Selbstmotivation ist alles: Lernen wie ein Kind
Peter Auer, Leiter des Lehrstuhls für Informationstechnologie an der Montanuniversität Leoben, ist Partner im EU-Projekt CompLACS, das sich mit maschinellem Lernen und künstlichen intelligenten Systemen beschäftigt. Gegenüber APA-Science erzählte er von der Herausforderung, Maschinen zu entwickeln, die ohne konkrete Aufgabenstellung lernen und Daten nicht nur aus der digitalen, sondern auch aus der physischen Umwelt verarbeiten können.
APA-Science: Sie sind am EU-Forschungsprojekt CompLACS beteiligt. Was ist das Ziel des Projekts, und was ist Ihr Aufgabenbereich dabei?
Auer: Im Projekt CompLACS ("Composing Learning for Artificial Cognitive Systems") geht es um das Zusammenfügen von verschiedenen Algorithmen des Maschinellen Lernens zu einem Gesamtsystem, das dann "kognitive" Fähigkeiten besitzt. Beispiele für solche Gesamtsysteme, die in CompLACS untersucht werden, sind autonom fliegende Helikopter, ein Roboterarm, der unter anderem Tischtennis spielt, und ein Empfehlungssystem für Nachrichten und Informationen, das aus vielen Quellen die für einen Benutzer passenden Informationen herausfiltert.
Während es im Maschinellen Lernen für Einzelprobleme schon sehr gute Lösungen gibt, erfolgt das Zusammenfügen dieser Einzellösungen zu einem Gesamtsystem in der Regel ad hoc für die jeweilige Anwendung. In CompLACS wird nun das systematische Zusammenfügen von Einzellösungen untersucht, und zugleich auch die notwendigen Verbesserungen der Einzellösungen.
Als Beispiel benötigt eine Gruppe von autonomen Helikoptern, die einen Geländeabschnitt nach einer verletzten Person absuchen soll, unter anderem eine Koordination der Gruppe, um das Gebiet möglichst effizient abzusuchen, und eine Erkennungsmethode für möglicherweise verletzte Personen. Während das Zusammenfügen von festen Komponenten relativ gut verstanden ist, verändern sich im Maschinellen Lernen diese Komponenten, um sich zu verbessern. Dadurch ergeben sich Wechselwirkungen zwischen aufeinander aufbauenden Komponenten. Verbessert sich zum Beispiel die Personenerkennung aus größerer Entfernung, ermöglicht das eine effizientere Suche, die wiederum autonom erlernt werden muss. Andererseits ergibt sich die Motivation für das Erlernen einer Erkennung aus größerer Entfernung nur aus dem Ziel einer effizienteren Suche.
Die Aufgabe des Lehrstuhls für Informationstechnologie in diesem Projekt ist das Entwickeln von "selbst motivierten" Lernalgorithmen. Dabei soll ein System seine Umgebung und seine Möglichkeiten in dieser Umgebung erkunden und erlernen, ohne dass schon ein Ziel oder eine Aufgabenstellung vorgegeben ist. Nach dieser "Vorerkundung" soll das System in der Lage sein, die Lösung von konkreten Aufgabenstellungen sehr schnell zu erlernen. Eine - möglicherweise oberflächliche - Analogie für diese Art des Lernens sind kleine Kinder, die im Spiel ihre Fähigkeiten entwickeln, scheinbar ohne dass von außen eine Aufgabe vorgegeben ist.
APA-Science: Wo sehen Sie derzeit den Schwerpunkt in der KI-Forschung? Liegt der bei den Anwendungen oder in einem anderen Bereich?
Auer: Die Unterscheidung in angewandte und Grundlagenforschung finde ich in diesem Zusammenhang nicht nützlich, da sich diese Unterscheidung auf die konkrete Herangehensweise bezieht, und nicht so sehr auf das Forschungsgebiet. Gerade in der Künstlichen Intelligenz (KI) bezieht die Grundlagenforschung ihre Motivation aus Anwendungen bzw. werden theoretische Ergebnisse auch praktisch umgesetzt.
Als aktuelle Schwerpunkte der KI-Forschung im weiteren Sinn sehe ich Data Mining und Analyse sehr großer Datenmengen - Stichwort Big Data - mit sehr unterschiedlichen Anwendungen von Biologie und Medizin bis Physik und Astronomie, sowie in Internet-Diensten und bei der Analyse von Geschäftstransaktionen im Allgemeinen. Ein weiteres Feld sind Systeme mit mehr Autonomie - etwa selbstfahrende Fahrzeuge. Eine besondere Herausforderung ist die Reaktion von autonomen Systemen auf unbekannte Ereignisse. Einen weiteren Schwerpunkt sehe ich im Bereich Computational Neuroscience - Stichwort Human Brain Project. Ein wesentliches Ziel der Neuroscience ist das Verstehen von Kognitiven Prozessen und ihrem Zustandekommen. Erkenntnisse der Neuroscience ermöglichen so das Nachbilden von kognitiven Prozessen in künstlichen Systemen.
APA-Science: Seit 60 Jahren gibt es die KI-Forschung. Inwiefern haben sich die Forschungsansätze in Ihrem Fachgebiet verschoben? Welche Rolle spielen hierbei Fragen nach der "Intelligenz im menschlichen Sinn" und dem "Kern des Menschseins"?
Auer: Die ursprüngliche Annahme der KI-Forschung war, dass Intelligenz als geschickte Manipulation von Symbolen dargestellt werden kann. Diese Annahme hat sich in größerem Umfang nicht bewahrheitet, und wesentliche Fortschritte wurden erst nach 1980 durch die Verwendung von künstlichen neuronalen Netzen erzielt, die nicht symbolisch, sondern mit kontinuierlichen Werten rechnen. Der folgende Aufschwung der KI - diese Bezeichnung wird oft nur für die alte symbolische KI verwendet und von manchen Forschern gemieden - ist aus meiner Sicht dem Umgang mit Unsicherheiten und Wahrscheinlichkeiten geschuldet. Dazu kommen heute auch noch große Rechenleistung und große verfügbare Datenmengen.
"Intelligenz im menschlichen Sinn" und "Kern des Menschseins" sind philosophische Fragen, die aus meiner Sicht in der eher pragmatischen KI-Forschung nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die gesellschaftlichen Auswirkungen von KI sind aber Fragen, die mit den Erfolgen der KI nun verstärkt diskutiert werden.
APA-Science: Wie sehen Sie die Zukunft des Menschen, wenn Maschinen immer intelligenter werden? Besonders in der Wissensarbeit sind Computer einfach unschlagbar. Wird der Mensch auch aufrüsten müssen - zum Beispiel mit Chip-Implantaten im Gehirn ... - um mitzuhalten?
Auer: Die Literatur (siehe Factbox) diskutiert Szenarien, in denen intelligente Maschinen den Menschen überflügeln. Ich halte diese Szenarien für überzogen. Computer sind tatsächlich sehr gut im Verarbeiten von digitalen Inhalten, aber die Verarbeitung von Daten aus der physischen Umwelt bereitet zum Teil noch erhebliche Schwierigkeiten. Zum Beispiel konnten Stühle in Fotografien nur mit 20-prozentiger Genauigkeit gefunden werden (M. Everingham et al., The Pascal Visual Object Classes Challenge: A Retrospective, Int. J. Computer Vision, 2015, pp 98-136, Fig. 23). Insofern sind Computer in der Wissensarbeit nicht "unschlagbar".
Unser Denken scheint sehr stark an die biologischen Gegebenheiten und die physische Umgebung gebunden und für diese optimiert, sodass eine künstliche Intelligenz deutlich andere Eigenschaften haben muss. Das schließt allerdings keineswegs aus, dass für spezielle Aufgaben künstliche Unterstützung sinnvoll sein kann, sei es als Tablet, Google Glass, oder auch als Implantat. Welche Aufgaben einer künstlichen Intelligenz oder einer künstlichen Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten übertragen werden, wird eine gesellschaftliche und auch eine persönliche Entscheidung sein. Tätigkeiten, über die "Menschsein" definiert wird, sollten nicht an künstliche Systeme vergeben werden.
Das Interview führte Sylvia Maier-Kubala / APA-Science