Genderei und Hühner_ei
Binnen-I, Gendersternchen, Doppelnennung? Also was denn jetzt? Die Verwirrung ist groß. Um ein wenig Klarheit in das Gender-Chaos zu bringen, hat sich APA-Science mit Claudia Posch, Gender-Linguistin der Universität Innsbruck, unterhalten.
APA-Science: Frau Posch, wie wird korrekt gegendert?
Claudia Posch: Grundsätzlich kann jede Form des "Genderns" gewählt werden, die gefällt. Es gibt allgemeine Richtlinien und Verordnungen zur "geschlechtergerechten" Sprache, die geben aber nicht genau vor, mit welchen Mitteln diese erreicht werden kann. Was es oft innerhalb von Behörden und Firmen gibt, sind Zwänge, eine ganz bestimmte Form zu verwenden. Ich halte das für problematisch, weil es die Leute aus dem Nachdenken entlässt und die sprachliche Kreativität hemmt. Denn es muss nicht immer eine der berühmt-berüchtigten Formen wie Binnen-I oder Doppelnennung sein. Denken Sie beispielsweise an Formulare. Es wäre sehr einfach, diese so zu schreiben, dass sie eine Person direkt ansprechen, das würde die Verständlichkeit sogar erhöhen. Etwa statt "Unterschrift des/der Antragstellers/Antragstellerin" eine Formulierung wie "Ihre Unterschrift" oder "Bitte unterschreiben Sie hier". Es kommt also auf Kreativität und Einfallsreichtum an und genau deswegen ist eine gesetzliche Regelung nicht sinnvoll.
APA-Science: Warum ist Gendern so wichtig? Wann kann es vernachlässigt werden?
Posch: Wir wollen MIT Sprache GEGEN Diskriminierungen kämpfen und deswegen ist Gendern wichtig. Wenn wir sprechen, dann tun wir ja etwas. Sprechen ist eine Handlung. Wenn ein Kind in der Schule verkündet: "Ich geh mal brunzen", dann wird in Österreich sehr gut verstanden, was gemeint ist. Der Satz wäre auch grammatikalisch korrekt in einem linguistischen Sinn. Aber vermutlich wird das Kind ermahnt und belehrt, in welcher Situation man so was sagen kann und wann lieber nicht.
Sprache hat sehr viele Funktionen, unter anderem werden uns auch Regeln des sozialen Verhaltens sprachlich beigebracht. Kulturelle Normen und Werte werden vor allem durch Sprache gelernt. Sprache hat also sehr viel mit sozialen Verhältnissen zu tun, sie ist nicht einfach objektiv. Genau hier setzt antidiskriminierendes Sprechen an: Es geht beim antidiskriminierendem Schreiben/Sprechen darum, auf strukturelle Ungleichheiten hinzuweisen bzw. sie zu beseitigen.
APA-Science: Was halten Sie davon, aus Gründen von Lesbarkeit und Verständnis nicht zu gendern?
Posch: Ich halte davon nichts. Dieses Gegenargument, dass "aus Gründen der Lesbarkeit/des Verständnisses" auf antidiskriminierendes Sprechen verzichtet wird, kommt sehr häufig vor. Oft findet man einen ähnlichen Satz am Anfang oder am Ende eines Textes. So eine Formel mag auf den ersten Blick einleuchtend erscheinen, dieser Eindruck täuscht jedoch.
Das Wort "verzichten" tut hier so, als hätte eine Person schweren Herzens etwas unterlassen, obwohl sie es ja gern tun würde - aus Nettigkeit sozusagen. Wenn man den Satz so umformuliert, dass das Ergebnis im Vordergrund steht, sieht das gleich ganz anders aus: "Aus Gründen der Lesbarkeit/des Verständnisses bestehe ich weiterhin darauf, Menschen zu diskriminieren." Die eigene Bequemlichkeit hat also Vorrang vor dem Recht der Menschen, nicht diskriminiert zu werden - eigentlich nicht so nett.
Es wird so getan, als wäre das primäre Ziel eines jeden Textes, verständlich zu sein. Wenn dem so wäre, gäbe es ja keinerlei schwierige Texte. Jeder Text kann schwerfällig sein, dazu bedarf es keineswegs der Verwendung antidiskriminierender Sprachformen. Ein medizinischer Befund ist in jedem Fall schwierig zu lesen, wenn man es nicht gewohnt ist, oder auch ein Gesetzestext.
APA-Science: Gendern beschränkt sich zurzeit hauptsächlich auf die Schrift. Sollte auch mündlich gegendert werden?
Posch: Natürlich, warum nicht? Für das Binnen-I wurde vorgeschlagen, es mündlich einfach in Doppelform auszusprechen, also "BürgerInnen" wird zu "Bürgerinnen und Bürger"; das funktioniert problemlos bei Vorträgen, Reden, Ansprachen oder Lehrveranstaltungen und wird auch häufig so gemacht. Im Privaten, im Dialekt ist es vielleicht die größere Umgewöhnung, funktioniert aber auch recht flüssig - wir haben ja schließlich auch kein Problem mit anderen, vermeintlich schwierigen Worten wie dem stereotypen "Oachkatzlschwoaf".
Ein zweiter Vorschlag für das Gendern im Mündlichen lautet, vor dem "I" einen sogenannten Glottisverschluss einzusetzen - also Bürger_ Innen. Das ist ein Laut, den wir im Deutschen andauernd verwenden, der aber im Schriftlichen nicht abgebildet wird. Ein Glottisverschluss klingt wie eine ganz kurze Sprechpause mit einem leisen Knackgeräusch dabei. Wir produzieren den Laut recht weit hinten im Hals und normalerweise bemerken wir gar nicht, dass wir ihn verwenden. Beispielsweise immer, wenn am Wortanfang ein Vokal kommt, oder etwa in "Hühner_ei" (im Gegensatz zu "Schweinerei"). Wenn Sie sich das Beispiel selbst vorsagen, merken Sie sofort, wie Sie das machen. Auf diese Weise kann man das Binnen-I ganz leicht hervorheben und Deutschsprechende sind auch gewohnt, das zu hören, auch wenn es nur ganz leise ist.
Zusammenfassend: Das Binnen-I ist kein Vorschlag nur die weibliche Form zu verwenden, sondern eine Kurzform für weiblich und männlich und sollte auch so verwendet werden.
Was ist, wenn nun jemand unbedingt nur die weibliche Form verwenden wollen würde (als ausgleichende Gerechtigkeit sozusagen)? Mitleid mit den Männern, die dadurch diskriminiert würden, kann ich beim besten Willen nicht haben. Man muss hier schon die Verhältnismäßigkeiten im Auge behalten: wie viele Aussagen und Texte verwenden andauernd immer noch die männliche Form und wie viele im Vergleich ausschließlich die weibliche? Seit welchem Zeitraum ist das so? Überraschung: es gibt wenige Texte, die das "generische Femininum" verwenden. Da braucht meines Erachtens niemand gleich in Panik ausbrechen und Diskriminierung schreien, wenn es einmal umgekehrt ist.
Die Argumentation "männliche Diskriminierung" ist übrigens auch deswegen interessant, weil ja häufig stur darauf beharrt wird, dass das Maskulinum ja die Frauen mit meint. Diejenigen, die das behaupten, können sich aber offenbar nicht vorstellen, dass das Femininum die Männer mitmeinen kann. Wenn es also heißt, "die weibliche Form allein diskriminiert ja Männer", dann ist das ja ein Eingeständnis, dass die männliche Form allein wohl auch diskriminierend ist.
APA-Science: Welche Diskussionspunkte gibt es? Wer sind die Gender-Gegner und was sagen sie?
Posch: Die Gender-GegnerInnen, die in Medien auftreten oder in Meinungsstücken gegen das Gendern jammern, bringen seit 40 Jahren die gleichen Argumente vor - alle wurden schon genau so lang widerlegt. Sie tun so, als könne sich Sprache ausschließlich organisch entwickeln wie eine Pflanze und man würde sie zerstören, wenn man da irgendwie eingreift. Hier wird übersehen, dass Sprache als Kulturgut sich niemals organisch entwickelt hat, sondern eben gerade dadurch, dass sie in der Gesellschaft entsteht.
Es wird auch oft argumentiert, das generische Maskulinum sei "neutral". Auch hier hat die linguistische Forschung schon oft genug bewiesen, dass dem eben nicht so ist. Wie kann eine Form gleichzeitig explizit maskulin und neutral sein? Das würde einen hohen Abstraktionsaufwand bedeuten und es ist eben deswegen gerade nicht sprachökonomisch.
Oft behaupten diese GegnerInnen auch, antidiskriminierende Sprache sei Zensur. Es geht bei antidiskriminierendem Sprechen aber darum, WIE etwas gesagt wird und nicht, ob etwas gesagt werden darf. Alle dürfen weiterhin sagen was sie wollen, aber sie müssen es eben auch aushalten, wenn das kritisiert wird bzw. nicht unwidersprochen hingenommen wird. Gerade die GegnerInnen antidiskriminierender Sprache fordern selbst nämlich ganz gern "Verbote", wenn sie ihnen gerade hineinpassen. Das hat man sehr gut bei der ÖNORM-Diskussion in Österreich gesehen. Hier sollte eine Norm erstellt werden, die Binnen-I und andere Formen ausschließen sollte.
APA-Science: Diskriminierende Sprache beschränkt sich nicht auf das Gendern alleine. Wo ist ein sensibler Umgang mit Sprache sonst noch wichtig?
Posch: Zuerst ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass Diskriminierung nicht nur eine Kategorie wie "Geschlecht" betrifft, sondern es um auch andere Arten der Diskriminierung geht, z.B. wegen des Alters, der Hautfarbe, Herkunft, usw. Außerdem finden wir sprachliche Diskriminierung eben nicht nur auf der Ebene einzelner Wörter, sondern auf allen sprachlichen Ebenen, in der Argumentation, in Phrasen, in abwertenden Ausdrücken, bei Namen/Benennungen, sogar in der Syntax.
Deshalb ist sensibler Umgang mit Sprache überall da wichtig, wo hauptsächlich mit Sprache gearbeitet wird. Das gilt besonders für die Medien, aber auch öffentliche Institutionen oder die Werbung.
Leider ist es oft so, dass Medien mehr darauf achten, aufzufallen und zu schockieren, anstatt wirklich zu überlegen, was man mit einem Satz, einem Wort eigentlich aussagt. Ein Beispiel dafür ist die Berichterstattung bei Gewaltdelikten, wie z.B. Amokläufen. In Berichten über das jüngste "school shooting" in den USA haben englisch- und deutschsprachige Medien häufig geschrieben, dass der junge Mann um sich geschossen habe, weil ein Mädchen nicht mit ihm ausgehen wollte. Das scheint auf den ersten Blick, ein neutraler, berichtender Satz zu sein - er ist es aber nicht. Die Satzkonstruktion schiebt sprachlich dem Mädchen die Verantwortung zu, zumindest ein bisschen. Sie ist aber natürlich überhaupt nicht verantwortlich, sondern allein der Täter selbst. Die Begründung für so einen Tat ist nicht, weil eine andere Person irgendwas getan/nicht getan hat, sondern weil der Täter damit nicht zurechtkam.
Man muss sich deswegen von Text zu Text ganz genau überlegen: Was will ich sagen? Wen will ich erwähnen und wen nicht? Man muss sich klar sein, dass man als schreibende/sprechende Person die Verantwortung für das Gesagte zu übernehmen hat.
Natürlich kann das Bemühen um eine diskriminierungsfreie Sprache bisweilen anstrengend und mühsam sein, und es kann auch daneben gehen. Aber wie sollen wir dort, wo in der Welt krasse Ungerechtigkeiten passieren Änderungen herbeiführen, wenn uns schon der relativ geringe Aufwand, über unser Sprechen nachzudenken, so herausfordert? Wer in einer Gesellschaft leben will, die zumindest versucht Diskriminierung abzubauen, wird diese Mühen auf sich nehmen. Und wer das eh nicht will, tut es ja jetzt schon nicht.
Von Anna Riedler / APA-Science