"Et tu, Kunststoff: Quo vadis? - Eine Zukunftsprognose für Kunststoffe"
Kunststoffe, gemeinhin auch als Plastik bezeichnet, sind aus dem heutigen Alltag kaum mehr wegzudenken - sowohl in Form von Gebrauchsgegenständen wie beispielsweise Verpackungen als auch als vielfach kritisierter Dauergast in Diskussionen und Medienberichten: Seit der großtechnischen Produktion in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts sind laut einem Artikel der Fachzeitschrift Science Advances mittlerweile mehr als 8 Milliarden Tonnen Kunststoffe produziert worden, von denen ein Teil auf Mülldeponien lagert bzw. sich in der Umwelt anreichert. In jüngerer Zeit wird in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Verschmutzung der Weltmeere durch kleine Kunststoffpartikel verwiesen. Es kann selbstredend kein Zweifel daran bestehen, dass alle technischen Möglichkeiten ergriffen werden müssen, um den Eintrag von Kunststoffen in die Umwelt zu unterbinden und die bereits aufgetretenen Kontaminationen zu beseitigen - womit sich zwei Fragen stellen: erstens, welche Zukunftsprognose für Kunststoffe gestellt werden kann, und zweitens, ob wir derzeit den Wandel zu einer kunststofffreien Ära erleben.
Die zweite Frage, soviel gleich vorweg, lässt sich mit einem klaren Nein beantworten: Kunststoffe sind weit mehr als nur bequemes (günstiges) Verpackungsmaterial; ohne Kunststoffe gäbe es zum Beispiel keinen Computer und kein Smartphone, welche aber ohnehin obsolet wären, da auch die großflächige Stromversorgung nur mittels des Einsatzes von Kunststoffen möglich ist. Die hier an wenigen Beispielen erkennbare breite Verwendungsmöglichkeit für Kunststoffe resultiert aus der Vielzahl an verschiedenen Materialien, die unter dem Sammelbegriff Kunststoff zusammengefasst werden. Die Gemeinsamkeit aller Kunststoffe ist, dass sie aus Polymeren, also langkettigen Molekülen, bestehen. Diese Polymere können, wie im Fall der Massenkunststoffe Polyethylen PE, Polypropylen PP oder Polyvinylchlorid PVC, künstlichen Ursprungs sein; auch in der Natur finden sich mit Proteinen, dem Erbgutträger DNA, Zellulose und Stärke zahlreiche Polymere mit variablen Eigenschaften.
Durch chemische Umsetzung, Beimischung von Additiven, und Mischung verschiedener Polymere (sogenanntes blenden) entstehen aus Polymeren Kunststoffe, deren Eigenschaften sich in weiten Grenzen variieren lassen. Kunststoffe werden in die drei Gruppen (schmelzbarer) Thermoplaste, (vernetzter) Duromere und (dehnbarer) Elastomere unterschieden. Nachwachsende Polymere wurden schon früh von der Menschheit eingesetzt: Neben dem Einsatz von Holz (Zellulose) als Brennmaterial ist die Verwendung von Birkenpech als Klebstoff bereits seit dem Neandertaler-Zeitalter bekannt. Bei den heutzutage verwendeten Kunststoffen kann zwischen Massenkunststoffen mit dem Haupteinsatzgebiet als Verpackungsmaterial und den für Spezialanwendungen entwickelten Kunststoffen unterschieden werden. Zu den letztgenannten Materialien zählen die Funktionskunststoffe bzw. Hochleistungskunststoffe, die im Fokus der Materialforschung stehen.
Insbesondere die zunehmende thermische Belastung, welcher Funktionskunststoffe während des Betriebs von elektrischen Geräten ausgesetzt sind, ist der Antriebsmotor für eine Vielzahl der heutigen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Kunststoffe werden unter anderem als nicht-elektrisch leitfähiges Isolationsmaterial eingesetzt, beispielsweise zur Kabelummantelung oder als Adhäsiv/Klebstoff bzw. Folie in Mehrschichtaufbauten. Aufgrund der zunehmend kompakten Bauweise bzw. der höheren Leistungsdichte von Smartphones und Computern einerseits als auch von Generatoren und Transformatoren andererseits steigt die pro Volumeneinheit entstehende Wärme kontinuierlich an. Somit müssen die thermische Beständigkeit (für die Langlebigkeit der Geräte), die Wärmeleitfähigkeit (zum Abtransport der Wärme) und die wärmeinduzierte Ausdehnung der Kunststoffe (für die Stabilität von Mehrschichtenaufbauten) optimiert werden.
In Österreich widmet sich ein internationales Team bestehend aus Partnerunternehmen aus den Branchen Mikroelektronik, e-mobility und Hochspannungstechnik sowie Universitäten in den Projekten PolyComp und PolyTherm (gefördert durch die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft FFG und die Steirische Wirtschaftsförderung SFG) der Entwicklung von Hochleistungskunststoffen an der Schnittstelle von Polymerwissenschaften und Elektrotechnik. In diesen Projekten werden sogenannte Kompositmaterialien entwickelt, bei denen es sich um Werkstoffe aus Kunststoffen und Füllstoffen handelt, die im Vergleich zum ungefüllten Kunststoff erhöhte dielektrische Stabilität aufweisen. Neben dem thermischen Anforderungsprofil sind dabei die Aspekte der Umweltverträglichkeit von besonderer Bedeutung, also der Ersatz erdöl-basierender Grundstoffe durch nachwachsende Ressourcen wie das Milchprotein Kasein oder Fettsäuren aus Kokosnüssen, die Rezyklierbarkeit der Kunststoffe durch leicht-spaltbare chemische Bindungen und der Austausch bedenklicher Additive wie beispielsweise das viel zitierte Bisphenol A.
Apropos Kompositmaterialien: Verbundwerkstoffe werden eingesetzt, wenn die Eigenschaften eines Kunststoffs alleine - wie etwa die mechanische und/oder dielektrische Stabilität - für eine Anwendung nicht ausreichend sind. Im Bereich Aeronautics (Flugzeugbau) werden faserverstärkte Kunststoffe für den treibstoffsparenden Leichtbau bei gleichzeitig hoher mechanischer Beanspruchbarkeit eingesetzt. In der Elektrotechnik weisen Nanokomposite, also mit nanoskalierten Füllstoffen versehene Kunststoffe, optimierte Eigenschaften auf, die eine zunehmend kompaktere und damit ressourcenschonendere Bauweise ermöglichen; diese Eigenschaft wird durch die Bezeichnung Nanodielektrika gewürdigt. Auch im Bereich der Medizintechnik finden Nanokomposite Anwendung, dort oftmals aufgrund derer verbesserter mechanischer Eigenschaften.
Damit wird es Zeit, die noch offene erste Frage zu beantworten, welche Zukunftsprognose für Kunststoffe gestellt werden kann. Hierbei muss deutlich zwischen den Massenkunststoffen und den Funktionskunststoffen bzw. Hochleistungskunststoffen unterschieden werden. In der Gruppe der Massenkunststoffe stehen sich die Entsorgungsproblematik und der Aspekt der leichten und kostengünstigen Zugänglichkeit von Verpackungsmaterialien diametral gegenüber. Hierbei können kompostierbare Verpackungen als Kompromiss verstanden werden, die aber im Vergleich zu erdöl-basierenden Kunststoff-Verpackungen höherpreisig sind und sich bisher nicht flächendeckend durchsetzen konnten. Funktionskunststoffe sind hoch-entwickelte Materialien, die stetig weiter optimiert werden, und dem Hochpreis-Sektor zuzuordnen sind. Es handelt sich dabei um Kunststoffe, die nicht hinreichend durch andere Materialklassen ersetzt werden können. In den Anwendungen und vermutlich deshalb auch in den öffentlichen Diskussionen sind sie oft unsichtbar; für die Diskussion und Darstellung der großen Materialklasse der Kunststoffe ist aber eine differenzierte Betrachtung zwingend notwendig. Das gilt sowohl für die umfassende Betrachtung des vielfältigen Spektrums der Kunststoffe als auch für die Entwicklung und Vereinbarung zukünftiger Umgangsweisen mit Kunststoffen, abhängig von ihrer Art und Anwendung.