst.
Ärztekammer sieht E-Medikation positiv
"Bei ELGA ist man noch nicht so weit. Da gibt es 15-seitige Entlassungsbriefe, das ist eine Verschlechterung", monierte auch Jürgen Schwaiger, Bundeskurienmanager bei der Österreichischen Ärztekammer. Er sieht generell große Reibeflächen zwischen den Ärzten, die Digitalisierungsprojekte nach ihrem medizinischen Nutzen beurteilen würden, und jenen, die bürokratische Abläufe von der hoheitlichen Verwaltung in die Ordinationen schieben wollten. Medizinisch sinnvolle Anwendungen, wie ein elektronischer Impfpass oder die E-Medikation, würden durchaus positiv gesehen. "Da sieht der Arzt auf einen Blick, was hat der Patient, was nimmt der, was braucht er noch", so Schwaiger. Das scheitere aber oft an einem "sehr dilettantischen Projektmanagement". Vielfach würden Anwendungen zur Verfügung gestellt, die völlig unbrauchbar seien. "Erst in der Weiterentwicklung durch die Softwarefirmen gemeinsam mit den Ärzten funktionieren diese Dinge dann endlich."
Auch bei ELGA predige man seit mehr als zehn Jahren dieselben Dinge. "Zuerst war es der Datenschutz – da hat man die Hausaufgaben aus unserer Sicht gemacht. Immer noch offen ist aber die Finanzierung. Wer zahlt dem Arzt die Einführung? Wer schult die Ärzte und die Ordinationshilfen?" Auch bei der E-Medikation habe es bei der Umsetzung massive Probleme gegeben. Weder sei die Finanzierung ausreichend geklärt worden, noch habe man die Anwender entsprechend eingebunden, kritisierte Schwaiger.
Technische Systeme müssen den Behandlungsprozess unterstützen und nahtlos in die Systeme integriert werden, mit denen die Ärzte und das Pflegepersonal jetzt schon arbeiten, um die notwendige Akzeptanz zu erreichen, betonte auch Rauchegger. Da dürfe man nicht am Anwender, dessen Grundaufgabe nicht die Bedienung eines Computers, sondern die Therapie eines Patienten ist, vorbei entwickeln. In vielen Bereichen sei das gut gelungen, in anderen gebe es noch Verbesserungsbedarf.
Strikte Ablehnung überwunden
"Ich verstehe, dass es etwa im niedergelassenen Bereich, wo ELGA ja noch nicht angekommen ist, Vorbehalte gibt. In diese Richtung müssen wir arbeiten – auch in der Kommunikation", so Rauchegger. Die Positionierung der Ärzteschaft sei inzwischen eher abwartend und kritisch, "aber sicher nicht mehr strikt ablehnend. Das haben wir überwunden." Bei der E-Medikation und beim elektronischen Impfpass sei der medizinische Nutzen aufgrund des Informationsgewinnes jedenfalls auch von der Ärzteschaft erkannt worden.
Er habe Verständnis für die Proteste der Ärztekammer, weil es große Unsicherheiten gebe, merkte Czypionka an. Das Argument, dass es darum gehe, den gläsernen Patienten zu verhindern, sei aus seiner Sicht aber nicht in Ordnung. "Das ist nicht das Ziel, sondern der elektronische Austausch, um auch im Notfall auf die Befunde zugreifen zu können." Er vermutet hinter den Widerständen einerseits ein monetäres Motiv, also eine Abgeltung dafür, sich mit ELGA zu befassen, und andererseits dürfte es die Befürchtung geben, dass damit Fehler im System sehr rasch identifiziert werden könnten – auch die eines einzelnen Arztes.
"Wenn jemand Brustkrebs bekommt, kann ich jederzeit den Befund aufrufen und nachsehen, ob das nicht doch erkennbar war. Es wird also nicht der Patient, sondern der Arzt gläsern", betonte der IHS-Experte. Wenn das Röntgenbild wie derzeit beim Arzt in der Schublade liege, sei das schwierig. Noch habe man sich zu wenig überlegt, wie man damit konstruktiv umgehe, weil Fehler immer passieren und auch Raum für Verbesserung bieten könnten. "Diese Kultur haben wir aber teilweise noch nicht. Da muss die Politik eine konstruktive Lösung anbieten."
"Opt-out"-Funktion als "Politikfehler"
Einen "Politikfehler" ortet Mischak unterdessen in der "Opt-out"-Funktion: Patienten können sich ganz von ELGA abmelden oder einzelne Datensätze löschen lassen. "Das war wohl ein Kompromiss, damit man ELGA überhaupt beschließen konnte." Lässt jemand etwa einen e-Befund oder die gesamte e-Medikationsliste löschen, ist somit keine vollständige Dokumentation seiner Gesundheitsdaten möglich.
Positiv an ELGA sei, dass man sich von vornherein auf internationale Standards bezogen und nicht wie bei der LKF – der leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung – eine österreichische Lösung gebaut habe. "Denn wenn ich heute in Italien einen Unfall habe, haben die keine Ahnung, welche Allergien ich habe – abgesehen von den Verrechnungsproblemen", so der Studiengangsleiter. Mit der integrierten internationalen Anschlussfähigkeit habe man beim ELGA-Grundkonzept jedenfalls eine gute Entscheidung getroffen.
Als nächste Schritte beim ELGA-Ausbau nannte Rauchegger gegenüber APA-Science die E-Medikation, den elektronischen Impfpass und Mutter-Kind-Pass. Diskutiert werde das Bereitstellen der Patientenverfügung in ELGA. Denkbar sei auch die Anbindung medizinischer Register – etwa Transplantatregister oder Herzschrittmacherregister. "Die E-Medikation kommt ganz sicher, da ist der Nutzen klar", zeigt sich auch Schwaiger im Hinblick auf das Ausräumen der letzten "Wehwehchen" optimistisch.
Telemedizin ist noch Stiefkind
Im Bereich Telemedizin würde Österreich hingegen noch hinterher hinken, waren sich die Experten einig. "Vor allem, weil es keine Verrechnungsmöglichkeiten gibt. Da sind die Leistungskataloge der Krankenkassen zu überarbeiten", forderte Mischak. Naturgemäß seien Länder, die periphere Gebiete versorgen müssten, deutlich weiter, verweist Czypionka darauf, dass man das Waldviertel nicht mit Kanada vergleichen könne. Wo man Telemedizin zu wenig einsetze, sei beim Monitoring von chronisch Kranken – beispielsweise über eine Handy-App.
Man müsse aber nicht immer auf komplexe Lösungen setzen. "Es reicht oft schon, wenn das Pflegepersonal, das ohnehin vor Ort ist, einfach ein Foto macht und weiterleitet." Im Gegensatz zu Österreich sei die elektronische Kommunikation mit Ärzten international durchaus üblich. "Man schreibt eine E-Mail, stellt per SMS eine Frage oder macht sich einen Termin über das Internet aus. Das ist bei uns die absolute Ausnahme, wird sich aber durchsetzen – vor allem sobald jüngere Ärzte nachrücken." In der Schweiz gebe es beispielsweise in Apotheken einen Extraraum, wo man per Videokonferenz eine Erstauskunft vom Gesundheitspersonal einholen kann.
Nachholbedarf bei Medikamentenversorgung
Apropos Apotheke: Großen Nachholbedarf ortet Mischak künftig bei der Medikamentenversorgung. Der Ablauf, wie man zu einem Medikament kommt, sei via Apotheke oft zu kompliziert: "Ich würde mir in der digitalen Welt erwarten, dass mir mein Arzt mein Medikament verschreibt und dass ich das über einen Paketdienst nach Hause geschickt bekomme." Er hält die Apotheker für die sicheren Verlierer im E-Health-Bereich. "Die Apotheken werden sich überlegen müssen, was in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren der Mehrwert für den Bürger ist." Das Argument mit der guten Beratung ziehe nicht mehr wirklich, in 95 Prozent aller Fälle seien Apotheker nur Aushändiger von Medikamenten, die sie aus dem Lager holen.
Schwaiger erwartet, dass zunächst das Papierrezept digitalisiert wird: "Dann kann man mit dem Handy zum Apotheker gehen und einen QR-Code herzeigen. Das wird dann auch mit der E-Medikation verbunden werden." Alles was in Richtung Formularwesen gehe, stehe auf dem Prüfstand.
Er prognostiziert für die kommenden Jahre rasante Entwicklungen in vielen Bereichen: Video-Endoskope würden noch kleiner und präziser und auch bei Chips zum Einsetzen und im MRT-/CT-Bereich sei einiges in Bewegung. Zunehmend im Trend liegen würden auch Wearables wie smarte Armbänder und Uhren. Viele spannende Projekte gebe es bei der Telemedizin – etwa ein Programm für Diabetiker, wo die Daten über eine Handy-App eingeben werden und der Arzt nur mehr einen Hinweis bekommt, wenn bestimmte Parameter nicht so sind, wie sie sein sollten (siehe "Wissenschafter übersetzen Grundlagenforschung in E-Health-Technologien").
Die Einbindung der Menschen in ihrer häuslichen Umgebung, etwa durch die kontinuierliche Vitalparametererfassung bei chronisch Kranken, führe zu einer wesentlich tieferen Integration des Patienten in den Behandlungsprozess, sieht auch Rauchegger große Vorteile. Allerdings müsse man "weg kommen von Einzelapplikationen und diesen kleinräumigen, meist nur im Studien-Setting verfolgten Telemedizin-Anwendungen". Was jetzt noch im akademischen Umfeld angesiedelt sei, müsse in Richtung Routineanwendung gebracht werden.
Unterstützung für ältere Personen
Auf mögliche Probleme für ältere Personen durch diese neuen Möglichkeiten, wies Czypionka hin: "Wenn ich Terminvereinbarungen elektronisch abwickle oder Wartezeiten im Internet veröffentlicht werden, müsste der Patient einen Computer bedienen können. Oder aber das Gesundheitspersonal muss sich darauf einstellen, älteren Menschen dabei zu helfen, zu diesen Informationen zu kommen." Da brauche es einiges an Unterstützung.
Dass auch nicht so technik-affine Ärzte mit der Digitalisierung überfordert sein könnten, erwarten die Experten nicht. Befunde würden ja jetzt schon am Computer aufgerufen und im Hinblick auf vor der Tür stehende Innovation wie IBMs Watson (siehe "'Augmented Intelligence' wird den Arzt nicht ersetzen") wird auf einen Generationenwechsel in den kommenden Jahren verwiesen.
"Jeder der heute Medizin studiert, ist mit Handy und Computer aufgewachsen. Da würde ich mir nicht zu viele Sorgen machen, dass die das nicht zusammenbringen", so Czypionka, der davor warnt, noch mehr in das Medizin-Studium "hineinzupressen". "Diese Dinge lernen die angehenden Ärzte spätestens im Spital, das hat nichts mit dem Studium zu tun. Die Jungen sind ohnehin auf einem ganz anderen Level, was den Umgang mit digitalen Technologien betrifft", stimmte Schwaiger zu.
Keine klinischen Studien bei veralteter IT
Auch in den Krankenhäusern sei das medizinische Personal mit digitalen Technologien konfrontiert – allerdings in sehr unterschiedlichem Ausmaß. "Es gibt sehr fortgeschrittene, wo mit dem Tablet Überweisungen gemacht und Befunde angefordert werden. Und es gibt welche mit sehr veralteter IT-Infrastruktur. Das ist aber eine Entscheidung des Krankenversicherungsträgers, da zu investieren oder nicht", stellte Czypionka im Gespräch mit APA-Science fest. Ein Problem sei, dass die IT-Infrastruktur einen wesentlichen Faktor für klinische Studien darstelle: "Ein Krankenhaus, das an solchen Studien teilnehmen will, braucht gute Systeme, weil es große Datenmengen gibt, die rasch erhoben und verarbeitet werden müssen."
Die digitale Infrastruktur spiele auch bei der Qualitätssicherung eine große Rolle. "Mit elektronischen Daten ist das wesentlich einfacher zu handhaben, weil ich besser auswerten kann", erklärte der Gesundheitsökonom. Bei der standardisierten Dokumentation seien die Spitäler momentan mit Abstand führend, während viele Gesundheitsberufe – etwa im Bereich Pflege oder bei MTD-Berufen (Medizinisch-technische Dienste) – überhaupt keine verbindenden Standards haben, so Mischak: "Genau das sind auch Dinge, mit denen wir uns in der Forschung befassen".
Für Qualität braucht es Transparenz
Recht großen Nachholbedarf gebe es auch hinsichtlich der Transparenz. In Deutschland müssten Krankenhäuser alle zwei Jahre im Internet einen Qualitätsbericht veröffentlichen, der zum Beispiel Angaben zum Diagnose- und Behandlungsspektrum, zur Häufigkeit einer Behandlung, zur Personalausstattung und Anzahl der Komplikationen sowie zur Barrierefreiheit enthält. Das sei auch für Österreich dringend anzuraten, sagte Mischak: "Es wäre sehr wohl auch ein E-Government-Thema, dass man einen Wettbewerb über Qualität startet. Weil alles was der Bürger (über Spitäler; Anm.) weiß, ist Mundpropaganda."
Österreich sei, was Transparenz betrifft, generell sehr zurückhaltend. Das betreffe auch die Krankenhäuser, pflichtete Czypionka bei. Es habe sehr lange gedauert, die Qualität im Spital verpflichtend zu erheben. Dieses System sei aber eher rudimentär, weil es nur auf Routinedaten setze. In Deutschland würden auch Prozesse erfasst. Generell warnt er vor falschen Rückschlüssen beim Vergleich bestimmter Kennzahlen: "Wenn ein Krankenhaus eine höhere Mortalität hat, kann das daran liegen, dass die Leute dort schlecht arbeiten oder auch daran, dass das Spital bereit ist, kränkere Menschen aufzunehmen. Das muss man berücksichtigen."
Von Stefan Thaler / APA-Science