Simulation - die Zukunft der Medizin?
Besser, billiger, schneller, schlauer, so muss die Medizin in Zukunft sein. Die Pharmaindustrie steht vor großen Herausforderungen, die sie mit Hilfe der Digitalisierung zu bewältigen versucht. Schlüsselbegriffe sind hier Simulation und personalisierte Medizin. APA-Science hat bei Experten der Branche nachgefragt, was die digitalisierte Zukunft bringen wird.
Als Biotechnologie-Unternehmen hat sich Shire auf die Therapie und Behandlung seltener und komplexer Erkrankungen spezialisiert. "Derzeit werden innovative Therapien entwickelt, die nicht nur als therapierende sondern auch als heilende Methoden vielversprechend sind", erklärte Monika Wiesner, Head Corporate Communications von Shire Austria. Hier biete die personalisierte Medizin die Möglichkeit, die Behandlung an jeden individuellen Patienten anzupassen und so durch maßgeschneiderte Methoden die Dauer der Behandlung zu senken und gleichzeitig für eine bessere Prognose zu sorgen, erläuterte Wiesner.
Eine Frage der Kosten
Ein brisantes Thema in der Medikamentenentwicklung ist die Kostenfrage. Durch geringe Patientenzahlen ist die Gewinnmarge für Pharmaunternehmen gering, die Entwicklungskosten sind hoch. "Hier wird Digitalisierung die Lösung sein", ist sich Daniela Buchmayr, Group Director Innovation and Application Development von GEA, sicher. Ein Beispiel für individuelle Therapieformen, die von Digitalisierung profitieren könnten, ist die sogenannte CAR T-Zellen-Therapie. Hierfür werden dem Patienten T-Zellen - weiße Blutzellen, die der Immunabwehr dienen - entnommen und im Labor genetisch so verändert, dass sie Tumorzellen erkennen und bekämpfen. Die Kosten für eine einzige dieser sehr individuellen Behandlung betragen rund 400.000 Dollar. Nur wenn die Prozesse durchgehend digitalisiert und automatisiert sind, wird die Herstellung finanzierbar sein.
Ein wichtiger digitaler Helfer der Medizin ist die Simulation. Durch Simulation können bereits einfache Aufgaben wie biochemische Interaktionen, genetische Prädispositionen, Vererbungsmuster oder Populationsmerkmale dargestellt werden. "Die Herausforderungen in der Modellierung liegen bei komplexen, multifaktoriellen Erkrankungen, bei denen eine Reihe von Pfaden betroffen ist", so Wiesner.
"Prädiktives Modelling" als Kostenbremse
Während der Entwicklung von Arzneimitteln werden Wirkstoffe immer wieder aus verschiedenen Gründen verworfen. Um diese Prozesse effizienter zu machen, arbeitet die pharmazeutische Industrie an "Simulationsmodellen bzw. sogenanntem 'prädiktivem Modelling', die uns gewisse Vorhersagen zu Erfolgsaussichten ermöglichen", erläuterte der Medical Director des Biotechnologieunternehmens AMGen (Applied Molecular Genetics), Dejan Baltic.
Forscher erhoffen sich, aus solchen Modellen Informationen über das Verhalten eines Wirkstoffs im Organismus, mögliche Wechselwirkungen, Toxizitäten und vieles mehr zu gewinnen. Diese Informationen werden dann in den Entwicklungsprozess eingebaut. "In den letzten Jahren wurden in diesem Bereich zwar bereits große Fortschritte gemacht - es ist aber nach wie vor viel weiteres Potenzial vorhanden. Es geht letztendlich darum, die Erfolgswahrscheinlichkeit bei der Entwicklung neuer Medikamente zu erhöhen und somit gleichzeitig die Anzahl der Fehlschläge zu reduzieren. Das wiederum würde einen effizienteren Einsatz von Ressourcen ermöglichen", so Baltic.
Eine weitere Möglichkeit zur Nutzung von Simulation in der Medizin sieht Johannes Pleiner-Duxneuner, Medical Director von Roche Austria, in der Nutzung von Krankenhausdaten zum Erstellen virtueller Kontrollgruppen. "Durch diese virtuellen Kontrollgruppen in Studien könnten wir in Zukunft Placebo-Behandlungen einsparen, also die Behandlung mit einem nutzlosen Scheinmedikament." Die technische Möglichkeit, für Studien virtuelle Kontrollgruppen aus Patientendaten zu erstellen, bestehe. "Dies wurde auch schon für einige klassische randomisierte Studien retrospektiv gemacht. Und tatsächlich stimmten diese virtuellen Kontrollgruppen mit der Gruppe, die in der Studie eine etablierte Vergleichstherapie oder Placebo erhielt, überein. Die Grenzen sind derzeit einerseits im technischen Bereich, vor allem was den Zugang und die Nutzung von Datenbanken betrifft. Auf der anderen Seite sind virtuelle Kontrollgruppen noch nicht von den Zulassungsbehörden akzeptiert."
Aortendissektion am Computer
Nicht nur die Pharmabranche, auch universitäre Einrichtungen sind nicht untätig, wenn es um Simulationsforschung im medizinischen Bereich geht. Gerhard Holzapfel von der Technischen Universität (TU) Graz beschäftigt sich mit der Computersimulation von Aortendissektion. Als Aortendissektion bezeichnet man eine Aufspaltung der Wandschichten der Hauptschlagader. Im Rahmen des Projektes, das von der TU Graz mit knapp zwei Millionen Euro gefördert wird, entwickelt das Team, bestehend aus zehn Doktoranden und zwei Forschungsassistenten der Universität, Simulationsmodelle und Algorithmen, um Diagnose und Behandlung von Aortendissektionen zu unterstützen.
"Computersimulation von Aortendissektionen erlauben Studien am 'virtuellen Patienten', dem Computer. Dabei können zahlreiche Szenarien im Detail analysiert werden, die in vivo durch 'Imaging' oder auch im Labor nicht erfasst werden könnten. Auswirkungen von Parametern können besser studiert werden, etwa welchen Beitrag zur Aortendissektion liefert die Festigkeit der mittleren Schichte der Aortenwand? Eine Visualisierung von Computerergebnissen durch zukunftsweisende 'virtual reality' ermöglicht eine Darstellung der komplexen dreidimensionalen Situation dieser Erkrankung", erklärte Holzapfel.
Von Anna Riedler / APA-Science