"Politik(beratung) aus dem Computer"
Das 1972 vom Club of Rome veröffentlichte Buch "Die Grenzen des Wachstums" war nicht nur wegweisend in Hinblick auf die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Endlichkeit natürlicher Ressourcen, sondern auch für die Etablierung computergestützter Modellierungen und Simulationen als Orientierungshilfen für gesellschaftliche und politische Entscheidungen. Das zugrunde liegende Weltmodell simulierte die Wechselwirkungen zwischen Bevölkerungswachstum, industrieller Produktion, Nahrungsmittelversorgung, Umweltverschmutzung und natürlichen Ressourcen und war prägend für nachfolgende Diskussionen über Potenziale und Herausforderungen computerbasierter Zukunftsprognosen.
Begünstigt durch weitreichende Fortschritte in der Computertechnik sind computerbasierte Modellierungen und Simulationen heute ein wesentlicher Bestandteil wissenschaftlicher Forschung und bilden zunehmend die Grundlage für wissenschaftliche Politikberatung zu einer Vielzahl komplexer und gesellschaftlich kontroverser Themen. Klimamodelle informieren über die möglichen Folgen eines steigenden CO2-Gehalts in der Atmosphäre und modellbasierte Szenarien zeigen entsprechende Konsequenzen unterschiedlicher gesellschaftlicher Entwicklungspfade auf. In der Gesundheitspolitik dienen Computersimulationen der Vorhersage von Pandemieausbrüchen, der Prävention und Untersuchung von Infektionsrisiken oder der Entwicklung von Impfstrategien. Die Modellierung individuellen und kollektiven Verhaltens bietet die Möglichkeit, Auswirkungen fiskalpolitischer Steuerungen, wie zum Beispiel die Erhöhung der Mineralölsteuer auf das Mobilitätsverhalten, im Vorhinein abzuschätzen.
Wie die kleine Auswahl an Beispielen andeutet, fließen Computermodelle und -simulationen in vielfältiger Weise in Entscheidungsprozesse ein: Sie dienen der Identifizierung gesellschaftlicher Herausforderungen, der Analyse von Prozessen des ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandels, der Prüfung verschiedener Politikmaßnahmen bis hin zur Erstellung von gesamtgesellschaftlichen Zukunftsentwürfen. Die zunehmende Bedeutung computergestützter Modellierung und Simulation in der Politikberatung wirft jedoch auch Fragen über ihre Rolle, Autorität sowie Wirkmächtigkeit auf, die sowohl der vertieften (sozial-)wissenschaftlichen Analyse als auch einer öffentlichen Debatte bedürfen.
Zwischen Technokratie und Aushandlung
Welche Rolle können Computermodelle und Simulationswissen in der Interaktion zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft einnehmen? Einerseits werden Computermodelle als wissenschaftlich objektive Prognoseinstrumente präsentiert, die gegenwärtige und zukünftige Entwicklungen in gewissen Wahrscheinlichkeiten vorhersagen können. Die Modellierung liegt in den Händen von Expert_inne_n, die die Ergebnisse an die Politik kommunizieren, oft schon mit konkreten Handlungsempfehlungen. Tendenzen einer solchen technokratischen Verwendung von Computermodellen finden sich häufig bei naturwissenschaftlich und technisch geprägten Regulierungsfragen, z.B. bezüglich der Grenzwerte für Schadstoffe.
Auf der anderen Seite können Computermodelle und darauf aufbauende Simulationen und Szenarien auch direkt an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik angesiedelt sein. Ansätze der partizipativen Modellierung, wie sie zum Beispiel in der sozialökologischen Forschung oder energiepolitischen Fragestellungen erprobt werden, öffnen Modellierungs- und Simulationsaktivitäten für außerwissenschaftliche Akteure_innen, von Politiker_inne_n und zivilgesellschaftlichen Akteure_innen bis hin zu Bürger_inne_n. Computermodelle übernehmen die Rolle von Grenzobjekten, die eine gemeinschaftliche Aushandlung von Zukunftsvisionen zwischen verschiedenen Akteuren ermöglichen.
Zwischen Rationalisierung und Politisierung
Computermodelle und -simulationen sollen Orientierungswissen auch unter Bedingungen großer Unsicherheiten liefern. Die Berechnung verschiedener Szenarien ermöglicht die Identifikation und Erprobung robuster Strategien und die Vermeidung möglicher negativer Folgen, noch bevor sie entstehen. Mit Computermodellen verbindet sich somit die Hoffnung auf rationalere Debatten und auf eine evidenzbasierte, proaktive Politik und Planung. Anstelle einer Rationalisierung von Politik beobachten wir jedoch nicht selten die Politisierung der Wissenschaft. Der besondere Status von Computermodellen und -simulationen zwischen Theorie und Experiment, der hypothetische Charakter von Szenarien und die zwangsläufig bestehenden Unsicherheiten bieten Möglichkeiten, die Autorität und Glaubwürdigkeit von Wissenschaft in politischen und gesellschaftlichen Debatten in Zweifel zu ziehen. Die Geschichte der eingangs erwähnten "Grenzen des Wachstums" zeigt, wie das Nichteintreffen simulierter Entwicklungen dauerhafte Skepsis an modellbasierten Prognosen im öffentlichen Diskurs hinterlassen kann. In jüngster Zeit lässt sich die politische Instrumentalisierung von Modellunsicherheiten vor allem in den Debatten um die Klimaszenarien des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) beobachten. Daher stellt sich verstärkt die Frage, wie Glaubwürdigkeits- und Legitimationsansprüche von Computermodellen in der Interaktion und Kommunikation von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft sichergestellt werden können.
Zwischen Abbildung und Reproduktion
Computermodelle und -simulationen werden jedoch nicht erst in ihrer Anwendung in konkreten Beratungskontexten politisch, sondern verbinden bereits in ihrer Entstehung Wissen mit dem Sozialen und Politischen. Computermodelle als Abbildungen ökologischer, sozialer oder wirtschaftlicher Strukturen und Prozesse, sind Abstraktionen und Reduktionen, die nicht die eine Realität, sondern bestimmte Realitäten widerspiegeln. Die Konstruktion von Computermodellen beinhaltet Relevanzentscheidungen, Annahmen und Kategorien, die auf Wissen, aber auch auf bestimmten Werten, Ideen und Weltbildern beruhen.
Ein Paradebeispiel einer solchen Annahme ist der rational und nutzenorientiert handelnde Homo Oeconomicus, der vielen ökonomischen Modellierungen zugrunde liegt. Somit ist schon die Erstellung von Modellen politisch, indem ihnen bestimmte Ideen, Identitäten, soziale Strukturen bis hin zu Machtverhältnissen eingeschrieben werden, die zunächst in Simulationen und Szenarien und in weiterer Folge in politischen und öffentlichen Diskursen reproduziert werden. Damit gewinnt auch die Frage, wer in welchen sozialen, organisationalen und lokalen Kontexten an der Konstruktion von Computermodellen beteiligt ist und wer ausgeschlossen bleibt, an politischer Relevanz.
Auch wenn Wissenschaft als universell und objektiv präsentiert wird, so zeigen Untersuchungen der sozialwissenschaftlichen Wissenschafts- und Technikforschung (englisch: Science and Technology Studies) doch, dass Wissen und Wissenserzeugung immer in bestimmte ökonomische, soziale und politische Kontexte eingebunden und durch diese geprägt sind. Die Frage, wessen Wissen, Werte und Weltbilder in Computermodelle, -simulationen und -szenarien einfließen, erhält besondere Relevanz im Kontext internationaler Umweltpolitik. Wissenschaftliche Modellierungsgemeinschaften werden von den Ländern des globalen Nordens dominiert, wodurch in weiterer Folge auch dessen Prioritäten und Relevanzen im politischen Diskurs zusätzlich an Gewicht gewinnen.
Die skizzierten Spannungsfelder verdeutlichen, dass Computermodelle und -simulationen nicht als neutrale Werkzeuge gesehen werden können, sondern immer auch eine politische Dimension haben. Dies schmälert nicht ihr Potenzial, nützliches Orientierungswissen für politische und gesellschaftliche Debatten zu liefern, verlangt jedoch einen reflektierten Umgang in politischen Entscheidungsprozessen und der gesellschaftlichen Meinungsbildung. So sollten Computermodelle nicht nur der wissenschaftlichen Überprüfbarkeit und Kritik unterzogen werden, sondern durch Transparenz und Offenheit auch gesellschaftliche Legitimität sicherstellen.