Film in der Schule: Viel Luft nach oben
Filme bringen schon seit Generationen mehr Bewegung in den Unterricht, und die Nachfrage nach pädagogisch wertvollen Inhalten steigt. Zuständig für den klassischen Bildungs- und Lehrfilm sind die Medieninstitute der Bundesländer. Sie liefern zeitgemäßes Filmmaterial, produzieren auch selber und sind erste Anlaufstelle für Medienfragen. Hochschuldidaktiker wünschen sich dagegen innovativere digitale Angebote und mehr Medienpädagogik im Lehrplan.
In Oberösterreich versorgt etwa die Education Group (EduGroup) die Pädagogen der über 1.000 Schulen mit multimedialen Inhalten. Daneben beteiligt sich das Institut, das unter anderem Betreiber der Plattform www.schule.at ist, an einer Vielzahl von Initiativen, etwa zu digitalem Content im Unterricht oder der Schulentwicklung. "Wir haben die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte miterlebt: Vom 16 mm-Film über Video bis zur DVD, die erstmals didaktische Vorteile mit sich gebracht hat, und hin zum Streaming", erklärte Geschäftsführer Peter Eiselmair gegenüber APA-Science. Erst ab der DVD war es möglich, gezielt ein Kapitel eines Films anzusteuern. "Wir arbeiten derzeit an einer Art 'Netflix für Schulen'", erklärt er. Per App sollen den oberösterreichischen Lehrern ab Februar, so der Plan, dann 3.000 Filme auf Abruf zur Verfügung stehen.
Deutschland gibt die Linie vor
Die österreichische Schullandschaft ist in Sachen Film schwer vom deutschen Markt abhängig. "Weit jenseits der 90 Prozent" an Filmen werden vom Deutschen Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (FWU), dem Medieninstitut der 16 Länder, zugekauft: "Was nicht abgedeckt wird, produzieren wir in Kooperation mit anderen heimischen Medieninstituten." Dazu zähle etwa einen Film als Vorbereitung für die Schüler auf die Wien-Woche, das werde stark nachgefragt. "Wir porträtieren die Bundeshauptstadt für die jeweilige Zielgruppe", erklärt Eiselmair. Auch das Salzburger Institut für Medienbildung (IMB) produziert, "wie viele ähnliche Einrichtungen in Österreich, vor allem für die Bildungsmedienstellen des Landes. Hier sind es hauptsächlich (volks-)kulturelle, kulturgeschichtliche und historische Themen, die in Auftrag gegeben werden", erzählt Projektleiter Markus Weisheitinger-Herrmann.
Insgesamt werde das Medium Film im Unterricht stark eingesetzt, sind beide Experten überzeugt, auch wenn sich das "wie" vollkommen geändert habe. "Früher dauerte ein Film zwanzig Minuten, dann wurde anhand von Impulsfragen vielleicht eine Diskussion darüber gestartet. Heute kann ich über den Kapitelzugriff gezielte Sequenzen vorspielen und im Standbild stehen lassen - das ist etwa bei chemischen Versuchen ein Vorteil", so Eiselmair. Möglich sei mittlerweile auch, aus einem Film eine bestimmte Sequenz zu speichern und nur diese dann vorzuführen.
Das IMB setze grundsätzlich auf das Medium Film als "emotionaler Öffner" für bestimmte Themen. Zu versuchen, mit einem Film "Wissensvermittlung im Sinne von Daten und Fakten" zu betreiben, findet Projektleiter Weisheitinger-Herrmann "eher ungeschickt", da Film zeitbasiert und linear ablaufe, also kein individuelles Lernen zulasse. Das große Plus von Lehrfilmen sieht der Projektleiter darin, wie kein anderes Medium zu emotionalisieren und Werte vermitteln zu können.
"Hier setzen wir an: Der Film soll Interesse wecken, den 'Wert des Lernstoffs' schaffen, Katalysator zum Lernen sein", erklärt der Autor die Konzeption und Produktion von Lehr- und Lernmedien. So sei eine Aussage wie "Millionen Tote im Holocaust" sehr abstrakt. Verbinde sich anhand von Einzelschicksalen mit großer Identifikationsfläche damit aber ein emotionaler Wert, würde die Aussage für den einzelnen Schüler "wertvoller, einordenbar und greifbarer", erklärt er.
Biologie, Chemie, Physik und Soziales
Das breiteste Angebot an Lehrfilmen findet sich in den Naturwissenschaften. Aber nachgefragt würden natürlich genauso soziale und gesellschaftspolitische Themen oder Filme, die den Umgang mit Medien thematisieren. Bei letzterem Punkt gebe es viele Unsicherheiten auch auf Pädagogenseite, so Eiselmair. "Uns erreichen viele Anfragen zur Verwendung von YouTube-Videos im Unterricht. Selbst wenn sie urheberrechtlich unbedenklich sind, raten wir eher davon ab", meint er. "YouTube ist im Grunde wie Wikipedia - man kann sich auf die Richtigkeit des Inhalts nicht verlassen, während unsere Medien didaktisch und inhaltlich gesichtet, bewertet und um Zusatzmaterialien ergänzt werden." Denn eine Vielzahl an Arbeitsblättern und interaktiven Materialien wie Musik-Dateien würden das Angebot, das auch von den Pädagogischen Hochschulen genutzt werde, abrunden.
Verlage haben den Trend "verschlafen"
In der fachlichen Lehre werde Film fast ausschließlich zur Illustration von Anwendungen oder technischen Umsetzungen eingesetzt, meint wiederum Lutz-Helmut Schön, Leiter des Zentrums für LehrerInnenbildung an der Universität Wien. "In der Physik oder Mathematik stellt man komplexe Modelle gern bildlich und filmisch dar, wie beispielsweise die Entwicklung nach dem Urknall oder die Mandelbrotmenge, weil die mathematischen Modelle kaum vorstellbar sind", führt der Naturwissenschafter aus.
Film habe seine Berechtigung als Lehrmittel im Unterricht, das attestiert auch Klaus Himpsl-Gutermann, Koordinator am Institut für übergreifende Bildungsschwerpunkte (IBS) und Leiter des Zentrums für Lerntechnologie und Innovation (ZLI) an der Pädagogischen Hochschule (PH) Wien. Aber hier hält er das Angebot der Verlage, Filme und Arbeitsmaterial zur Verfügung zu stellen, für zu wenig. "Sie haben den Trend verschlafen", meint er. Stattdessen seien es einige herausragende - zum Teil private - Initiativen, die Wegweisendes für die Zukunft geschaffen hätten, etwa die kostenlose Lernplattform "Khan Academy". Gestartet wurde sie von Salman Khan, der damit begann, Mathe-Aufgaben für seine weit entfernt lebende Nichte vorzurechnen, dazu erklärte, was er tat und sich dabei filmte. Mittlerweile lernen sechs Millionen Schüler pro Monat mit seinen Lernvideos, das Portal gibt es auch auf deutsch.
Der App-Store als Vorbild
Verlage sollten sich Google und Apple zum Beispiel nehmen. "Mit ihren App-Stores haben sie vorgemacht, wie so eine Plattform für Lehrvideos oder allgemein für Lernmaterialien aussehen könnte", meint Himpsl-Gutermann. "Sie sind einfach zugänglich - es gibt nur einen Store - , es existieren kostenlose und -pflichtige Angebote nebeneinander, User bewerten die Apps mit bis zu fünf Sternen und können Kurzrezensionen schreiben. Höher bewertete Produkte werden in den Ergebnislisten besser sichtbar, gefunden werden können aber alle Angebote."
Das Angebot an offenen Lernressourcen ("open educational resources"), also kostenlosen Produkten im Internet, müsse und werde weiter steigen, so der Didaktiker. An den Universitäten macht er als Trend neben den kostenlosen MOOCs (Massive Open Online Courses) www.imoox.at auch professionelle Aufzeichnungen von Vorlesungen mit mehreren Fenstern - im Hauptfenster die Vortragsfolien, im Nebenfenster die vortragende Person - aus. "Die Aufzeichnung bleibt auch nach der Veranstaltung über die Lernplattform abrufbar, das wird beispielsweise an der Uni Wien schon recht intensiv genutzt", erklärt er.
"Alle Beteiligten wünschen sich eine umfangreiche Bereitstellung digitaler Materialien", erklärt auch Christian Swertz, Leiter der Wiener Medienpädagogik am Institut für Bildungswissenschaft der Uni Wien. Für bereits existierendes Material sei aber meist keine Lizenz für die digitale Verbreitung erworben worden, und "das Budget für Nachverhandlungen ist eng begrenzt." Plattformen und Netzwerke für den Austausch selbst erstellter Inhalte für Lehrer gebe es - etwa mit dem EduGroup-Portal ww.schule.at.
Film zur Vorbereitung und für die Lehrpraxis
Einen echten Mehrwert von Film sieht Himpsl-Gutermann in Unterrichtstechniken wie dem "flipped classroom" - also dem umgedrehten Klassenzimmer. "Grundsätzlich wird heute in der Schule zu viel Zeit damit verbracht, etwas zu präsentieren - die Vertiefung und die echte Auseinandersetzung mit dem Thema wird dann als Hausübung aufgegeben. Aber das wäre die wertvolle Lernzeit, in der der Schüler eigentlich einen Lehrer zur Unterstützung bräuchte. Deshalb dreht der 'flipped classroom' das Ganze um: Die Hausübung besteht darin, sich mithilfe eines Videos oder Films vorzubereiten, eventuell mit einer Liste von Fragen dazu. Im Unterricht findet dann die Vertiefung statt", erklärt der Experte. Stefan Schmid, Pädagoge an einer HAK in Wien und Mitarbeiter der PH Wien, verwendet dieses Modell auch im Unterricht. Ein Video, das er seinen Schülern zur Vorbereitung mitgibt, lässt sich mit Anmerkungen versehen (über "Sprechblasen"), er kann auch überprüfen, wer sich den Clip wie oft angesehen hat. "So kommt das Internet tatsächlich in die Klasse", erklärt er seine Arbeitsweise in einem YouTube-Video.
Einen fixen Platz haben Filme in der Pädagogenausbildung. Sie werden zur Analyse und Diskussion von Lehrerverhalten und Unterrichtssituationen eingesetzt. Im Video können Stellen markiert werden, die spannend waren, oder Notizen angebracht werden.
Stiefkind Medienbildung
Die größere Aufgabe kommt Film laut Himpsl-Gutermann als Instrument zur Medienbildung zu. "Wir müssen den Schülern die Grundlagen für einen kritischen und reflektierten Umgang vermitteln", so seine Überzeugung. Sogar mit den Schülern selbst Videos zu produzieren - früher ein Ding der Unmöglichkeit - sei heute dank rasanter Breitbandgeschwindigkeiten und einfachster Software möglich. Täglich würden tausende Filme auf YouTube hochgeladen - die Kompetenz, dahinterliegende Botschaften zu dechiffrieren, Genres zuordnen zu können und etwa "Scripted Reality" zu durchschauen (als "wahrheitsgetreu" verkaufte Dokus, die tatsächlich aber nach einem genauen Drehbuch ablaufen) werde auch im Alltag immer wichtiger. Das würden zwar auch alle Experten unterstreichen, tatsächlich räume man der Medienbildung im Lehrplan aber laufend weniger Platz ein - "ein erstaunlicher Widerspruch", so der Fachmann.
Das deckt sich auch mit der Wahrnehmung des Mediendidaktikers Swertz. Während er anmerkt, dass die Produktion von Medien nicht zu den Dienstaufgaben von Lehrern gehöre und auch kaum zusätzlich erwartet werden könne, hält er die Produktion von Inhalten im Unterricht mit den Schülern für aussichtsreicher. "Dafür werden die Pädagoginnen und Pädagogen aber nicht ausgebildet - zudem kommen Mediendidaktik und Medienkompetenzvermittlung in den derzeitigen Curricula für die Sekundarstufe kaum vor", stellt er fest.
Von Sylvia Maier-Kubala / APA-Science