Alleskönner Plastik landet noch zu oft im Müll
Plastik ist ein solch praktischer Werkstoff, dass es aus dem modernen Leben, nicht wegzudenken ist, leider auch nicht mehr aus der heutigen Umwelt. Plastikmüll schwimmt in enormen Mengen im Meer, verschandelt und verunreinigt einstige Traumstrände und ist vor allem in den Ballungsgebieten von Schwellen- und Entwicklungsländern ein allgegenwärtiger Anblick.
Österreich gelte in dieser Hinsicht geradezu als eine "Insel der Seligen", meint Karl Kienzl vom Umweltbundesamt in Wien gegenüber APA-Science. Weil es hierzulande keine Meeresstrände gebe, wo alles irgendwann angeschwemmt wird, das irgendjemand irgendwann aus dem Autofenster, in den Wald, Fluss oder über Bord eines Kreuzfahrtschiffes geworfen hat, sei das Problem Plastikmüll in der Umwelt in der Alpenrepublik gut bewältigbar.
Felix Austria
Dazu trägt auch die Bevölkerung ein großes Scherflein bei, erklärt seine Kollegin Brigitte Karigl. Ein erheblicher Anteil des Plastiks, das über Littering, also achtloses Wegwerfen von Abfällen an öffentlichen Plätzen und in der Natur, in die Umwelt kommt, wird bei Flurreinigungen wieder in die Müllsammelstellen gebracht, wo es hingehört. Somit wird er dem regulären Abfallaufkommen zugeführt. Bei solchen Sammelaktionen lesen die Freiwilligen in den einzelnen Bundesländern jährlich rund 100 Tonnen an Zigarettenstummeln, Kunststoffverpackungen, Einwegflaschen und anderen Müll auf. Verglichen mit 4,3 Millionen Siedlungsabfall im Jahr sei diese Menge gering, und was zu Lande in der Umwelt landet, werde zum Teil aufgelesen, bevor es sich durch UV-Strahlung und mechanische Einflüsse in kleine Partikel zersetzt und im Boden verschwindet.
Auch aus den Gewässern werde Plastikmüll effektiv herausgefiltert, so Kienzl. In Österreich sind alle größeren Flüsse irgendwo aufgestaut und ihr Wasser läuft zwecks Energiegewinnung über Turbinen. "Die Betreiber haben natürlich kein Interesse, dass größere Plastikteile in die Turbinen kommen und fischen sie vorher mit Rechenanlagen heraus", erklärt er. In Kläranlagen werden sogar Kleinstpartikel zurückgehalten und landen im Klärschlamm. Was mit diesem passiert, ist aber österreichweit sehr unterschiedlich. "In Wien wird er verbrannt, was in Bezug auf das darin enthaltene Plastik gut ist, weil es dann wird der thermischen Verwertung zugeführt wird", sagt der Umwelt-Experte. Anderenorts kann es hingegen als Dünger auf Felder und damit in die Umwelt gelangen.
Durch einen Vorfall beim Chemieunternehmen Borealis, wo Plastikkügelchen, die eigentlich zu Kunststoffprodukten verarbeitet werden sollten, in den Donauauen gefunden wurden, habe man sich im Jahr 2014 die Situation im Donaustrom genauer angeschaut, damit könne man auch die Gesamtsituation in Österreichs Gewässern sehr gut überblicken, denn fast alle heimischen Flüsse entwässern in die Donau. "Etwa 14 Tonnen kommen bei Aschach/OÖ und 41 Tonnen bei Hainburg in die Donau (siehe auch den Gastkommentar "Plastik in unseren Fließgewässern - Aktuelle Forschung zum Thema Mikro- und Makroplastik")", berichtet Kienzl. Dies sei sowohl verglichen mit dem hunderten Tonnen regulärem Kunststoff-Abfallaufkommen in Österreich sehr wenig, als auch mit der Situation in den Meeren in keiner Hinsicht vergleichbar. Der Kunststoff kommt über die heimischen Gewässer auch nicht wieder zurück in die Nahrungskette. Selbst in Donaufischen hätte man kein Plastik entdeckt, und ihre Verwandten in den Seen und kleinen Flüssen hätten eine noch weniger belastete Umwelt. Bei Meeresfischen hingegen, selbst wenn sie aus den entlegensten Winkeln der Ozeane stammen, würde man in den Organen hingegen oft Plastikteilchen vorfinden. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Environment Programme – UNEP) berechnete für das Jahr 2050, dass praktisch jeder Meeresvogel (99 Prozent) Kunststoffe intus haben wird
Plastikmeere
Jährlich landen laut UNEP fünf bis zu dreizehn Millionen Tonnen Kunststoffmüll in der See, das sind bis zu vier Prozent der weltweiten Plastikproduktion. 80 Prozent davon kommen aus den Flüssen, der größte Teil davon aus Schwell- und Entwicklungsländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, wo die Abfallströme bei weitem nicht so geregelt sind wie in den Industriestaaten Europas (nur ein relativ kleiner Anteil von bis zu einer halben Million Tonnen Kunststoffmüll in den Ozeanen stammt aus der EU) und Nordamerikas. Viel gerät dort über Littering in die Umwelt, aber auch Deponien, die nicht dem Stand der Technik entsprechen, und wo bei Starkregen, Überschwemmungen und Stürmen Plastikmüll ausgeschwemmt und verblasen wird, seien problematisch, sagt Karigl. Etwa zehn Prozent der Kunststoff-Verunreinigung der Meere gehen auf das Konto der Fischerei, wo unter anderem Netze verloren gehen oder teilweise auch einfach gekappt werden, weil man glaubt, sie verschwinden ohne Auswirkungen in den scheinbar endlosen Tiefen des Ozeans, so Kienzl. An den restlichen zehn Prozent, Tendenz steigend, sei der Ausflugs- und Kreuzfahrttourismus Schuld, der die Weltmeere teils als einfache und günstige Entsorgungsmöglichkeit für ihren Müll sieht.
Tschickstummeln verschwinden nicht im Nichts
Der häufigste Müll im Weltmeer ist übrigens eine Art "Bioplastik", nämlich Zigarettenstummel. Sie bestehen zwar aus dem Naturprodukt Zelluloseazetat, doch bei dessen Weiterverarbeitung entsteht ein Kunststoff. Jedes Jahr werden weltweit rund sechs Billionen Glimmstängel konsumiert und diverse Giftstoffe landen beim Rauchen in deren Filtern. Ein nicht bekannter Anteil davon wird nicht in Aschenbechern und Mülltonnen entsorgt, sondern achtlos weggeworfen. Die NGO Ocean Concervancy berichtet, dass ihre freiwilligen Sammler an Meeresstränden seit Beginn ihrer Aktivitäten im Jahr 1986 mehr als 60 Millionen Stück aufgelesen haben, was die Filter weit vor Strohhalmen, Plastiksackerln und Flaschen zum häufigsten Küstenmüll macht. In der Umwelt zersetzen sie sich nur schwer und werden, während sich ihre giftige Fracht absondert, vorwiegend mechanisch zerkleinert. Das Mikroplastik wird zusammen mit den übrig gebliebenen Schadstoffen von Tieren aufgenommen und reichert sich in der Nahrungskette an. Laut "NBC News" wurden Zigarettenrückstände in 70 Prozent aller untersuchten Seevögel und einem Drittel der Meeresschildkröten gefunden. Wie tödlich die Schadstoffe in den Kippen für die Wasserorganismen zeigten Forscher in einem Versuch mit Wasserflöhen): Sie setzten sie in einen Behälter mit acht Liter Wasser und gaben einen gebrauchten Zigarettenfilter dazu. Zwei Tage später waren die Tiere tot.
EU, UNO und Österreich kämpfen strategisch gegen Kunststoffverschwendung
Die EU setzt bei Zigarettenfiltern darauf, das Problembewusstsein bei den Rauchern zu wecken, weil viele von ihnen glauben, die Zigarettenreste wären biologisch abbaubar. Außerdem will die Europäische Kommission die Produzenten vermehrt in die Verantwortung nehmen. Das ist Teil der heuer initiierten EU-Plastikstrategie, den Kunststoffmüll vor allem in den Meeren drastisch zu reduzieren. Durch ein Maßnahmenpaket von Informationen über erhöhte Anforderungen an das Produktdesign und den Verkauf bis hin zu Marktverboten will die Kommission erreichen, dass die Menschen weniger Einwegbecher, -teller, -besteck und Plastikstrohhalme verwenden, und dass die Hersteller diverse Produkte besser recycelbar machen. Laut der EU-Strategie soll es vor allem Einwegplastik an den Kragen gehen.
"Plastik spielt eine wichtige Rolle in unserer Wirtschaft und in unserem täglichen Leben, aber die Art, wie Plastikprodukte derzeit designed, hergestellt, benutzt und weggeworfen werden, schaden der Umwelt", erklärt die Kommission. Von den 28,5 Millionen Tonnen Plastikmüll, der jährlich in der EU anfällt, stammen fast zwei Drittel von Verpackungen. Der Rest kommt von Elektroprodukten (acht Prozent), aus der Landwirtschaft, von Automobilen, der Bauwirtschaft, von Haushaltsprodukten (je etwa fünf Prozent) sowie vielen anderen kleineren Quellen. Weniger als ein Drittel des Kunststoffmülls werden zum Recyceln gesammelt.
Auch die UNEP sagt dem Einwegplastik den Kampf an. Mit diversen Aktionen will sie die Kunststoffabfall-Situation auf dem Globus verbessern. In einer Fabrik in Amsterdam etwa werden dazu nicht-recycelbare Kunststoffe in Diesel umgearbeitet.
Österreichische Forscher für Afrika
Auch österreichische Forscher beteiligen sich an Projekten in Schwell- und Entwicklungsländern, so wie etwa Markus Gall vom Institute of Polymeric Materials and Testing der Universität Linz. Er unterstützt mit seinem Wissen und durch Versuche die Firma "Mister Green Africa", die sich der Plastikmüllsammler in Nairobi, der Hauptstadt Kenias angenommen hat. "Diese Menschen leben dort normalerweise von der Hand in den Mund und führen ein sehr marginalisiertes Dasein, weil sie vom Tagespreis der Mittelsmänner abhängig sind", sagte er. Die Firma habe ein Netz an Stützpunkten in Nairobi aufgebaut, wo sie jedoch zu langfristig garantierten Fixpreisen, die weit über den Tagespreisen liegen, Kunststoffmüll aufkaufen, den die "Wastepickers" von den Straßen aufsammeln. Die Menschen können dadurch besser ihr zukünftiges Leben planen und vernünftiger einrichten, meint er. Zusätzlich sei "Mister Green Africa" daran interessiert, die Flaschen zu hochwertigem Kunststoff zu recyceln. Mit Hilfe des Linzer Forschers habe man schließlich Recyclate vorort im Werk in Afrika herstellen können, die sich mit europäischen Produkten vergleichen können. Sonst würde dort vor allem "Downcycling" betrieben, also das Material mit Holzspänen oder Bambus versetzt und als Baumaterial genutzt. Die Firma erzeugt daraus jedoch gewaschene, sortenreine Kunststoff-"Schnipsel"(Flakes), die anderenorts in Pellets, das gängige Rohmaterial für die Kunststoffindustrie, aufgewertet werden. Doch auch diesen Verarbeitungsschritt will man noch implementieren, um eine möglichst gute Wertschöpfungskette in Nairobi aufzubauen. Trotz solcher Aktionen sei die Kunststoffmüll-Situation weltweit trist, beklagt die UNEP.
Weltweit viel abgelagert und wenig recycelt, österreichischer Frühjahrsputz
Von den weltweit 141 Millionen Tonnen Plastikmüll, die im Jahr 2015 anfielen, wären nur 14 Prozent recycelt worden, der Rest lagert auf Deponien (40 Prozent), wurde verbrannt (14 Prozent) oder entkam in die Umwelt (32 Prozent). In Österreich sieht die Situation weit besser aus, berichtet das Umweltbundesamt: Hierzulande wird doppelt so viel Kunststoff (28 Prozent) verwendet wie weltweit. 71 Prozent wurden zur Energiegewinnung verbrannt, und nur ein Prozent deponiert, wobei es sich hier in der Regel um Kunststoffe in gemischten Abfällen handelt, die nicht trenn- oder verbrennbar sind. Neben Aktionen wie dem jährlichen Frühjahrsputz gäbe es hierzulande weitere Initiativen, dass weniger Kunststoff in die Umwelt gelangt, erklärt Kienzl. In der Aktion "Zero Pellet Loss" habe man sich zum Beispiel gemeinsam mit der Politik und der Kunststoffindustrie auf zehn Maßnahmen geeinigt, damit zum Beispiel beim Verladen nicht Rohmaterial verschüttet wird, oder mit Spülwasser in die Flüsse kommt. Durch die Aktion "Pfiat di Sackerl" habe man erreicht, dass die kleinen Plastiksackerln, wie man sie etwa von den Obstabteilungen in Supermärkten kennt, um 13 Prozent weniger verwendet werden, die großen Tragetüten sogar um 70 Prozent. Auch in Kosmetikprodukten wie Zahnpaste und Pealingcremen wäre laut neueren Untersuchungen nur mehr selten Mikroplastik zu finden. Generell gäbe es große Anstrengungen, sowohl in Österreich als auch seitens der EU und der Vereinten Nationen, dass die Menschen weniger Einwegplastik verwenden, und es nur mehr in hochwertigeren, langlebigeren Produkten genutzt wird, so Kienzl.
Mehr Kreisläufe sollen Müll reduzieren und besser wiederverwerten
Beim Recycling würde außerdem an den Stoffwegen geforscht, und wie man einzelne Plastiksorten besser wiederverwerten kann, erklärte Gall. Bei PET, das vor allem für Flaschen verwendet wird, sei die schon sehr hochqualitativ möglich. Bei den ebenfalls sehr häufig verwendeten Kunststoffen Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) wäre das Recyceln nicht so einfach. Sie lassen sich nur sehr schwer mischen, was stört, wenn sie nicht sauber getrennt werden, denn Mischprodukte der beiden hätten in der Regel äußert schlechte mechanische Eigenschaften. Außerdem gäbe es Probleme mit unerwünschtem Geruch. "Vor allem, wenn man Abfälle aus dem Verpackungssektor bezieht, die meistens mit irgendwelchen organischen Rückständen verunreinigt sind, führt das bei der Verarbeitung zu erheblicher Geruchsentwicklung", sagte er. Martin Stuchtey von der Universität Innsbruck plädiert für eine verbesserte Kreislaufwirtschaft. Zum heutigen Stand kämen bereits auf drei Kilogramm Fisch in den Ozeanen ein Kilogramm Plastik. Dies wäre nicht nur für die Umwelt kaum mehr zu verkraften, sondern auch eine gigantische Verschwendung. Plastik sei ein hervorragendes Material, das unglaublichen Wohlstand sichert.
Auch das österreichisches Sammel- und Verwertungsunternehmen für Verpackungen ARA hat Pläne für eine bessere Kreislaufwirtschaft. "Heute müssen in der EU 22,5 Prozent aller Kunststoffverpackungen recycliert werden. Wir in Österreich erreichen bereits 34 Prozent. 2025 sollen es aber 50 Prozent sein", erklärt Christoph Scharff von der ARA in einer Aussendung. Dazu müsse man die Rohstoffe lange und effizient im Kreislauf halten. Dann sollten Herr und Frau Österreicher, die derzeit 57 Kilogramm Plastikmüll pro Einwohner produzieren, deutlich weniger Einweg-Kunststoff verwenden, und dies mindestens so getreu entsorgen und im schlimmsten Fall wieder aus Feld und Flur einsammeln, wie es derzeit geschieht.
Von Jochen Stadler / APA-Science