Lebensmittelcluster blicken nach Europa
Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, werden Kooperationen über die Grenzen hinaus oft zum Zünglein an der Waage. Auch die heimischen Lebensmittelcluster werfen ihre Netze zusehends nach Europa aus. Welche weiteren Herausforderungen aktuell und künftig bevorstehen, erzählte Jürgen Neuhold, Manager des oberösterreichischen Lebensmittelclusters (LC OÖ), im Gespräch mit der APA.
Der LC OÖ, ein gemeinsames Projekt der örtlichen Wirtschaftskammer OÖ und des Landes, ist der älteste und zahlenmäßig größte heimische Lebensmittelcluster. Aktuell umfasst er 272 Partner mit einem Gesamtumsatz von rund 2,29 Mrd. Euro und ca. 16.150 Mitarbeiter. „Uns gibt es seit 2000, wir sind der erste Cluster dieser Art, der in Österreich geschaffen wurde“, blickt Neuhold zurück.
Aufholbedarf
„Speziell beim Lebensmittelbereich sind wir noch beim Aufholen, wir sind im Vergleich zu manch anderen Branchen etwas später gestartet. Ich würde schon sagen, dass man in manchen Bereichen so fünf bis acht Jahre hinterher hinkt.“ Aufholen will man besonders durch den Aufbau internationaler Netzwerke. Dass das nicht so einfach ist wie in anderen Branchen, liegt laut Neuhold vor allem an der starken regionalen Verankerung der Lebensmittelwirtschaft. Nach einer Phase der regionalen Etablierung versuche der LC OÖ nun verstärkt, Kontakte in Europa zu schaffen, denn man könne sehen, „dass im Lebensmittelbereich im Osten aber auch in Deutschland einige Dinge im Aufbau begriffen sind, wo man in Zukunft gemeinsam in Richtung Forschungsprojekte gehen kann.“
In der Lebensmittel-Wirtschaft gebe es noch einiges zu tun, um die F&E-Quote zu steigern, sagt Neuhold. Dazu gehöre etwa eine stärkere Nutzung der bestehenden Fördermöglichkeiten durch kleinere und mittlere Betriebe, besonders jene der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG). "Wir müssen für die Firmen die Awareness schaffen, an diesen Strukturen, die sie noch nicht so gewöhnt sind, einfach teilzunehmen."
Großes Thema Gesundheit
Die Notwendigkeit zur grenzüberschreitenden Kooperation sieht der Cluster-Manager durch das "große gesellschaftliche Thema" Gesundheit gegeben. Von Adipositas über Diabetes bis Zöliakie, in all diesen Bereichen sei die Lebensmittelwirtschaft besonders gefordert, um den Bedarf der Konsumenten zu decken. "Wir wissen, dass Unilever und Nestlé in diesem Bereich forschen. Wir können da nur mithalten und Wissen generieren, wenn wir uns vernetzen und Projekte auf europäischem Niveau einbringen."
Ein weiterer medizinischer Trend könnte für Neuhold die personalisierte Ernährung werden. "Menschen, die aufgrund ihres genetischen Profils prädestiniert sind für gewisse Erkrankungen oder die gewisse Inhaltsstoffe in Lebensmitteln nicht vertragen, könnten Systeme und Produkte angeboten werden, die speziell auf sie zugeschnitten sind. Das ist zwar Zukunftsmusik, aber ich glaube, dass das in allen Bereichen in diese Richtung geht." Der "ureigenste Wunsch des Menschen", möglichst lange zu leben - und das möglichst vital - ergebe einen großen Wirtschaftszweig. "Da werden wir uns gut aufstellen müssen", so Neuhold über sich abzeichnende Entwicklungen am Horizont.
Aktuelle Projekte
Seit Bestehen des LC OÖ wurden rund 80 Projekte initiiert, davon sind 69 bereits abgeschlossen. Unter den vom Land Oberösterreich geförderten Kooperationsprojekten finden sich unter anderem die Entwicklung eines Hochleistungspizzaofens ("BistroBox") und der Einsatz von Infrarot-Spektroskopie für die Honiguntersuchung ("IR-Saccharide"). Aktuelle EU-kofinanzierte Projekte sind "Clusters Cord" (Clusters & Cooperation for Regional Development in Central Europe) und "TECH.FOOD".
Innerhalb des Clusters werden regelmäßig fachliche Informationsveranstaltungen, Erfahrungsaustauschrunden und Workshops abgehalten. Die Themenpalette der etwa 35 bis 40 Veranstaltungstermine pro Jahr reicht von "Health Claims, die die gesundheitsbezogenen Daten regeln, über Haftungsthematiken bis hin zu Hygienethemen und Themen die den Geschmack betreffen wie jetzt beim Tag der OÖ Lebensmittel (21. Mai 2012; Anm.)". Gemeinsame Veranstaltungen mit anderen Bundesländern sind dabei keine Ausnahme. So habe der LC OÖ gemeinsam mit Partnern in Niederösterreich einen Technologietag ins Leben gerufen, der sich jeweils dem Thema Fleisch oder Getreide annimmt.
Auch künftig ist man derartigen Kooperationen und Vernetzungen nicht abgeneigt. "Wir kooperieren mit Niederösterreich ganz gut. Aber es ist nicht so, dass es einen eigenen Lebensmittel-Cluster z.B. zwischen NÖ und OÖ gäbe, was natürlich aus unserer Sicht interessant wäre", so Neuhold. "Worüber man nachdenken sollte, ist beispielsweise auch in Niederösterreich und der Steiermark und den einzelnen Bundesländern vielleicht eine größere Plattform als Lebensmittel-Cluster zu schaffen."
Lebensmittel Cluster Niederösterreich
Der zweite "klassische" Lebensmittelcluster Österreichs ist jener in Niederösterreich. Als seine Kernthemen definiert der Lebensmittel Cluster Niederösterreich „qualitativ hochwertige und sichere Produkte, innovative Lebensmittelverarbeitung, Einsatz neuartiger Lebensmitteltechnologie, Erzeugung und Vermarktung von regionalen Produkten und Bio-Produkten“. Aktuell gibt es 89 Clusterpartner mit rund 9.500 Mitarbeitern und einen Gesamtumsatz von ca. 2,78 Mrd. Euro (Stand 1. Quartal 2012).
„Wir haben laufend um die 20 Projekte im Cluster, die wir betreuen“, erklärte die interimistische Clustermanagerin Angelika Möstl auf Anfrage der APA. Dazu zählen unter anderem „ Innovative Produkte aus Hafer“, „ Renewable Packaging - Einsatz von biobasierten Kunststoffen als Lebensmittelverpackung“ oder „CureColour“. Der Technologiestandort Wieselburg und das Technopol Tulln, die sich ebenfalls unter anderem mit Agrar- und Lebensmitteltechnologie bzw. Agrar- und Umweltbiotechnologie beschäftigen, gelten laut Möstl als "Regionen" und nicht als Cluster.
TECHforTASTE
In der Steiermark hat sich der TECHforTASTE Cluster vor allem den technologischen Aspekten der Lebensmittelbranche verschrieben. „Für sichere und hochwertige Lebensmittel spielt heute eine moderne Lebensmitteltechnologie eine immer wichtigere Rolle. Unternehmen, die sich mit Lebensmitteltechnologie beschäftigen, rücken damit ins Zentrum unseres täglichen Lebens“, erklärte Falk Rothermann, Prokurist & Key Account Manager, gegenüber der APA die Philosophie des Clusters. „TECHforTASTE bündelt als Cluster die steirischen Akteure und ihre ausgezeichneten Ideen.“
Der Cluster umfasst 66 Partner, der Umsatz der Partnerbetriebe beläuft sich bei insgesamt ca. 12.000 Beschäftigten auf ca. 1,79 Mrd. Euro. Die Unternehmen setzen sich aus den Themenbereichen „Innovative Lebensmittelverarbeitung“, „Lebensmittelqualität und -sicherheit“, „Lebensmitteltechnik“ zusammen, weiters sind Universitäten, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen beteiligt. „Wichtig ist uns, dass wir die gesamte Wertschöpfungskette der Lebensmittelwirtschaft in einem Cluster zusammenführen. Deshalb ist die TECHforTASTE kein klassischer Lebensmittelcluster, sondern eben ein Lebensmitteltechnologiecluster“, so Rothermann.
Ein Vorzeigeprojekt des Clusters ist „SolarFoods“, das Erneuerbare Energien und Energieeffizienz in der Lebensmittelindustrie etablieren möchte. Laut Projektbeschreibung werden in der Lebensmittelindustrie große Mengen thermischer Energie im Temperaturbereich zwischen 30 und 150 Grad Celsius benötigt. Diese Temperaturen könnten mit solarthermischen Anlagen klimaneutral bereitgestellt werden.
AAC - Austrian Agricultural Cluster
Als Exportcluster versteht sich der 1999 gegründete und 15 Mitglieder umfassende AAC - Austrian Agricultural Cluster, laut Eigendefinition der Zusammenschluss der bedeutendsten österreichischen Hersteller von Agrar- und Lebensmitteltechnologien einschließlich Betriebsmittel zu einer Exportkooperation. Ihm gehören als außerordentliche Mitglieder die Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) und die Veterinärmedizinische Universität an. Darüber hinaus besteht eine enge Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, der Wirtschaftskammer Österreich und den Außenhandelsstellen sowie mit den Vertretungen der Europäischen Union in Brüssel und den ost- und südosteuropäischen Ländern.
Lebensmittel und Emotionen
Cluster in Österreich haben in ihrer Ausrichtung und Strategie oft viele Gemeinsamkeiten, ein Umstand unterscheide die Lebensmittelcluster jedoch von den anderen, sagt der Manager des oberösterreichischen Lebensmittelclusters, Jürgen Neuhold: "Der größte Unterschied ist, dass wir eine sehr politische und emotionale Branche sind. Vom Preis her, von Bio bis konventionell, von regional bis global, von gesund bis nicht gesund etc. - über das Thema Lebensmittel kann man jederzeit diskutieren und da können auch die Emotionen sehr hoch gehen."