Universitäten zwischen Tradition und Zukunft
"Der Wechsel allein ist das Beständige", schrieb der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer vor rund zweihundert Jahren in seinen "Aphorismen zur Lebensweisheit". Der Wandel bestimmt die Geschichte der Menschheit und jene des von ihr bewohnten Planeten seit Anbeginn, niemals aber waren Ausmaß und Tempo dieses Wandels größer als heute. Schon wenige Stichworte verdeutlichen die Herausforderungen, etwa der Klimawandel, die demografischen Veränderungen und die stark steigende Weltbevölkerung, die sich mit der Industrie 4.0 noch schneller verändernden Bedingungen in der Arbeitswelt, die Energie- und Rohstoffversorgung, sowie die ausreichende Bereitstellung von Nahrung und Wasser in allen bevölkerten Teilen der Welt, und schließlich politische Veränderungen durch den (Wieder-)Aufstieg von China und anderen Ländern im Zuge der Globalisierung.
Dieser Wandel betrifft naturgemäß auch und gerade die Bildungsanforderungen und damit auch die Bildungsinstitutionen. Die im Jahr 2015 anstehenden Jubiläen mehrerer österreichischer Universitäten - 650 Jahre Universität Wien, 250 Jahre Veterinärmedizinische Uni, 200 Jahre Technische Uni Wien und 125 Jahre Montanuni Leoben - bieten daher eine gute Gelegenheit, neben allen Feierlichkeiten über die Errungenschaften in der Vergangenheit auch die Zukunft in den Blick zu nehmen. Einige kritische Fragen seine hierbei erlaubt, so etwa "Welche Aufgaben haben Universitäten heute angesichts des rasanten Anstiegs an Studierendenzahlen, des digitalen Wandels und der zunehmenden Anforderungen der Bürokratie, und wie lässt sich ein entsprechendes Leitbild definieren? Welche Konsequenzen haben die zunehmend kommerzielle Ausrichtung von Bildung und das Nützlichkeitsdiktat unserer Zeit? Wer entscheidet überhaupt legitimerweise darüber, welche Studien nützlich, welche notwendig, oder welche "überflüssiger Luxus" sind, und auf Basis welcher Kriterien?" Hier gibt es noch reichlich Bedarf an Diskussion - auch über das Jubiläumsjahr 2015 hinaus.
"Die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei"
So hat beispielsweise die im Revolutionsjahr 1848 erhobene Forderung der Studenten nach Lehr- und Lernfreiheit, die schließlich als Art. 17 "Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei" Eingang in das Staatsgrundgesetz von 1867 gefunden hat, nichts von ihrer Aktualität verloren, wenngleich die Bedrohungen dieser Freiheit sich gewandelt haben und nicht immer leicht erkennbar sind.
Ziel und Aufgabe der Universitäten war ursprünglich die Widerlegung von "Irrglauben" und "Häresien" jedweder Art - gleich ob nun religiöser oder weltlicher Natur; daher auch die enge Verbundenheit der ersten Universitäten mit Kirche bzw. Papst und/oder den weltlichen Herrschern. Inhaltlich-wissenschaftlich waren die Universitäten in dieser ersten Phase somit ausdrücklich auf Wissenssicherung und Verbreitung gesicherten Wissens angelegt: Die als ursprünglich von Gott kommend gedachte, auf die 'sacra doctrina" (Thomas von Aquin) bezogene Gesamtheit höheren Orientierungs- und Sachwissens sollte möglichst vollständig erfasst, von fremden Zusätzen gereinigt, geordnet und getreulich weitergegeben werden. Ob nun also von der Kirche oder von weltlichen Herrscher vereinnahmt: manchmal waren Universitäten auch Instrumente zur Durchsetzung von Herrschaftsinteressen.
Beginnend mit dem Humanismus und der Wiederentdeckung bzw. -belebung antiker Sprachen und Wissensbestände und schließlich - nach wiederholten Rückschlägen - mit der Aufklärung konnten sich die Universitäten zunehmend befreien, ein Prozess, der mit dem Humboldt'schen Wissenschafts- und Bildungsbegriff und der darin enthaltenen Festlegung der "Freiheit der Wissenschaft" einen ersten Abschluss fand, jedoch immer wieder verteidigt oder gar neu erkämpft werden musste, man denke etwa an die Vereinnahmung der Universitäten durch den Nationalsozialismus und der damit verbundenen Notwendigkeit einer Neu-Positionierung in der Nachkriegszeit.
Der Kampf um die Autonomie ist auch heute noch nicht wirklich abgeschlossen, wenngleich mit der Reform von 1993 und vor allem dem Universitätsgesetz 2002 ein wesentlicher Schritt getan wurde. Heute ist es vor allem die zunehmende Bürokratisierung von Forschung und Lehre, die im Sinne von Transparenz gefordert wird, aber oftmals zu Lasten der Qualität geht. Zudem dürfen die österreichischen Universitäten nicht selbst über die Einhebung von Studiengebühren befinden und sind auch nicht Eigentümer ihrer Gebäude.
Im Zeitalter von "Wissensökonomie" und "Wissensgesellschaft"
Ebenfalls erst seit rund dreihundert Jahren gilt die Verbesserung der Zukunft als wissenschaftliches Ideal. Als in der Zeit der Aufklärung der Fortschritt zum Leitmotiv erklärt wurde, erklärten die Reformer die Förderung der Wissenschaft zur besten Methode, sowohl die Gesellschaft als auch die Prosperität eines Landes voranzubringen. Investitionen in Bildung, Wissenschaft, Forschung und Innovation wurden zunehmend zur Voraussetzung für die Herstellung bzw. Sicherung von Wohlstand und Wohlergehen eines Landes bzw. seiner Bürgerinnen und Bürger.
Die gegenwärtige Transformation zur Wissensgesellschaft bedeutet letztlich nicht weniger als die durchgängige Einflussnahme wissenschaftlichen Wissens auf die soziale und ökonomische Entwicklung eines Landes. Die gesellschaftliche Wissensproduktion - nicht nur an Universitäten, sondern auch im außeruniversitären Bereich und in den Unternehmen - wird zum zentralen Faktor der Zukunftsbewältigung. Gleich, ob man diese Entwicklung für richtig, einfach notwendig oder für falsch erachtet - sie ist heute und auf absehbare Zeit ein Faktum, dass nicht zu leugnen ist. Viele der damit verbundenen Herausforderungen gerade für die Universitäten - Stichwort: globaler Wettbewerb, Bologna-Prozess, Finanzierung im Zeitalter der Massenuniversität, Wahrung der Forschungsfreiheit bei zunehmender Abhängigkeit von Drittmitteln- sind noch nicht gelöst; die Frage, wohin sich die Universitäten entwickeln werden, ist noch unbeantwortet.
Die Jubiläen österreichischer Universitäten im kommenden Jahr sollten daher auch Raum bieten für die Diskussion einiger schwieriger und unbequemer Fragen. In jedem Fall muss der mit den Reformen von 1993 und 2002 begonnene Prozess im Zuge der für das Jahr 2015 geplanten Novelle des UG fortgesetzt werden. Dabei sollten im Sinne einer Weiterentwicklung der Autonomie vor allem die Ausweitung des finanziellen Spielraums der Universitäten und die Schaffung von Möglichkeiten des Zugangsmanagements im Vordergrund stehen. Die Antworten, die wir hierzu finden, werden zukunftsentscheidend sein.