Psychiater Psota: ME/CFS und Long Covid ernst nehmen
Der Psychiater und Chefarzt des Psychosozialen Dienstes der Stadt Wien, Georg Psota, fordert bei Long/Post Covid bzw. ME/CFS mehr Aufmerksamkeit und Forschung ein. Im APA-Gespräch betonte er die Notwendigkeit, diese Erkrankungen ernst zu nehmen und die somatische (körperliche) Ursache anzuerkennen. "Enttäuscht" zeigte er sich vom Ergebnis der von der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) am Freitag vor einer Woche abgehaltenen Konsensuskonferenz zu diesem Thema.
In der ÖGN sei nicht ausreichend erkannt worden, "wie viele Menschen wirklich ernsthaft betroffen sind", sagte er mit Blick auf das Treffen, das ME/CFS bzw. "Postvirale Zustandsbilder" zum Thema hatte. Kritik übte der Facharzt für Psychiatrie und Neurologie vor allem daran, dass seitens der ÖGN-Vertreter nach der Konferenz nicht klar auf die somatische Ursache von ME/CFS und Long bzw. Post Covid hingewiesen wurde. Die Gesellschaft habe sich zwar "nicht ganz offen sagen getraut 'die Patienten haben alle nichts'. Aber man hat jedenfalls nicht gesagt, hier liegen ernsthafte komplexe Krankheitssyndrome vor, wo man etwas tun muss" - das sei "wirklich enttäuschend". Diese Haltung entspreche auch nicht dem internationalen Standard, so Psota.
Von der ÖGN würde er erwarten, "dass die neurologischen Probleme - die wirkliche Hardcore-Probleme sind - aktiv angesprochen werden". "Und dass ein Virus, das hirngängig ist, neurologische Probleme macht: wo ist das Überraschungspotenzial?", fragte der Mediziner. "Eigentlich würde ich mir von jeder Fachgesellschaft Österreichs erwarten, dass sie eine wissenschaftliche Haltung dazu einnimmt, wo es um Übersterblichkeiten geht." Auch verwies er darauf, dass Delirien mehr wurden: Dies passiere immer dann, "wenn Menschen direkte Hirn- oder Organschäden bekommen".
Zuschreibung Richtung psychischer Ursachen falsch
Zuschreibungen der Erkrankungen in Richtung psychischer Ursachen seien falsch, betonte Psota. Denn man könne - gerade aus psychiatrischer Sicht - klar zwischen psychischen Erkrankungen wie beispielsweise einer Depression und den bei Post Covid oder ME/CFS auftretenden (teils schweren) Erschöpfungszuständen unterscheiden. Bei der Konferenz Ende vergangener Woche wurde zwar von einzelnen Teilnehmern betont, dass der "ganz klare Konsens" bestanden habe, "dass das sicher eine körperliche Erkrankung ist", wie etwa ÖVP-Gesundheitssprecher Josef Smolle nach der Sitzung sagte. Seitens ÖGN-Past-President Thomas Berger wurde aber gleichzeitig darauf hingewiesen, dass aus Sicht der Neuroimmunologie klar sei, dass es "keine wissenschaftliche Evidenz" dafür gebe, dass ME/CFS eine tatsächliche neuroimmunologische Erkrankung sei. Auch könnten beim Long-Covid-Syndrom psychische Komorbiditätszahlen gefunden werden, betonte die ÖGN.
Für Psota sind derartige postvirale Zustandsbilder jedoch klar von psychischen Erkrankungen abzugrenzen. Auch kritisierte er, dass seitens eines Teils der Medizin immer wieder das Fehlen von eindeutigen Biomarkern als Beleg dafür genommen werde, dass es sich um keine somatische (körperliche) Erkrankung handle. In der Psychiatrie habe man ja ebenfalls keine Biomarker, die Krankheiten seien aber selbstverständlich anerkannt, zog er einen Vergleich.
Abgesehen davon gebe es sehr wohl Marker, die auf das Vorliegen von Long/Post Covid oder ME/CFS hindeuten, verwies Psota etwa auf die (einfache) Messmöglichkeit von Orthostase-Problemen wie POTS, bei dem der Puls beim Aufrichten ungewöhnlich stark ansteigt. Auch betonte er, dass man oft vorkommende Symptome wie Reizunverträglichkeiten gegenüber Licht, Geräuschen oder Gerüche klar erkennen könne.
PEM klar von Depressionen abgrenzbar
Auch die u.a. im Rahmen von Post Covid oder ME/CFS vorkommende schwere Belastungs-Entlastungsstörung PEM (Post Exertional Malaise) könne von Depressionen leicht abgegrenzt werden: Bei Depressionen liege ein verminderter Antrieb vor, bei PEM sei dieser unverändert stark, so Psota. Die Betroffenen würden deshalb auch oft über ihre individuelle Belastungsgrenze hinausgehen, bei der es durch oft banale Belastung zu einer wesentlichen Verschlechterung des Zustandes über Tage komme.
Psychosomatik sei etwas ganz anderes als ME/CFS, ebenso somatoforme Störungen. Probleme mit der psychischen Verarbeitung würden beispielsweise dann bestehen, wenn jemand in Ohnmacht fällt, weil man Blut sieht oder eine Nadelphobie hat - oder bei einer schweren Hypochondrie. Phänomene wie POTS sehe man auch bei trainierten Menschen, die mit derartigen Problemen erstmalig in ihrem Leben konfrontiert sind - etwa in Folge von Covid. "Das ist eine Regulationsstörung. Wie man auf die Idee kommen kann, dass das psychosomatisch ist, das ist unglaublich."
PEM werde mittlerweile weltweit anerkannt, "aber in Österreich nicht". "Das wird nicht halten", so Psota. "Ich glaube, dass das nicht die letzte Runde war und wenn der Druck auf die politische Dimension hochgehalten wird, dann wird da was rauskommen", erwartet sich Psota weitere Konsensustreffen.
Scharfe Kritik übte Psota im APA-Interview an all jenen, die die Impfung diskreditieren oder gar Errungenschaften wie die Polio-Impfung (gegen Kinderlähmung) anzweifeln, wie es etwa der deutsche Mediziner und Covid-Maßnahmenkritiker Sucharit Bhakdi am 12. April auf einer von der FPÖ abgehaltenen Veranstaltung in Wien getan hat ("Es gibt keinen Beleg für die Wirksamkeit"). FPÖ-Chef Herbert Kickl pries Bhakdi ebendort seinerseits als "Lichtgestalt für Freiheit und Gesundheit für Milliarden Menschen". "Wie irrational sind wir?", sagte dazu Psota, ohne die betroffenen Personen direkt anzusprechen.