"Neue Rohstoffe für Kunststoffprodukte durch die industrielle Mikrobiologie"
Kunststoffe sind weit mehr als das Material aus denen Plastiksackerln und Trinkhalme gefertigt werden. Viele Kunststoffe sind Hochleistungsmaterialien, deren Eigenschaften genau an die Anwendungen, für die sie vorgesehen sind, angepasst wurden. Tatsächlich wäre unser modernes Leben in der gegenwärtigen Form nicht vorstellbar ohne diese Vielzahl an Materialien, die uns umgibt. Ihnen gemeinsam ist ihr Aufbau aus sehr langkettigen Molekülen, deren wichtigster Bestandteil Kohlenstoff ist. Ihr Aufbau ist die Grundlage für ihre Vielseitigkeit - aber genau hier liegen auch die Herausforderungen: Kohlenstoff als Ressource bedeutet im allgemeinen Erdöl als Basis und die künstlichen Ketten sind oft kaum oder nur extrem langsam abbaubar, wenn sie in der Natur landen.
Der Gebrauch von Kunststoffen sollte also mit Verstand erfolgen. Während eine vollständige Eliminierung dieser nützlichen Materialien weder sinnvoll noch zielführend scheint, sollte die Anwendung nur dann erfolgen, wenn sie notwendig ist und beim Design der Kunststoffe sollte auf die Herkunft des Kohlenstoffs und die Bioabbaubarkeit (wo möglich und sinnvoll) geachtet werden. Wenn nicht Erdöl die Grundlage der Kunststoffherstellung sein soll, bleibt im Prinzip nur atmosphärisches Kohlendioxid, das jedoch zuerst fixiert werden muss.
Chemische oder mikrobielle Prozesse, die CO2 zu brauchbaren Grundstoffen fixieren, wären wünschenswert - sind zurzeit aber reine Zukunftsmusik. Die einzige im Moment effiziente erneuerbare Kohlenstoffquelle sind Pflanzen. Holznutzung ist ein Beispiel für die direkte Anwendung pflanzlichen Materials, Baumwolle ein anderes. Aber auch andere pflanzliche Produkte - wie beispielsweise Zucker - sind geeignete Rohstoffe für die chemische oder biotechnologische (mikrobielle) Herstellung von einer weiten Palette von Kunststoffprodukten.
Nebenströme verstärkt nutzen
Man muss sich dabei aber immer vor Augen halten, dass die Landnutzung für den Pflanzenbau in erster Linie die Grundlage für die menschliche Ernährung ist. Eine vernünftige Politik ist daher gefragt, die die Ernährung sicherstellt und in zweiter Linie dafür sorgt, dass auch unsere Materialbedürfnisse befriedigt werden können. Idealerweise werden Nebenströme der Land- und Holzwirtschaft genutzt, um unseren Bedarf abseits der Ernährung zu befriedigen. Ein solcher Nebenstrom, der bei der industriellen Nutzung von Pflanzenöl entsteht, ist Glycerin. Bei der Gewinnung von Fettsäuren für Nahrungsmittel oder als chemische Grundstoffe, aber auch bei der Herstellung von Biodiesel fallen jährlich Millionen Tonnen an Glycerin an, die ein ernstes Umweltproblem darstellen. Die Nutzung dieser Ressource steht in keinem Wettbewerb mit der Nahrungsmittelproduktion sondern löst eher ein Abfallproblem.
Im Christian Doppler Labor für Glycerinbiotechnologie forschen wir an Lösungen, wie wir dieses Glycerin mikrobiell weiterverarbeiten können. Wir konnten einen Prozess entwickeln, um mit Hilfe von Milchsäurebakterien Glycerin in 1,3-Propandiol (PDO) umzuwandeln. Aus PDO lassen sich Fasern herstellen, die wiederum zu Kleidung, Taschen oder Teppichen weiterverarbeitet werden können. Solche Kunstfaserteppiche zeichnen sich durch hohe Belastbarkeit und Fleckenunempfindlichkeit aus, und sie nehmen keine Gerüche an. So kann im Endeffekt aus Abfall ein Hochleistungskunststoff hergestellt werden, wobei die zentrale Rolle bei diesem Prozess ein Milchsäurebakterium spielt, das aus österreichischen Alpenkräutern isolierbar ist.
Polymilchsäure (PLA) ist ein Beispiel für einen Kunststoff, der nicht nur biobasiert, sondern auch biologisch abbaubar ist. Milchsäure kann auch mit Milchsäurebakterien hergestellt werden, in diesem Fall ist der Rohstoff aber Zucker. Polymilchsäure ist eine biologische Alternative für PET und damit für billige Massenanwendungen. Um mit PET konkurrieren zu können, muss es daher genauso billig sein. Die Konsumentinnen und Konsumenten sind schlussendlich kaum bereit, mehr zu bezahlen - auch wenn eine umweltfreundlichere Alternative prinzipiell begrüßt wird. Soll also der Markt verändert werden, muss der Biokunstoff genauso billig angeboten werden, wie die Erdölvariante. Hier liegt nun genau die Herausforderung. Technisch ist PLA in bester Qualität herstellbar und bereits auf dem Markt. Preislich ist es aber noch nicht wirklich in der Breite konkurrenzfähig - auch wenn es beispielsweise in Italien Mineralwasser gibt, das in PLA-Flaschen angeboten wird.
Einer der Gründe für den hohen Preis ist die Aufarbeitung der Milchsäure, um als neuer Rohstoff für die Kunststoffherstellung zur Verfügung zu stehen. Mikrobiologische Prozesse haben den Vorteil, dass sie - im Gegensatz zu vielen chemischen Prozessen - unter milden Bedingungen ablaufen (keine hohen Temperaturen, keine hohen Drücke) und dass Wasser üblicherweise das einzige notwendige Lösungsmittel ist. Der Nachteil ist, dass das Produkt meist in niedrigen Konzentrationen in großen Wassermengen vorliegt, die Isolierung daher aufwändig und somit teuer ist. Im Rahmen des Spin-off-Unternehmens Syconium Lactic Acid GmbH forschen wir in Zusammenarbeit mit dem Austrian Centre of Industrial Biotechnology (ACIB GmbH) und der Universität für Bodenkultur an einem neuartigen Prozess zur Herstellung von Milchsäure als Rohstoff für Bioplastik. Als Produktionsorganismus kommt hier eine rekombinante Bäckerhefe zum Einsatz, die eine Prozessführung erlaubt, die die Aufreinigung viel billiger macht als beim herkömmlichen Prozess mit Milchsäurebakterien.
Adipinsäure ist ein weiteres interessantes Beispiel für ein Kunststoffausgangsprodukt, für das wir in unserer Forschungsgruppe einen mikrobiellen Herstellungsprozess zu entwickeln versuchen. Diese Säure ist ein Ausgangsstoff für die Produktion von Nylon, einem Material der Zukunft, aus dem nicht nur Strümpfe hergestellt werden, sondern auch besonders halt- und belastbare Seile für die Konstruktion von Brücken.
Adipinsäure kommt in der Natur nicht vor - es ist auch kein natürlicher Stoffwechselweg bekannt, der zu Adipinsäure führen würde. Hier hilft uns die synthetische Biologie weiter, um einen Stoffwechselweg zu konstruieren, der aus Zucker die begehrte Säure macht. Unser Ansatz nimmt seinen Anfang im Pansen der Kuh, wo ein Bakterium lebt, das einen Teil des Stoffwechsels besitzt, den wir brauchen. Der andere Teil des künstlichen Stoffwechselweges, stammt aus einem Bakterium, das sich dadurch auszeichnet, auf Benzin wachsen zu können. Biodiversität spielt also eine ganz bedeutende Rolle als Grundlage für synthetischen Möglichkeiten. Sie hat daher aller größte Bedeutung für unsere Gesellschaft. Schutz und Erforschung - auch der mikrobiellen - Biodiversität müssen daher ein großes Anliegen von uns sein.
Der Einsatz von erneuerbaren, pflanzlichen Rohstoffen für die Kunststoffproduktion ist ein aktiver Beitrag zum Klimaschutz: Der Kunststoff speichert für die Dauer seines Lebenszyklus Kohlendioxid aus der Atmosphäre und erspart den Verbrauch von Erdöl. Dient beispielsweise Zucker als Ausgangsstoff für ein polymerisierbares Zwischenprodukt, stecken später in jedem Kilogramm des rein biobasierten Kunststoffes über zwei Kilogramm CO2, das die Pflanzen zuvor aus der Atmosphäre gebunden haben. Es ist daher erstrebenswert, weitere derartige Prozesse zu entwickeln.
Mehr und bessere Kooperation
Grundsätzlich betrachtet gibt es zwei mögliche Wege, um Erdöl mit Hilfe mikrobieller Prozesse durch nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen: Zum einen kann versucht werden, Chemikalien, die die Petrochemie jetzt zur Verfügung stellt, biobasiert herzustellen und somit identische Kunststoffe zu erzeugen. Die dahintersteckende Chemie ist aber oft weit von den natürlichen Vorgängen im mikrobiellen Stoffwechsel entfernt - entsprechend schwierig ist daher oft die Prozessentwicklung. Ebenso sind die Produkte in den seltensten Fällen bioabbaubar. Adipinsäure und Nylon sind dafür Beispiele. Ein anderer Zugang ist, neue Materialien auf Basis natürlicher Substanzen zu entwickeln, PDO für Kunstfasern ist ein Beispiel, Bernsteinsäure als neue Grundchemikalie ist ein anderes. Verschiedene Kunststoffe lassen sich aus diesem Molekül herstellen und eine Reihe von Firmen bringt zurzeit biobasierte Bernsteinsäure auf den Markt.
Ein zentraler Punkt, um zukunftsweisende Entwicklungen zu ermöglichen, ist eine enge Zusammenarbeit von Industrie und Wissenschaft, Anwendern und Entwicklern. Leider beißt sich aber oftmals die Katze in den Schwanz und wir kommen zu keinem Ergebnis. Mikrobielle Herstellungsprozesse für neue Substanzen werden nicht entwickelt, da es keine weitergehende Chemie für diese Moleküle gibt. Genau diese weitergehende Chemie für neue Moleküle und neue Kunststoffe würde es aber brauchen, um die Basis für neue umweltgerechte Produkte zu legen. Die richtigen Kooperationen und eine gezielte Forschungsförderung sind daher ein Schlüssel, um in eine biobasierte Zukunft zu gehen, die wir uns leisten können. Eine nichtbiobasierte Zukunft können wir uns aber jedenfalls nicht leisten.