Wiener Wirtschaftsuni startet Kryptoökonomie-Schwerpunkt
Begriffe wie "Blockchain" oder "Kryptoökonomie" schwirren seit einiger Zeit verstärkt durch diverse Räume. Der Ansatz verspricht die digitale Abwicklung von Transaktionen ohne Mittelsmann. An der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien ist gerade ein neuer Forschungsschwerpunkt über das Konzept und dessen Umsetzung im Entstehen.
"Kryptoökonomie wird die Art, wie man Informationssysteme betrachtet, vollkommen verändern", sagte der Wirtschaftswissenschafter und Koordinator des vom Wissenschaftsministerium mit 500.000 Euro über fünf Jahre hinweg unterstützen Forschungsschwerpunktes, Alfred Taudes, zu APA-Science. Wenn sich auf Online-Plattformen User-Gruppen in irgendeiner Form austauschen, könne man das als kleine Märkte betrachten. Bisher gibt es dort aber immer irgendeinen zentralen Koordinator, der Spielregeln und Abläufe bestimmt und die Informationen über die Akteure und Transaktionen zentral speichert. Diese Position bedeutet neben Macht meistens auch viel Geld. "Man braucht sich ja nur die durch die Vermittlung von Werbeanzeigen gemachten Gewinne von Facebook oder Google anschauen, um zu wissen, was das wert ist", so Taudes.
Universell einsetzbarer Ansatz
Bei einer kryptoökonomischen Anwendung werden die Regeln der Zusammenarbeit durch sogenannte "Smart Contracts" definiert. Das sind auf den Rechnern der Marktteilnehmer verteilte Programme in denen dargelegt ist, wie die Teilnehmer miteinander interagieren. Diese und die zu miteinander verbundenen Blöcken in einer Blockchain zusammengefassten Einzeltransaktionen definieren das Protokoll, auf dessen Basis ohne zentrale Koordination die Interaktion stattfindet.
Eine Anwendung dieses Prinzips, die momentan viel Aufmerksamkeit erfährt, ist die Kryptowährung Bitcoin. "Das ist eigentlich nichts anderes als ein Geldüberweisungssystem ohne Bank in der Mitte. Genau dieses Prinzip wendet man jetzt in anderen Bereichen an. Denn man ist draufgekommen, dass in der Blockchain-Datenbank alles Mögliche drinnen stehen kann - ob das jetzt ein Bitcoin ist, das man schickt, oder ein Schlüssel, mit dem man dann Zugriff auf ein Musikstück bekommt", sagte der u. a. auf Produktionsmanagement spezialisierte Forscher.
Neue Wirtschafts- und Forschungsfelder
Er selbst kam über Kontakte mit Studenten mit dem Thema in Berührung. Der Einstieg könne sich jedenfalls "sehr verwirrend" gestalten, auch weil sich die "Gurus" der Szene mitunter nicht wirklich allgemein verständlich ausdrücken würden und oftmals damit beschäftigt seien, die Vorzüge des eigenen Systems zu preisen, räumt der Experte ein.
Aus wissenschaftlicher Sicht sei das Thema vor allem interessant, weil sich hier gerade neue Wirtschaftssysteme bilden. Es stelle sich etwa die Frage, inwieweit bekannte Prozesse aus der klassischen Ökonomie dort wirksam werden. Wenn jetzt unter der Flagge der Kryptoökonomie sogenannte "Initial Coin Offerings" (ICOs) auftauchen, durch die beispielsweise Start-ups im Sinne eines Crowdfunding-Ansatzes Kapital in Form von Kryptowährungen aufnehmen, dann "ist das so ähnlich, wie wenn eine Zentralbank die Geldmenge kontrolliert", sagte Taudes.
Großes Interesse unter Wirtschaftswissenschaftern
An Fragen wie dieser erschließt sich auch, warum der Forschungsschwerpunkt stark fachübergreifend ausgelegt ist. So brauche es beispielsweise die Zusammenarbeit von Betriebswirten, Volkswirten, Informatikern und Vertretern der Krypto-Szene, weil es hier weniger um das Funktionieren der Technik, sondern um das "richtige Design von Anreizsystemen" gehe. Man könne mit Blockchains im Netz etwa auch künstliche Aktiengesellschaften mit eigenen Entscheidungsstrukturen etablieren, was wiederum auch Rechtswissenschafter auf den Plan rufe. Für Juristen seien auch die Auswirkungen auf das Steuerrecht, das Datenschutzrecht, die Regulierung im Finanzsektor interessant.
Das könne für die Forschung "unheimlich befruchtend sein" und sei auch der Grund, warum sich viele Kollegen beteiligen wollen, so der Schwerpunkt-Koordinator. Ein "Senior Scientist" werde exklusiv in dem neuen Verbund tätig sein, die anderen Beteiligten werden einen Teil ihrer Ressourcen dem Thema widmen. In einer ersten Runde werde die bunte Gruppe von zwölf WU-Professoren nun umreißen, wohin die gemeinsamen Interessen gehen.
Die österreichische Initiative sei jedenfalls bei weitem nicht die einzige mit dieser Ausrichtung auf akademischer Ebene. Man werde daher auch den Kontakt zu anderen neu entstehenden Gruppen im In- und Ausland suchen. Auch der Schulterschluss mit der Praxis ist geplant.
Wenn Produkte von sich selbst erzählen
Taudes selbst möchte sich dem Potenzial der Blockchain am Beispiel von Lieferketten annähern. Momentan wisse manchmal keine der oft unzähligen beteiligten Firmen über den aktuellen Zustand einer Lieferung Bescheid. Die Information liege in den meisten Fällen in vielen Systemen verteilt vor. Neben einem unglaublichen administrativen Aufwand führe das dann meist zu Chaos, wenn etwas schief geht. Was eine Überführung solcher Lieferketten in Blockchains bringen könnte, gelte es herauszufinden.
Zukünftig könnten mit Hilfe des Ansatzes auch Waren sozusagen selbst über ihre Herkunft und Entstehung Auskunft geben. Denkbar wäre, dass ein Produkt mittels eines "Krypto"-Chips auf dem Weg der Erzeugung aufzeichnet, was ihm alles widerfahren ist. Die möglichst exakten Informationen über ein Stück Fleisch könnten dann im Supermarkt mit dem Handy ausgelesen werden. Ein T-Shirt könnte quasi selbst mitdokumentieren, in welcher Fabrik es gefertigt wurde und welche Materialien dabei zum Einsatz kamen. Da solche Informationen nach dem Blockchain-Prinzip dezentral gespeichert wären, könne man sich - im Gegensatz zu manchen Zertifikaten - weitestgehend auf die Angaben verlassen.
Mehr als Bitcoin
Momentan werde Blockchain noch stark auf die Bitcoins reduziert. "Viele Leute assoziieren das immer noch mit Nerds und Drogenhändlern. Die Datenbanktechnologie darunter ist aber viel allgemeiner. Auch zu Beginn des heutigen Internets war die erste Anwendung E-Mail, heute wird das darunter liegende Protokoll für Anwendungen in allen Lebensbereichen eingesetzt", so Taudes. Dass es etwa möglich ist, Bitcoins innerhalb weniger Minuten fast gebührenfrei weltweit zu überweisen, stimme auch viele Banken nachdenklich, bei denen das noch Tage dauert und mit viel höheren Kosten verbunden ist. Auch Firmen wie die Online-Musikplattform Spotify, die als Mittelsmann zwischen Künstlern und Hörern fungiert, setzen sich mit dem Thema auseinander. Denn über die Blockchain könnten sich Musiker und Konsument in größerem Stil bald selbst handelseinig werden, glauben manche Szene-Vertreter.
Die Zukunft werde zeigen, wo dieser dezentrale Ansatz tatsächlich greifen wird und Verbesserungen bringt. Da hier vieles noch im Unklaren liege, sei das auch eine Chance für Österreich. Im "momentanen Hype" sollte man daher danach trachten, sich im Rahmen einer Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft dort auf die Sache einzulassen, wo Österreich bereits gut positioniert ist.
Chancen sieht Taudes etwa für einen Marktplatz für Fertigungsaufträge auf Krypto-Basis, auch die "hochqualitative" heimische Landwirtschaft könnte von mehr Transparenz profitierten und es gebe spannende Konzepte für eine neue Art des E-Government auf Blockchain-Basis. "Meine Idee ist immer: Man ist digital dort stark , wo man auch analog gut ist", so der Wirtschaftswissenschafter. Momentan stehe die Blockchain-Idee in ihrer Entwicklung ungefähr dort, wo das Internet in den 1990er-Jahren stand. "Da muss man, untypisch österreichisch zur Kenntnis nehmen, dass vielleicht neun von zehn Sachen nichts werden - es ist aber trotzdem 'a Hetz'. Wir kennen im Moment die 'Killer-Anwendung' zwar noch nicht, müssen aber mitmachen - auch wenn manchmal ein Blödsinn dabei herauskommt", so Taudes' Fazit.