Appell zur Mobilitätswende vor Parteitag der Wiener SPÖ
Mit einem "wissenschaftlichen Appell" haben sich am Freitag drei Vertreter der Scientists for Future Österreich in einer gemeinsam mit "Diskurs. Das Wissenschaftsnetz" veranstalteten Online-Pressekonferenz an die Wiener SPÖ gewendet. "Mut zur Mobilitätswende" will man den Delegierten vor dem Parteitag am Samstag machen und erinnerte sie in einem offenen Brief an das selbst gesetzte Ziel einer Halbierung des motorisierten Individualverkehrs (MIV), der bis 2030 erfolgen soll.
Im Mai 2014, also vor acht Jahren, wurde ein solcher Plan als Teil der "Smart City"-Rahmenstrategie vom damaligen Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) gemeinsam mit seiner Vize-Stadtchefin Maria Vassilakou (Grüne) vorgestellt. Aktuell sei auch die jetzige Wiener Stadtregierung durchaus auf dem richtigen Weg, doch brauche es zusätzliche Maßnahmen, "stattdessen werden neue Straßen und Autobahnen geplant und vorangetrieben, die zu einer Erhöhung des MIV beitragen". "Besonders zweifelhaft ist in diesem Zusammenhang das Festhalten an neuen hochrangigen Straßen wie der S1/Lobauautobahn samt Lobautunnel sowie der 'Stadtstraße' in den Dimensionen einer Autobahn", heißt es in dem Brief.
Mit besagten Schreiben wollen die "23 der führenden Expert:innen für Mobilität und Stadtplanung" jedoch nicht kritisieren, sondern "diejenigen Stimmen in der SPÖ, die für eine echte Mobilitätswende eintreten, unterstützen. Am Stadtrand und in den Stadterweiterungsgebieten braucht es zusätzliche Busse und Schnellbusse", lauten die dahin gehenden Vorschläge von Renate Christ, der ehemaligen Leiterin des Sekretariats des Weltklimarats (IPCC), um diese Wende zu erreichen. Sie betonte unter Hinweis auf ebenjenen Weltklimarat die Rolle grüner und blauer Infrastruktur im städtischen Bereich. "Wien bietet strukturell viele Möglichkeiten", stellte sie fest und nannte eine grüne Ringstraße als Beispiel. Auch eine flächendeckende Einführung von Tempo 30 brauche es und zur im Brief geforderten "autofreien Innenstadt" sagte Christ, dass dies nur eine erster Schritt sein könne, es sollte auch in andere Bezirken autofreie Flächen geben, und "nicht nur für die Touristen".
Lockdown brachte "historisches Hoch an aktiver Mobilität"
Auch Verkehrswissenschafter Paul Pfaffenbichler meldete sich online zu Wort und erinnerte daran, dass der Lockdown als positive Nebenerscheinung ein "historisches Hoch an aktiver Mobilität" gebracht habe. "Beinahe 50 Prozent der Wege wurden 2020 mit dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt" so Pfaffenbichler. Normalerweise sind es nur 35 Prozent und "Pull-Maßnahmen im Bereich des motorisierten Individualverkehrs, wie z.B. die Errichtung neuer hochrangiger Straßen, sind dabei in jedem Fall kontraproduktiv", warnte der Experte für Mobilitätsverhalten.
Als abschließende und dritte der drei Scientists for Future hob Julia Dorner von der Technischen Universität Wien die Fragen sozialer Gerechtigkeit hervor. So hätten Personen mit hohem Einkommen mehr Möglichkeiten den negativen Umweltbelastungen in der Stadt zu entkommen als Einkommensschwache, angefangen von einer leistbaren Klimaanlage bis hin zum Zweitwohnsitz. "Ein Verringerung der Pkw-Nutzung hat daher positive Auswirkungen für die sozial schlechter Gestellten". Grundsätzlich ginge jedoch Wien einen richtigen Weg, sagte Dorner, aber mehr Maßnahmen seien nötig. Wien habe in der Corona-Krise den Mut gehabt, auch unpopuläre Maßnahmen zu setzen, "das sollte auch in diesem Bereich geschehen", schloss die Expertin für Lebensqualität im Stadtgebiet.
Service: Offener Brief: http://go.apa.at/rhL9GqED
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