Mit Deutsch zum Bildungserfolg?
Binnen zwei Jahren lernt man eine neue Sprache meist gut genug, um im Alltag zurechtzukommen. Für Erfolg in der Schule und später im Berufsleben sind aber weiterführende bildungssprachliche Kompetenzen notwendig. Diese können nur durch eine individualisierte Sprachförderung über alle Schulstufen hinweg, eine wertschätzende Haltung gegenüber Mehrsprachigkeit und einen massiven Ausbau der Aus- und Weiterbildungsangebote zur Sprachsensibilisierung von Lehrkräften erreicht werden.
Mit Umgangssprache allein stößt ein Schüler bald einmal an einen Plafond, wenn es darum geht, Textaufgaben zu verstehen, Zusammenfassungen zu schreiben oder Arbeitsanleitungen, etwa für ein Chemie-Experiment, zu formulieren. Hier braucht es die Fähigkeit, abstraktes Denken und Vorstellungsvermögen in Worte zu fassen. Ob und wie schnell diese erworben wird, hängt von vielen Faktoren ab, erklärt Hannes Schweiger, Vorstandsmitglied des Österreichischen Verbands für Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache (ÖDaF) im Gespräch mit APA-Science.
Keine homogene Gruppe
Eine homogene Gruppe sind Deutsch als Zweitsprache-Lernende in Österreich nicht, weder die Kinder, noch die Erwachsenen. Schülerinnen und Schüler bringen höchst unterschiedliche Voraussetzungen mit, sowohl was die soziale und ökonomische Situation, als auch den Bildungshintergrund in der Familie betrifft. "Daher müssen wir auf ein Bündel an stark individualisierenden Maßnahmen setzen - denn die eine Aktion, die alle Probleme löst, gibt es nicht", betont Schweiger. Um bildungssprachliche Kompetenzen zu erwerben, dauert es in der Regel fünf bis sieben Jahre. "Dieser längerfristige Sprachlernprozess ist sehr komplex und braucht kontinuierliche Begleitung über alle Schulstufen und Fächer hinweg", unterstreicht der Didaktiker, der am Fachbereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (DaF/DaZ) des Instituts für Germanistik sowie am Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität Wien als Post-doc-Assistent tätig ist.
Nicht nur DaZ-Lehrer, sondern alle Lehrfachkräfte bräuchten eine entsprechende Ausbildung und müssten für die Sprachthematik sensibilisiert werden, fordert Schweiger. "Schule heute ist gekennzeichnet durch Mehrsprachigkeit und Heterogenität - wie ich damit umgehe, muss ich als Mathematiklehrer genauso wissen wie als Deutschlehrerin oder als Sprachförderlehrkraft", betont er und plädiert für eine Verankerung in der allgemeinen Lehrerausbildung. Eine punktuelle Schwerpunktsetzung in einzelnen Verbünden (Anm.: Zusammenschluss von Universitäten und Pädagogischen Hochschulen zur Lehrerausbildung) sei nicht ausreichend.
Welcher Lehrer will ich sein?
Eine essenzielle Frage in Zusammenhang mit Sprachförderung in der Schule ist jene, in welcher Rolle sich Lehrkräfte selbst sehen. "Begreife ich mich als Lehrer, der eben auch Sprache vermittelt oder mit Sprache arbeitet, auch wenn mein Unterrichtsgegenstand Mathematik heißt?" Oft sei diese Haltung zu spüren: "Was geht mich das an, ich unterrichte ja nicht Deutsch" - da gebe in der Ausbildung noch viel zu tun.
Erst wenn alle Lehrkräfte mit Fragen des Sprachenlernens befasst, daran interessiert und entsprechend ausgebildet sind, kann durchgängige Sprachbildung stattfinden, erläutert Schweiger. "Durchgängig bedeutet auch, quer durch alle Schulstufen, vom Kindergarten bis zur Matura, und letztendlich auch bis zur Universität. Sprachliche Bildung hört ja nicht auf - sie hört auch nicht nach ein, zwei Semestern Deutschförderklasse auf."
Zu diesen hat sich der ÖDaF, wie viele andere, in Stellungnahmen kritisch geäußert. "Integrative Maßnahmen sind immer sinnvoller und zielführender, wenn auch vorübergehend erweitert um additive Maßnahmen - jedenfalls aber nicht wie in der geplanten Form mit der Trennung der Kinder von der Regelklasse." Viele Fragezeichen gäbe es zudem rund um die Rahmenbedingungen, die Gruppengrößen oder die erforderlichen Qualifikationen für Lehrkräfte, um in diesen Klassen unterrichten zu können.
Sprachsensibler Unterricht
Es gebe bereits gute Beispiele für sprachsensiblen Unterricht, erklärt Schweiger und verweist auf Tanja Tajmel, DaZ-Expertin an der Pädagogischen Hochschule (PH) Oberösterreich. "Sie zeigt eindrücklich, dass Physik, Mathematik und alle anderen Gegenstände eben auch mit Sprache operieren und es ganz wichtig ist, entsprechende Sprachkompetenzen auszubilden." So könne man als Lehrkraft darauf achten, welche sprachlichen Stolpersteine es für Kinder und Jugendliche mit DaZ gibt, welche bestimmten Strukturen etwa im Satzbau, welche Aspekte im Wortschatz besondere Schwierigkeiten bereiteten. Welche Lesestrategien gibt es beispielsweise, um schwierige Fachtexte zu "knacken"? "Ist man dafür sensibilisiert und weiß man, wo man ein Instrumentarium bekommt, um die Schüler entsprechend zu unterstützen, kann man seinen Unterricht ganz anders gestalten und leichter Rücksicht nehmen", erklärt Schweiger.
Schweiger, der auch am BRgORg Henriettenplatz Englisch und Deutsch unterrichtet, hat über sein Institut mit der Schule ein Projekt zur vorwissenschaftlichen Arbeit laufen. "Wir ermutigen Schüler, beim Schreiben der ersten Entwürfe durchaus all ihre Sprachressourcen zu nutzen. Da entstehen dann mehrsprachige Texte, die Jugendlichen springen zwischen den Sprachen - nicht nur Erst- und Zweitsprache, sondern auch weiteren - hin und her. Das ist etwas sehr Hilfreiches, um einmal in die Auseinandersetzung mit einem Thema hineinzukommen und einen ersten Textentwurf zu erhalten." Hier könne man Mehrsprachigkeit ganz gezielt nutzen. Dem Vorgang des Schreibens attestiert er eine wichtige Funktion: "Man merkt sich Dinge besser, aber darüber hinaus kann Schreiben das Denken - auch durchaus in mehreren Sprachen - in Gang setzen", meint er.
Geringschätzung von Mehrsprachigkeit
Für Projekte wie am Henriettenplatz braucht es vor allem eines: Wertschätzung gegenüber den mehrsprachigen Ressourcen, die Schüler mitbringen. Hier ortet er das Problem der derzeitigen politisch-gesellschaftlichen Debatte. "Da geht es immer nur um Deutsch, dabei wird nicht gesehen, wie wichtig der Konnex zur Mehrsprachigkeit ist, auch in Hinsicht auf die Lebensrealität", verweist er auf die bekannte Tatsache, dass in Wien bereits 57 Prozent der Volksschüler eine andere Erstsprache als Deutsch sprechen.
Muttersprachlichen Unterricht zu verstärken wäre im Interesse der Kinder und Jugendlichen sehr sinnvoll. "Ihre alltagssprachlichen Kompetenzen im Serbischen oder im Arabischen sind wohl hoch, aber bildungssprachliche Fähigkeiten und auch die Beherrschung der Schriftsprache fehlen. Was kann ein Jugendlicher mit dieser Sprache dann eigentlich anfangen?", stellt Schweiger in den Raum. Der Zugang zu entsprechenden Bildungsmöglichkeiten bleibe verwehrt, an einen beruflichen Einsatz der Sprache werde überhaupt nicht gedacht. "Würde der Mehrsprachigkeit mehr Wertschätzung entgegengebracht und verdeutlicht, welchen Wert es für Kinder und Jugendliche haben kann, in ihrer Erstsprache auch bildungssprachlich versierter zu sein, würde auch die Akzeptanz steigen, sie gründlicher zu lernen", ist er überzeugt. Diese sprachlichen Ressourcen auszubauen sei ganz klar auch im Sinne der Gesellschaft.
Unbedingte Voraussetzung, eine zweite oder dritte Sprache zu erlernen, ist die Beherrschung der Erstsprache nicht. Aber "Kompetenz in der Erstsprache wirkt auf jeden Fall unterstützend", verweist Schweiger auf wissenschaftliche Erkenntnisse.
Französisch oder Türkisch? Eine Prestigefrage
Weil bestimmte Sprachen nach wie vor ein höheres Prestige genießen als andere, plädiert Schweiger auch dafür, den schulischen Sprachenkanon "endlich einmal" zu öffnen. "Es wäre ganz wichtig, auch andere Sprachen als Französisch, Italienisch, Spanisch oder Russisch als Fremdsprache anzubieten, etwa Türkisch oder BKS (Bosnisch/Kroatisch/Serbisch)." In diesem Zusammenhang müsse man auch der Diskriminierung durch Sprache ins Auge blicken und überlegen, wie sich etwa das Renommee bestimmter Sprachen verändern oder aufwerten lasse. Tatsächlich kann nur an einzelnen Schulen in BKS maturiert werden. "Ich denke aber, das sollte nicht die Ausnahme sein, gerade wenn man sich die Größenordnung ansieht, in welcher diese Sprachgruppen in der Gesellschaft vertreten sind", meint Schweiger.
"Erstaunlich" findet es der Pädagoge, dass in einer Migrationsgesellschaft wie Österreich nach wie vor so wenige Lehrkräfte mit Migrationshintergrund zu finden sind. "Tatsächlich ist das ein Problem. "Das wird sich jedoch ändern, genauso, wie sich das Prestige bestimmter Sprachen ändern wird, je mehr Lehrkräfte in Schulen arbeiten, die selber eine Migrationssprache als Erstsprache sprechen", ist er überzeugt.
Gleichwohl müsse ein Fokus auf der Fort- und Weiterbildung für muttersprachliche Lehrkräfte liegen - ein Migrationshintergrund allein reicht nicht, um Sprachförderunterricht abhalten zu können. Tatsächlich weisen viele der für den Unterricht in BKS eingesetzten Lehrkräfte zwar meist ein (häufig im Ausland absolviertes) Lehramtsstudium auf, aber keine einschlägige Zusatzausbildung, deckte eine parlamentarische Anfrage vor drei Jahren auf. In den letzten Jahren habe sich das Angebot zwar deutlich verbessert, aber es gebe noch immer "viel Luft nach oben". Und dort, wo es Lehrgänge für Pädagogen, die nicht das Fach Deutsch unterrichten, im Bereich der Sprachförderung gibt - etwa an der PH Wien, KPH Krems oder PH NÖ - seien sie stark nachgefragt, so Schweiger.
Einen entscheidenden Unterschied für einen gelungenen Umgang mit dem Sprachenthema mache jedenfalls das Schulklima, ist der Wissenschafter überzeugt. "Wenn Mehrsprachigkeit an der Schule einen hohen Stellenwert hat, wenn sie gefördert wird, dann funktioniert auch Sprachenlernen besser. Und natürlich, wenn Lehrkräfte als Team insgesamt an einem Strang ziehen." Was den Didaktiker an der aktuellen Diskussion am meisten stört? "Der Blick nur auf Deutsch und Deutschförderung - so als könnte man das losgelöst von Fragen der Mehrsprachigkeit sehen, und so als könnte man Deutschförderung und Sprachenlernen losgelöst von fachlichem Lernen sehen."
Von Sylvia Maier-Kubala / APA-Science