Wenn ein Fehler Konvention wird
Wie lässt sich der Wandel der Sprache feststellen? Meistens anhand von Fehlern, die sich einbürgern. Oder mit physikalischen Modellen.
"Sprache hat sich immer geändert und wird sich immer ändern", verwies Manfred Glauninger, Gastprofessor am Institut für Germanistik der Universität Wien, im Gespräch mit APA-Science auf den grundsätzlich dynamischen Charakter von Sprache. Während Sprachwissenschafter diese Phänomene in linguistischen Kategorien wie Phonetik oder Syntax analysieren, offenbaren sich dem Normalbürger Wandelphänomene häufig über "Fehler", die sich im Alltag langsam einbürgern.
"Gehst du Billa?"
"Ein typisches Beispiel für Sprachwandel ist es, wenn ein Fehler Konvention wird", erklärte Glauninger. Auch wenn viele aktuelle Beobachtungen aus der Alltagssprache (noch) nicht mit empirischen Daten belegbar sind, sei auffällig, dass in bestimmten Phrasen immer öfter Artikelwörter oder Präpositionen weggelassen werden. "Gehst du Billa?" oder "Ich bin Stephansplatz" fallen in diese Kategorie.
Sprachwandel zeigt sich für Glauningers Kollegin Alexandra Lenz, die auch den Spezialforschungsbereich des Wissenschaftsfonds FWF "Deutsch in Österreich" leitet, auf zwei Ebenen: "Einmal auf der Ebene des Sprachgebrauchs, mündlich und schriftlich. Und der zweite Komplex sind die Spracheinstellungen in den Köpfen von Personen."
Diese zwei Großblöcke analysieren die Variationslinguistin und ihre Kollegen zum Beispiel, indem sie ältere Sprachstände mit jüngeren vergleichen. "Das ist insbesondere in den letzten 120 Jahren möglich, weil wir da auch schon Tonaufnahmen haben", so Lenz. Davor könne man nur über die Schriftlichkeit erahnen, wie geschriebene Sprache damit zusammenhängt, wie auf der Straße gesprochen wurde. Eine andere Methode ist, verschiedene Generationen im Vergleich miteinander zu beobachten. "Jüngere, progressiv Sprechende zeigen uns ein wenig, in welche Richtung es in Zukunft geht", sagte Lenz.
Sprachwandel als Bedrohung
Der Wandel in den Köpfen hinkt dem Wandel auf der Straße gewissermaßen oft hinterher. Eine von Lenz durchgeführte Umfrage mit Lehrenden an Gymnasien in Deutschland, der Schweiz und Österreich hat ergeben, dass sowohl Lehrpersonen als auch die breite Öffentlichkeit ein sehr negatives Bild von Sprachwandel haben. "Sprachwandel wird als etwas Bedrohliches wahrgenommen", so Lenz: "Ob das wirklich so ist, sei einmal dahingestellt, denn Sprachwandel ist etwas Normales. Es wäre ein sehr ungutes Zeichen für eine Sprache, wenn sie sich nicht wandelt, dann wäre sie tot. Solange Sprache zu unserem Sozialverhalten ganz zentral dazugehört und solange sie unser Menschsein ganz zentral prägt, solange wird sich Sprache wandeln."
Physik und Linguistik
Vermischungen und Veränderungen auf der sprachlichen Ebene ergeben sich auch, wenn zwei oder mehrere Sprachen aufeinandertreffen. Diese Vorgänge genauer zu untersuchen, ist das Ziel der Sprachkontaktforschung. Mit einer ungewöhnlichen Methode ist Katharina Prochazka solchen Sprachkontakten auf der Spur. Die studierte Linguistin und Physikerin hat auf bisher einzigartige Weise ihre beiden Fachgebiete kombiniert, um die Verbreitung von Slowenisch in Kärnten zu erforschen. Unter Zuhilfenahme von historischen Volkszählungsdaten konnte Prochazka im Rahmen ihrer Dissertation Parallelen zwischen dem physikalischen Phänomen der Diffusion und der Verbreitung von Slowenisch entdecken.
"Da Ausbreitung von Sprachen auch bedeuten kann, dass dadurch bestehende 'kleinere' Sprachen verdrängt und sozusagen vom Aussterben bedroht werden, möchte man ja verstehen, warum Menschen ihre Sprache wechseln, also warum sie anfangen, eine andere Sprache zu sprechen", so Prochazka gegenüber APA-Science. Um genau das herauszufinden, erstellt die Wissenschafterin Computersimulationen und -modelle. Durch diese Modelle, die an die Ausbreitung von Atomen in der Physik angelehnt sind, könne man quantitativ arbeiten und so vielleicht "globale" Trends erkennen.
"Computersimulationen sind im Fall der Erforschung von Sprachausbreitung besonders hilfreich, da man keine Experimente machen kann - es ist unmöglich, eine Zeitmaschine zu bauen und Sprachausbreitung nochmal von vorn unter anderen Bedingungen laufen zu lassen", erklärte Prochazka. Die wichtigste Schlussfolgerung, die sie auch anderen Forscherinnen und Forschern mitgeben würde: "Man darf keine Angst haben, zwei Dinge die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, verbinden zu wollen."
Service:
Weitere Informationen zum Projekt "Sprachdiffusion": dcs.univie.ac.at/sprachdiffusion.
Webseite des Spezialforschungsbereichs "Deutsch in Österreich": dioe.at
Gastbeitrag von Alexandra Lenz und Manfred Glauninger zum Thema "Warum in Österreich jeder Mensch mehrsprachig ist": http://go.apa.at/aS0dJQ5j