Unwetter - Deutsche Studie: Wahl-Bonus für Landesväter und Grüne
Naturkatastrophen wirken sich auf Wahlen aus. International gibt es viele Beispiele dafür, allen voran die spektakuläre Wiederwahl des sozialdemokratischen deutschen Kanzlers Gerhard Schröder nach dem verheerenden Elbhochwasser im Jahr 2002. Auch vor der Wahl 2021 gab es in Teilen Deutschlands eine Hochwasserkatastrophe. Eine Studie dazu zeigt, dass in den am stärksten betroffenen Gebieten die jeweiligen Regierungschefs sowie die Grünen profitiert haben.
Zwei Monate vor der Bundestagswahl 2021 war es im Westen, Osten und Südosten Deutschlands zu einem Unwetterereignis gekommen. Die damalige Konstellation ist vor allem deshalb lohnend, weil sich die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht der Wiederwahl stellte und die betroffenen Länder Regierungschefs unterschiedlicher Couleur hatten. Die Politikwissenschafter Sebastian Pink und Johannes Schmidt von der Universität Mannheim konnten somit untersuchen, ob sich das jeweilige regionale Krisenmanagement in Wählerstimmen ummünzen ließ.
Kein bundesweiter Effekt
Unter anderem anhand von Satellitenbildern zerstörter Gebäude identifizierten Pink und Schmidt insgesamt 93 Gemeinden in den Bundesländern Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Bayern, die besonders stark vom Unwetter betroffen waren. Die dortigen Wahlergebnisse setzten sie dann in Relation zu denen von Gemeinden, die nicht von Unwettern betroffen waren. Dabei zeigte sich kein bundesweiter Effekt - weder für die scheidende Kanzlerin Angela Merkel noch für ihren Vizekanzler und Herausforderer Olaf Scholz, obwohl beide starke Präsenz in den Unwettergebieten gezeigt haben.
Vielmehr gab es einen klaren Bonus für die jeweilige Ministerpräsidentenpartei (CDU/CSU in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Sachsen, SPD in Rheinland-Pfalz). Besonders stark fiel dieser für die Unionsparteien aus. Sie schnitt in den Unwettergemeinden um 6,6 Prozentpunkte besser ab als in den restlichen Gemeinden der vier Bundesländer. Im Fall der SPD betrug der Bonus drei Prozentpunkte. In der Endabrechnung hatte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet das Nachsehen: Er unterlag als Unions-Kanzlerkandidat seinem SPD-Herausforderer Olaf Scholz. Die Studie von Pink und Schmidt weckt jedoch Zweifel daran, dass Laschets Fehltritt bei einer Gedenkfeier für die Flutopfer - Bilder zeigten ihn lachend -, entscheidend war.
Dagegen bestätigt die deutsche Studie die Hypothese, dass die Unwetterbetroffenen eher die Grünen wählen. Bündnis 90/Die Grünen wies in den betroffenen Gemeinden im Mittel einen Bonus von 3,2 Prozentpunkten auf, heißt es weiter in der Studie mit dem Titel "Das Wetter ist politisch - Starkregen, Hochwasser und Flut vor der Bundestagswahl 2021", die im Vorjahr in der Zeitschrift für Politikwissenschaft veröffentlicht wurde.
Untersuchungen reichen bis zur US-Präsidentenwahl 1916 zurück
Die Autoren verweisen in ihrem Artikel auch auf die reichhaltigen Forschungserkenntnisse zu Auswirkungen von Naturereignissen auf Wahlen. Die Untersuchungen reichen bis zur US-Präsidentenwahl 1916 zurück, bei der nachgewiesen werden konnte, dass Amtsinhaber Woodrow Wilson bei seiner Wiederwahl in von Haiattacken betroffenen Gebieten von New Jersey um drei Prozentpunkte schlechter abschnitt als vier Jahre zuvor. In Schweden kostete die konservative Regierung eine Weigerung, Betroffenen nach dem verheerenden Sturm Gudrun im Jahr 2005 finanzielle Hilfe zur Verfügung zu stellen, vier Prozentpunkte bei der darauffolgenden Wahl.
Gut untersucht sind auch Zusammenhänge auf regionaler Ebene. So identifizierten US-Forscher im Jahr 2011 einen Wahlbonus von vier Prozentpunkten für amtierende Gouverneure, wenn sie nach Starkregenereignissen von der Zentralregierung in Washington finanzielle Unterstützung erhalten konnten. Eine italienische Studie aus dem Jahr 2021 zeigte einen Wahlbonus von fünf Prozentpunkten für Bürgermeister, die nach Erdbeben in ihrer Gemeinde zur Wiederwahl antraten.
"Voter gratitude"
Das theoretische Konzept hinter diesem Mechanismus wird von Politikwissenschaftern "voter gratitude" (Dankbarkeit der Wählerinnen und Wähler) genannt. Es basiert darauf, dass Regierende anders als Oppositionspolitiker Zugang zu finanziellen Mitteln haben, um Betroffenen von Unwettern zu helfen. Zudem können Wählerinnen und Wähler vom Umgang der Entscheidungsträgerinnen und -träger Erwartungen für ihre künftige Tätigkeit ableiten. Wird diese positiv eingeschätzt, ist ein positiver Effekt auf die Wahlentscheidung anzunehmen. Doch zeigt die Studie von Pink und Schmidt, dass dieser Effekt nicht nur in eine Richtung wirkt. Insbesondere lässt sich das bessere Abschneiden der Grünen - nur in zwei der vier Bundesländer ein Regierungs-Juniorpartner und sonst in der Opposition - nicht mit dem Dankbarkeitskonzept erklären.