Wie Silicon ist Austria?
Hinter den Silicon Austria Labs (SAL) verbirgt sich viel Ambition: Bis 2023 soll daraus das drittgrößte Forschungszentrum Österreichs werden und bis zu 400 Mitarbeiter sollen exzellente Spitzenforschung im Bereich elektronisch basierter Systeme erbringen. Wo sich das Mammutprojekt auf dem Weg dorthin befindet und was bis dahin noch zu bewältigen ist, hat sich APA-Science genauer angesehen.
Dem offiziellen Gründungsakt der "Silicon Austria Labs GmbH" am 14. Dezember 2018 gehen viele Jahre der strategischen Überlegungen über eine Stärkung von europäischen und österreichischen Schlüsseltechnologien voraus. Um das Jahr 2015 hat man laut Michael Wiesmüller vom Infrastrukturministerium (BMK) begonnen, "den Sektor in Österreich wirklich in der Tiefe zu analysieren, also besser zu verstehen, wo die österreichische Elektronikindustrie in den europäischen und globalen Wertschöpfungsketten positioniert ist". Die Arbeitshypothese, so der Experte im Gespräch mit APA-Science (siehe "Was sich die Eigentümer von SAL erwarten"): "Wir brauchen Forschungskapazitäten, die weit über dem liegen, was wir bisher in Österreich kennen und wir müssen zugleich beim Aufbau so eines Ökosystems darauf achten, die Fragmentierung aufzulösen beziehungsweise zusammenzuführen in eine große Forschungseinrichtung."
Die Größenordnung bestehender Einrichtungen in Österreich, wie etwa die sich "positiv bewährenden" COMET-Kompetenzzentren, erschienen vom Maßstab her zu klein für diese Vision, erinnert sich Werner Luschnig, der als erster SAL-Geschäftsführer die Geschicke des Zentrums bis 1. April geleitet hat und auch fortan dem neuen Geschäftsführer Gerald Murauer beratend zur Seite stehen wird. "Man hat das verglichen mit dem Fraunhofer Institut und anderen Zentren in Europa und hat gesehen, dass im Bereich elektronische Systeme in Österreich etwas fehlt im Vergleich zum höher entwickelten Ausland", so Luschnig.
"Ökosystem für strategische Industrie"
Alle Überlegungen bis zu diesem Punkt fasst Wiesmüller so zusammen: "Wir schaffen ein Ökosystem für die strategische Industrie des 21. Jahrhunderts." Obwohl das Projekt anfangs schleppend auf den Weg gebracht wurde und es dem Vernehmen nach einiges politisches Tauziehen zwischen den Standorten gegeben hat, sind die Meilensteine bis heute schnell erzählt (siehe auch nebenstehende Grafik). Bei den Technologiegesprächen des Europäischen Forums Alpbach im August 2016 wurde die Gründung des Forschungszentrums "Silicon Austria" beschlossen, zwei Jahre später erfolgte ebendort der Startschuss für das Projekt. Aus der im Herbst 2016 als 100-prozentige Tochterfirma des Austrian Institute of Technology (AIT) gegründeten Errichtungsgesellschaft entstand im Dezember 2018 die eigenständige "Silicon Austria Labs GmbH". Der bis dahin als Projektleiter tätige Luschnig wurde Geschäftsführer.
Neben dem Infrastrukturministerium als größtem Anteilseigner (50,1 Prozent) steht SAL im Eigentum der Bundesländer Steiermark, Kärnten (jeweils 10 Prozent) und Oberösterreich (4,95 Prozent) und dem Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie (FEEI) (24,95 Prozent). Bis 2023 werden bis zu 280 Millionen Euro in die Infrastruktur investiert. 140 Millionen Euro steuern der Bund und die drei beteiligten Bundesländer bei, 140 Millionen Euro sollen von der Industrie kommen. Das SAL-Headquarter ist an der Technischen Universität (TU) Graz angesiedelt, die anderen beiden Standorte befinden sich in Villach und Linz.
Geforscht wird in zehn Forschungsprogrammen, die sich auf die fünf Bereiche ("Research Divisions") Hochfrequenzsysteme, Leistungselektronik, Sensorsysteme (siehe "Sensoren, die Sinnesorgane der Technik"), Embedded Systems und System Integration Technologies (siehe "Systemintegration ist die DNA der Silicon Austria Labs") verteilen. Der Anspruch ist es, gleichzeitig Spitzenforschung zu betreiben und laufend die bis 2023 dafür erforderlichen gut 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu rekrutieren (Stand derzeit: rund 150). Ein Balanceakt, wie der neue Geschäftsführer Gerald Murauer einräumt: "Das ist eine große Herausforderung." Dem Aufbauprozess und dem allgemeinen Fachkräftemangel geschuldet gebe es noch wesentliche Kompetenzbereiche wie etwa modellbasierter Systementwurf und Edge Computing, "wo wir noch keine Leute haben". Der Wirtschaftsingenieur hat unter anderem bereits beim Institute of Science and Technology (IST) Austria und als Siemens-Geschäftsführer beim Aspern Smart City Forschungszentrum Aufbauarbeit geleistet. "Was ich gelernt habe: Qualität ist wichtiger als Geschwindigkeit", so Murauer über seine Erfahrungen, die er auch bei SAL einfließen lassen will.
Auf Qualität setzt man auch beim rund 150 Seiten umfassenden Forschungsprogramm, das die Forschungsförderungsgesellschaft FFG, die mit der begleitenden Qualitätssicherung beauftragt wurde, mit internationalen Experten evaluiert hat. Bei einigen Themen kam es zu Nachschärfungen, inhaltlich sei das Programm aber gut bewertet worden "und soweit auf Schiene", erklärt Thomas Lüftner, Chief Technology Officer (CTO), im Gespräch mit APA-Science. Basierend auf bestimmten Schwerpunkten, den sogenannten Major Research Topics, wurden zur strategischen Kompetenzentwicklung intern Forschungsprojekte mit SAL-Mitarbeitern ohne Industriebeteiligung aufgesetzt.
Strategische Forschung mit Unis
Bei dieser strategischen Forschung werden bewusst Kooperationen mit Universitäten gesucht, um auf deren Expertise aufzusetzen. Dazu hat man - mit den Christian Doppler-Labors (CD-Labors) als Vorbild - das Modell der "SAL Uni Labs" entwickelt. Hier werden Forscher mit den Universitäten kofinanziert. "Die Hälfte zahlen wir, die andere Hälfte die Unis. Da kommt wirklich frisches Geld von den Rektoraten rein", so Lüftner: "Die Uni-Forscher arbeiten dann gemeinsam mit unseren SAL-Mitarbeitern in gemeinsamen Projekten an strategischen Themen. Das sind Forschungsgruppen von rund 15 Mitarbeitern, von der Uni und uns, die gemeinsam in einem Lab arbeiten."
Mit der TU Graz wird in zwei Labs Grundlagenforschung betrieben, einerseits zur Sicherheit und Zuverlässigkeit von integrierten Systemen mit eingebetteter Software, andererseits zur elektromagnetischen Verträglichkeit und Koexistenz zukünftiger elektronischer Systeme. Mit der Johannes Kepler Universität (JKU) in Linz sind ebenfalls zwei Labs geplant: Themen sind Hochfrequenztechnik für Radar- und 6G-Kommunikation im hohen Gigahertz-Bereich sowie integrierte Schaltungen und Signalverarbeitung mit eingebetteter Künstlicher Intelligenz. Ein weiteres Lab wird mit der Fachhochschule Kärnten (Villach) betrieben, Gespräche über eine Zusammenarbeit gibt es laut Lüftner auch mit der Universität Klagenfurt.
Durch ein gemeinsam mit den drei Standort-Universitäten aufgesetztes Doktoratskolleg will man außerdem internationale Doktoratsstudierende nach Österreich holen, um sich nicht gegenseitig Personen abzuwerben, erklärt Horst Bischof, Vizerektor für Forschung an der TU Graz (siehe auch "Das Rückgrat wissenschaftlicher Forschung: ein Doktoratskolleg"): "Wir auf der Uni brauchen die Personen, bei SAL braucht man die Personen, die Firmen brauchen die Personen. Man will sie sich nicht gegenseitig abwerben, sondern von außen holen", denn in Österreich sei der Markt diesbezüglich "mehr als leer".
Kooperative Projekte mit der Industrie
Mit der Industrie sind derzeit rund zehn kooperative Projekte im Laufen, etwa die "Tiny Power Box" im Bereich Leistungselektronik (siehe "Klein aber fein - ein Blick auf die Leistungselektronik"). Dabei geht es um einen Onboard-Charger für Elektroautos. In Linz wird beispielsweise gemeinsam mit Infineon und der voestalpine an Radartomografie für nicht-invasive Materialcharakterisierung gearbeitet (siehe "Forschen mit hoher Frequenz").
"Es gibt also ganz konkrete Industrieprojekte quer durch das Programm, die schon gestartet sind. Unser größter Partner ist Infineon, dann gibt es Intel, die ams AG, AT&S, AVL List, Fronius, die EV Group, die voestalpine, NXP und TDK. Zum Teil sind diese Firmen in einem Projekt gemeinsam drinnen, zum Teil sind es rein bilaterale Projekte, wo wir nur mit einem Unternehmen kooperieren", erklärt Lüftner, der selbst aus der Halbleiterindustrie kommt. Die meisten Projekte hätten erst im Laufe des vergangenen Jahres begonnen und seien auf zwei, drei Jahre aufgesetzt, "da sind wir schon noch im Anfangsstadium".
Generell sei das strategische Commitment der Industrie sehr hoch. Wenn es aber um konkrete Projekte gehe, merke man eine gewisse Zurückhaltung, da sich SAL erst beweisen müsse. "Unsere erste Aufgabe ist also: Wir starten mit kleineren Projekten und erarbeiten uns eine Reputation, damit die Firmen Vertrauen gewinnen. Damit steigt dann auch das Volumen", so Lüftner. Aufgrund der Zurückhaltung der Industrie und der aktuellen wirtschaftlichen Eintrübung sei man derzeit hinter den Plänen zurück.
Zehn Jahre bis zur Weltspitze
Der alte und neue Geschäftsführer sind sich darin einig, dass der angestrebte Weg an die Weltspitze der Mikroelektronik gut und gerne zehn Jahre brauchen wird. Als Maßstab nennt Werner Luschnig die Fraunhofer Gesellschaft, "die hat insgesamt 25.000 Mitarbeiter, davon sind etwa 10.000 im Bereich der Mikroelektronik und elektronischen Systeme tätig. Deutschland ist vom Skalieren her immer zehn Mal so groß wie wir, also wenn wir in 10 bis 15 Jahren einmal 1.000 Mitarbeiter haben, dann sind wir dort, wo Fraunhofer schon heute ist." Gegen Ende der Laufzeit seines eigenen fünfjährigen Vertrages wünscht sich Gerald Murauer wiederum, "in der europäischen Champions League der Forschung zumindest einmal mitzuspielen".
Von Stefan Thaler und Mario Wasserfaller / APA-Science