FWF-Projekt beleuchtet NS-Vergangenheit der Vetmed
"Unserem Haus fehlt eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, diese Lücke gilt es zu schließen", erklärt Sonja Hammerschmid, Rektorin der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Das Jubiläumsjahr - die Universität feiert 2015 ihr 250-jähriges Bestehen - biete einen guten Anlass, diesem Versäumnis nachzukommen.
Bisher gibt es lediglich zwei unveröffentlichte, an der Vetmed verfasste Dissertationen und einen Aufsatz zu diesem Thema - nun wurde ein unabhängiges, zeitgeschichtliches Expertenteam unter der Leitung der Historikerin Lisa Rettl mit der Aufarbeitung des dunklen Kapitels betraut.
Die Vetmeduni fungiert in dem dreijährigen, vom Wissenschaftsfonds (FWF) geförderten Projekt nun ebenso wie die Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz (FStN) als Kooperationspartnerin, führt Projektleiterin Rettl gegenüber APA-Science aus. "Die Uni gewährleistet dabei uneingeschränkten Zugang zu ihrem Archiv - eine sehr wichtige Komponente, auch wenn wir natürlich ebenso in anderen österreichischen und deutschen Archiven recherchieren", betont sie.
Verflechtungen aller Art
Die drei wesentlichen Forschungsfelder zur damaligen Wiener Tierärztlichen Hochschule (TiHo), mit denen sich Rettl gemeinsam mit ihren Kollegen Claudia Kuretsidis-Haider und Johannes Laimighofer beschäftigt, sind zum einen institutionen-, wissenschaftsgeschichtliche und biografische Fragestellungen, zum anderen militärgeschichtliche Verflechtungen des Personals im Rahmen des Kriegseinsatzes. Auch die Nachkriegsgeschichte der Institution wird beleuchtet. "Der Fokus liegt dabei auf der 'Entnazifizierung' sowie dem Geschehen vor österreichischen Volksgerichten gegen Angehörige der TiHo", erläutert Projektleiterin Rettl.
In den konkreten Fragestellungen will man beispielsweise die Grundstimmung an der TiHo in den frühen 1930er-Jahren, die von Deutschnationalismus und Antisemitismus geprägt waren, herausarbeiten, ebenso wie die Handlungsspielräume zwischen staatlicher Gleichschaltung und autonomer Selbstbehauptung in den Jahren von 1933 bis 1938 und 1938 bis 1945.
Nachgehen wolle man auch den bestimmenden Akteuren der Hochschulpolitik. Untersucht werden Kontinuitäten und Brüche in den Karrieren von Professoren, Dozenten und Assistenten vor 1938 und nach 1945. Ein weiterer Aspekt ist Rettl zufolge die Rekonstruktion der Lebenswege jüdischer Studierender anhand von Auswahlbiografien. Beschäftigen will sich das Projektteam auch mit Fragen die österreichische Rechtspolitik betreffend: Welche Grenzen und Möglichkeiten der "Entnazifizierung" hatte die Wissenschaft? Weiters nehmen die Forscher Nachkriegskarrieren bzw. Berufsverbote, Titelaberkennungen oder auch Ehrendoktorate unter die Lupe. Auch die "Erinnerungskultur" der TiHo ist ein Thema.
Auch für interessierte Öffentlichkeit
Ziel des Teams sei es, bis zu Projektende eine dichte, quellenbasierte Publikation zu schaffen, die die Fragestellungen abdeckt, erklärt Rettl. "Von unserer Idee her soll das Buch so beschaffen sein, dass es sowohl für weitere Forschung als auch für die Lehre und damit für die Studierenden der Vetmeduni eine wichtige Basis darstellt", erklärt sie. Auch für eine zeitgeschichtlich interessierte Öffentlichkeit soll es gut lesbar sein, betont die Wissenschafterin.
Zentral dabei sei natürlich, auch Schnittstellen zur Gegenwart herzustellen. "Es geht ja heutzutage nicht mehr darum, grundsätzlich festzustellen, dass die Nazis 'böse' waren, sondern vor allem darum, zu fragen, unter welchen historischen Bedingungen Menschen wie agieren, welche Handlungsspielräume es dabei immer auch gibt, wie Menschen diese nützen, und nicht zuletzt: Was hat das Ganze mit uns heute zu tun?", so die Historikerin.
Von Sylvia Maier-Kubala / APA-Science