Blockchain: "Die Gesellschaft muss mitziehen"
Warum an der Blockchain derzeit noch eher „herumprobiert“ wird, Konsensverfahren nicht nur entscheiden, was es am Sonntag zum Mittagessen gibt, und Quantencomputer die Bitcoin vernichten könnten, hat Ernst Piller, Leiter des Instituts für IT-Sicherheitsforschung an der Fachhochschule (FH) St. Pölten, im Gespräch mit APA-Science beantwortet.
„Wir stehen noch ganz am Beginn. Denn wie viele disruptive Technologien anfangs, ist auch die Blockchain derzeit ein Hype. Aktuell kann man jedem nur empfehlen, einfach herumzuprobieren. Das heißt noch lange nicht, dass sich das alles durchsetzt. Aber man sieht, was es für Regeln, Gesetze und Standards braucht. Hier ist in weiterer Folge der Staat gefragt“, fordert Piller rasches Handeln. Schließlich könne man nicht etwas einsetzen, das so fundamentale Auswirkungen habe, ohne die notwendigen rechtlichen Änderungen anzugehen.
Die Begeisterung der Bitcoin-Jünger kann Piller unterdessen nicht nachvollziehen: „Das ist nur spannend, weil der Kurs so enorm gestiegen ist. Wenn er auf einem gewissen Stand geblieben wäre, würde das kaum wen interessieren. Und eigentlich ist die Kryptowährung noch nicht bei den Leuten angekommen, wenn man sich den Zahlungsverkehr anschaut. Auch vom Risiko her ist das ein Wahnsinn und hätte unter einer ordentlichen Verwaltung nicht stattfinden können.“
Kritik übt der Experte auch am bei Bitcoin eingesetzten Konsensverfahren – dem Proof of Work, das auf teuren und aufwendigen Rechenleistungen, dem „Mining“, basiert. „Das ist sowieso ein Unsinn. Das kann man zum Geldschürfen verwenden, aber für Blockchain-Anwendungen, egal ob offene oder geschlossene Systeme, muss man andere Verfahren finden. Die sind ja, zumindest in der Theorie, verfügbar.“ Proof of Work sei nicht ernst zu nehmen. „Aber man sieht, dass sich sogar der unglaublichste Konsens-Ansatz durchsetzen kann.“
„Echte Geschäftsanwendungen sind auf Basis des Bitcoin-Protokolls nicht möglich“, zeigte sich auch Stephan Arnold, Senior Consulter bei Capgemini Deutschland, bei einer Veranstaltung des Internationalen Forums für Wirtschaftskommunikation (IFWK) in Wien überzeugt. „Es geht um verteilte Prozesse, die über viele Stationen laufen. Die Blockchain könnte das Betriebssystem in dieser dezentralen Welt sein. Das Bitcoin-Protokoll eignet sich dafür aber nicht.“ Für viele Anwendungen innerhalb von Unternehmen sei aber ohnehin keine Blockchain notwendig, da reiche „klassische“ Technologie.
Zahlreiche Konsensverfahren denkbar
Auch in der Gesellschaft gebe es Prinzipien, eine Art Konsens, „zum Beispiel beim Autofahren oder was es am Sonntag zum Mittagessen gibt“, so Piller. Wenn eine Person entscheide, was mittags auf den Tisch komme, hätte man eine zentrale Lösung, „dann brauche ich keine Blockchain“. Man könne aber auch andere Konsensverfahren anwenden, etwa wenn die Mehrheit der Leute entscheidet oder jemand bestimmter mit der Entscheidung einverstanden sein muss.
Bei einer zentralen Datenbank gebe der Betreiber vor, was man darf und was man nicht darf. „Das heißt, es gibt immer einen Stärkeren. Wenn bei einer Blockchain alle entscheiden dürfen, muss ich ein Regelwerk finden, wie die Zugriffsrechte in dieser Datenbank, die jetzt bei allen liegen, geregelt sind – also ein Konsensverfahren. Das kann man nach Mehrheit machen oder, dass die Betroffenen mitgestimmt haben müssen.“ Mit solchen alternativen „Proof of“-Mechanismen sei die Blockerzeugung unabhängig von der Rechenleistung möglich.
Für besonders geeignet hält Piller auf Regeln, Gesetzen beziehungsweise Vereinbarungen basierende Konsensverfahren – sozusagen ein Proof of contract. Generell leichter umzusetzen seien geschlossene Systeme, wie sie beispielsweise bevorzugt in Unternehmen eingesetzt würden. „Da sind Standards und Gesetze nicht so wichtig wie bei offenen Systemen.“ Außerdem könne man sie schneller auf Schiene bringen und auch die IT-Sicherheit sei ein kleineres Problem als in offenen Systemen.
Quantencomputer killen Kryptographie
Apropos IT-Sicherheit: „Uns muss auch klar sein, dass irgendwann Quantencomputer kommen. Und die werden die jetzige Kryptographie von heute auf morgen töten. Wie es dann mit den Bitcoins ausschaut, da wäre ich schon neugierig. Die Quantencomputer fressen die Verschlüsselung zum Frühstück“, so der Experte.
Insgesamt sei die Blockchain sehr zeitgeistig. „Es geht in Richtung teilen und verteilen, weg vom Zentralen. Das ist ja auch eine gute Sache. Es muss aber auch die Gesellschaft mitziehen“, betonte Piller.