"Blockchain im Energiesystem"
Der Hype um Blockchain-Anwendungen hat den Energiesektor ergriffen, denn auch hier hat man das Potenzial von Smart Contracts und Blockchain-basierten Lösungen erkannt. Start-ups und Forschungsprojekte erlangen zunehmend Aufmerksamkeit und erste Anwendungen kommen aus der Konzeptentwicklung in die "proof of concept"-Phase.
Bereits seit mehr als einem Jahrzehnt gibt es Anstrengungen, den Energiesektor zu digitalisieren, um seine Effizienz zu steigern. Insbesondere im Stromnetz sind hier unter dem Schlagwort "Smart Grids" große Anstrengungen seitens der Industrie unternommen worden. Derzeit findet das Ausrollen von Smart Meter für die Stromkunden statt, wobei Blockchain-Technologien auch eine Rolle spielen könnten, wenn es um die Nutzung und Sicherheit von Big Data geht. Beispielsweise überlegt man in Schweden, alle Smart Meter-Daten in einem öffentlichen und distribuierten Ledger zu verwalten.
In Europa werden Smart Grids nicht vorwiegend im Sinne der Digitalisierung verstanden, sondern mit der Herausforderung der Integration erneuerbarer Energieressourcen in das Stromnetz und der Dekarbonisierung verknüpft. Österreich hat hier durch Forschungsprogramme, Demonstrationsprojekte und Konferenzen (u. a. Smart Grid Week, Smart Energy Systems Week, International Smart Grids Action Network - ISGAN) eine Themenführerschaft auf internationaler Ebene mitübernommen. So wurde auch die von der Fachwelt mit großer Aufmerksamkeit verfolgte erste internationale Blockchain-Konferenz im Energiesektor (Event Horizon 2017) in der Wiener Hofburg abgehalten.
Warum braucht das Energiesystem Blockchains?
Spätestens seit der Pariser Klimakonferenz im Jahr 2015 sind Energiewende und die Transformation zu einer Low Carbon-Ökonomie zu einem globalen Ziel geworden. Es zeichnet sich immer stärker ab, dass Stromnetze die Backbones einer viel stärker integrierten Energieinfrastruktur bilden werden. Dies hängt einerseits mit dem wachsenden Anteil der erneuerbaren Energieressourcen wie Photovoltaik, Wind oder Kleinwasserkraft zusammen, die über lokale Nieder- und Mittelspannungsnetze eingespeist werden, andererseits sind diese nicht immer verfügbar. Damit werden Produktion und Netzauslastungen weniger planbar, wodurch der Bedarf nach Energiespeicherung und Flexibilisierung der Netzinfrastruktur zu den vorrangigen logistischen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte werden.
Ein über Jahrzehnte aufgebautes Stromnetz, das weitestgehend zentral produzierten Strom an Endnutzer verteilt, muss also nun in ein Netz umgebaut werden, in dem auch kleine und mittlere Produzenten eine Rolle spielen und noch dazu große Speicherkapazitäten für logistische Energiedienstleistungen von kurzfristiger Netzstabilisierung bis zur saisonale Verteilung aufgebaut werden müssen.
Folglich ist mit einem substanziellen institutionellen Wandel zu rechnen, um die rechtlichen und sektoralen Strukturen den neuen Erfordernissen anzupassen. Die gesetzlichen Spielregeln verändern sich bereits; beispielsweise sind seit der ELWOG-Novelle 2017 auch gemeinschaftliche Erzeugungsanlagen erlaubt, wodurch eine Innovationszone entsteht, die auch regulatorisch Freiraum für Blockchain-basierte Lösungen bietet. Das sektorale Akteursnetz, bestehend (a) aus etablierten Akteuren, die bestehende Geschäftsmodelle überdenken müssen, und (b) aus neuen Akteuren wie Aggregatoren und Anbietern von IKT-Dienstleistungen, die nach Geschäftsmodellen Ausschau halten, ist im Umbruch.
Ein wesentliches Hemmnis des institutionellen Wandels sind die mit der Abwicklung marktlicher aber auch bilateraler Transaktionen verbundenen Kosten und Aufwendungen. Durch Blockchain-Lösungen erhofft man sich die Reduktion dieser Transaktionskosten, wodurch unter anderem neue Produzenten-Kunden-Beziehungen unter Umgehung etablierter Handelsstrukturen möglich werden könnten. Ebenso könnten "peer to peer"-Lösungen, wie bilateraler Stromhandel ohne Nutzung einer Marktplattform, kostengünstiger oder die Aufteilung von Kosten und Erlösen in gemeinschaftlichen Erzeugungsanlagen durch öffentliche oder private Ledgers und Smart Contracts ermöglicht werden. Diesbezügliche Start-ups und Projekte finden sich beispielsweise in den USA (LO3 Energy), in Australien (Power Ledger) oder in der Schweiz (Hive Power).
Stromnetze als Cyber-Physical Infrastructure
Smart Contracts haben auch das Potenzial, die Schnittstelle zwischen virtueller und physischer Welt zu bilden. Das Automatisieren von Entscheidungen zwischen Vertragspartnern mittels Smart Contracts ermöglicht den virtuellen Abschluss eines Deals (Kaufe in der Zeit von/bis soundso viel Energie zu dem und dem Preis), ohne dass ein Mensch in Spiel kommt. Die Blockchain verknüpft den Deal mit dem tatsächlichen Zu- und Abschalten von Stromverbrauchern (Wärmepumpe, E-Mobil usw. ) oder Stromspeichern für alle Beteiligte in nachvollziehbarer Weise.
Sollten sich die technologischen Anforderungen an eine Blockchain-Technologie (Authentifizierung, Sicherheit vor Manipulation, Geschwindigkeit, Datenspeicherung etc.) in Lösungen umsetzen lassen, könnte ein sogenannter Aggregator dadurch mit einer Vielzahl von Kunden ohne unmittelbare menschliche Einflussnahme rechtsgültige Verträge abschließen und mit der Lastverschiebung ein Businessmodell aufbauen.
Um derartige Lösungen zu ermöglichen und mit anderen Dienstleistungen zu verknüpfen (beispielsweise Vorhersagemodellen für Windproduktion), ist man auf entsprechende Plattformlösungen angewiesen. Grid Singularity, ein österreichisches Start-up, hat in Kooperation mit dem Rocky Mountain Institute und globalen Playern im Energiesektor die Energy Web Foundation gegründet, um eine Ethereum-basierte Open Source-Plattform aufzubauen, die den Erfordernissen des Energiesektors entspricht. Deren Nutzen soll darin liegen, einer Vielzahl von Innovatoren die Möglichkeit zu bieten, eine breite Palette an Softwarelösungen, von Vorhersagemodellen bis zu Demand Response Verträgen und anderen Logistiklösungen, zu entwickeln, die als Grundlage zukünftiger Energiesysteme dienen.
Wie weit ist der Entwicklungsstand? Wo geht es hin?
Blockchain-Konzepte und -Anwendungen haben das Potenzial, den Wandel der Energiesysteme zu beschleunigen. Insbesondere eine auf den Energiesektor zugeschnittene Plattformlösung könnte hier zum game changer werden. Da derzeitig nur Konzepte und White Papers bestehen und "proof of concept"-Projekte einiger Start-ups am Laufen sind, ist es allerdings verfrüht zu sagen, wie lange es dauern wird, bis eine Plattform mit profitablen Applikationen aufgebaut und etabliert sein wird. Ein erster Schritt dazu wird am 1. November 2017 durch die Veröffentlichung des Blockchain and Application Layer Test Network der Energy Web Foundation gemacht werden. Weiters wird demnächst auch das national geförderte Demonstrationsprojekt "SonnWende+" im Rahmen des Energie Innovation Cluster Südburgenland gestartet.
Bei disruptiven Technologien muss auch immer davon ausgegangen werden, dass Hype- und Enttäuschungsphasen Teil des Innovationsprozesses sind. Akteuren wie dem AIT wird daher die Aufgabe zufallen, den Diskussionsprozess und die technologische Entwicklung nachhaltig in Gang zu halten. Neben den Hürden im Entwicklungsprozess bestehen auch institutionelle Hemmnisse und Pfadabhängigkeiten, derer es in einem System mit langfristigen Investitionsgütern und in Jahrzehnten gewachsenen institutionellen Strukturen zur Genüge gibt. Es wäre daher nicht ungewöhnlich, wenn das Etablieren von Blockchain-Lösungen als fundamentaler Teil des Energiesektors ein langfristiges Projekt sein wird.