Die unendlichen Weiten der Science Fiction =
Wenn sich Matt Damon als existenziell herausgeforderter, aber stets optimistischer "Marsianer" "mit Wissenschaft aus der Scheiße ziehen" muss, bringt er damit die Quintessenz von Science Fiction auf den Punkt: Eine stark technik- und wissenschaftsgetriebene Handlung, die in der Zukunft spielt. Wie viel "Science" der "Fiction" noch zuträglich ist, bleibt freilich Geschmackssache. Fest steht, auch der visionärste Genrestreifen ist gesellschaftspolitisch, (trick-)technisch und wissenschaftlich immer ein Abbild seiner Entstehungszeit.
Seine Ursprünge hat der Science-Fiction-Film bereits in der Stummfilmzeit, beginnend mit "Die Reise zum Mond" (1902, von G. Méliès) bis zum monumentalen "Metropolis" (1927) des österreichisch-amerikanischen Filmregisseurs und Drehbuchautors Fritz Lang. Schon damals war klar, dass sich das Genre trotz explizit zukunftsgerichteter Themen niemals seiner zeitgenössischen Prägung entziehen kann. So ist das städtische Erscheinungsbild von "Metropolis" vom "Art Deco"-Stil geprägt, die porträtierte Zwei-Klassen-Gesellschaft lehnt sich an das marxistische Bild des Kapitalismus an und die Romanvorlage wurde von H.G. Wells' Roman "The Time Machine" inspiriert.
"Generell ist der Science-Fiction-Film stets der Spiegel der Zeit, in der er entsteht und er extrapoliert aktuelle Entwicklungen, Strömungen und Tendenzen. Bei kaum einer Filmgattung kann man, ohne das Herstellungsdatum des Filmes zu kennen, so genau sein Entstehungsjahr feststellen", sieht der Weltraumexperte Eugen Reichl im Interview mit APA-Science den Science-Fiction-Film "immer exakt am Puls der Zeit."
Kalter Krieg und Hippies
Den wahren Durchbruch erlebte die in zahlreiche Sub-Genres unterteilte Filmgattung in den 1950er-Jahren, als filmische Invasionen zur Metapher für Kalten Krieg und die Angst vor der nuklearen Vernichtung wurden ("Der Tag, an dem die Erde stillstand", 1951). In Stanley Kubricks "2001 - Odyssee im Weltraum" aus dem Jahr 1968 lässt sich wiederum gut die Aufbruchstimmung in den Tagen des Apollo-Programms, aber auch die Kritik der Moderne mit der heraufziehenden Hippie-Ära - "vor allem in den vielen psychedelischen Elementen" - herauslesen.
"Diese Stimmung, mit den ersten Ansätzen der Umweltbewegung, greifen auch 'Silent Running' (1972; Anm.) oder '2010: Das Jahr in dem wir Kontakt aufnehmen' (1984), auf", so Reichl, der sich bereits seit Jahrzehnten mit dem Thema beschäftigt. Der deutsche Science-Fiction-Fan betreibt die Internet-Plattform "Der Orion", ist bei einem großen europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern beschäftigt, hat mehr als dreißig Bücher über Raumfahrt geschrieben und arbeitet momentan an einem Buch über die russische Mondrakete N1.
Gebeugte Realität
Das Verhältnis von Science vs. Fiction hat sich für Reichl im Lauf der Zeit, abgesehen von den immer besseren technischen Darstellungsmöglichkeiten, praktisch kaum geändert. Stets seien Trends aufgegriffen worden, die jeweils stark simplifiziert und spekulativ abgehandelt werden: "Generell gilt im Science-Fiction-Genre immer: Die Realität darf der Story nicht im Wege stehen. Entsprechend wird die Realität mehr oder weniger stark gebeugt." Nachdem das durchschnittliche Kinopublikum praktisch keinerlei technisch-naturwissenschaftliche Tiefenbildung habe, spiele auch die wissenschaftlich-technische Genauigkeit keine sonderliche Rolle.
Ähnlich, wenn auch etwas differenzierter sieht das Gernot Grömer, Vorstand des Österreichischen Weltraumforums (ÖWF), im Gespräch mit APA-Science. "Ich glaube, dass die Menschen heute viel informierter sind als früher, dass Wissen allgemein zugänglicher ist", verweist der Astronom etwa auf den zunehmenden Trend von "Second Screen"-Aktivitäten - zumindest beim Fernsehen: "Das heißt, der Drehbuchautor weiß: Was immer gezeigt wird, es muss googlebar sein."
Raumschiffe zum Anziehen
Am Beispiel von "Der Marsianer" (2015) zeige sich, wie tief sich Autoren und Filmemacher mittlerweile mit den wissenschaftlichen Hintergründen der Raumfahrt befassen: "Im Vergleich zu vielen anderen Mars-Filmen wie 'Red Planet' (2000) oder 'Mission to Mars' (2000) ist dieser Film außergewöhnlich gut recherchiert, das sieht man selten." Andererseits dürfe man auch gar nicht allzu detaillierte wissenschaftliche Akkuratesse verlangen. "Man sollte nicht in ein Kino gehen, um Physik zu lernen", bedenkt Grömer etwaige Ungereimtheiten mit einem Augenzwinkern. Selbst das viel zu flotte und einfach erscheinende Anziehen eines Raumanzugs - wie bei "Gravity" (2013) - löst bei dem Experten eher Erheiterung als Befremden aus: "Ein Raumanzug ist kein Bekleidungsstück, sondern ein Raumschiff zum Anziehen", so Grömer.
Und doch: Die immer stärkere Verzahnung mit der Wissenschaft bei jüngeren Science-Fiction-Produktionen ist bereits so weit fortgeschritten, dass sie mitunter eigene Forschungsprojekte hervorbringen, ja fast schon benötigen. Für "Interstellar" (2014) etwa wurde der bekannte US-Physiker Kip Thorne zurate gezogen. Ein auf Grundlage von Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie entwickeltes Computerprogramm ermöglichte laut Thorne die bisher realistischste Darstellung eines rotierenden Schwarzen Lochs. Und im Falle von "The Martian" hat Autor Andy Weir neben exzessiven Raumfahrt- und Botanik-Recherchen eine eigene Software geschrieben, um die im Plot vorkommenden Flugrouten zum Mars korrekt zu berechnen.
Wechselseitige Befruchtung
Umgekehrt haben sich einige Genreklassiker bzw. ihre literarischen Vorlagen auch als Inspiration für Erfinder und Innovatoren erwiesen oder gewisse Entwicklungen erstaunlich genau prognostiziert. Der berühmte aufklappbare Kommunikator bei Star Trek hat das Klapp-Handy vorweggenommen und eine Tablet-PC-ähnliche Benutzeroberfläche war bereits bei Kubricks Space Odyssee im Einsatz.
Nicht zu unterschätzen ist auch die Breitenwirksamkeit von solchen Hollywood-Blockbustern und der gesellschaftliche Impakt, den sie erzeugen können, zeigt sich Grömer überzeugt. "Ich glaube, dass ganz große Infrastrukturprojekte inklusive ein Flug zum Mond oder zum Mars eines Tages auch ein gewisses Mindestmaß an gesellschaftlichem Konsens benötigen. Und diesen Konsens zu erzeugen, ist eine Funktion dieser Filme."
Ein historisches Beispiel dafür war eine (Propaganda-)Partnerschaft in den 1950er-Jahren von Wernher von Braun, dem Vater des Apollo-Raumprogramms, mit Walt Disney. Diese Miniserie über die Raumfahrt und den Flug zum Mond ist nach Ansicht von Soziologen ein Wegbereiter dafür gewesen, dass US-Präsident John F. Kennedy überhaupt erst proklamieren konnte: "We choose to go to the moon".
Gesellschaftliche Psychotherapie
Einen signifikanten Einfluss dieser Filmgattung weit über die Genregrenzen hinaus konstatiert auch Eugen Reichl, denn Untergangs- und Endzeitszenarien sind beliebt und behandeln Befürchtungen und Ängste, die unterschwellig in der Gesellschaft herrschen. Das geht vom "Mad Scientist", der die Welt ins Verderben zu stürzen droht ("Dr. Seltsam oder wie ich lernte die Bombe zu lieben", 1964 oder "Das schwarze Loch"; 1979), über Umweltdesaster und Überbevölkerung ("Soylent Green", 1973) und Gentechnik ("Die Fliege", 1986 oder "Splice", 2009) bis zum Überwachungsstaat ("Minority Report", 2010).
"Der Science-Fiction-Film nimmt Zeitströmungen auf und be- und verarbeitet sie. In dieser Form nimmt er eine Art gesellschaftlicher Psychotherapie vor und hält uns einen Spiegel vor. Der SF-Film ist auch ein Experimentierfeld. Ich arbeite in der Raumfahrt und weiß, dass viele Entwickler hier durch solche Filme beeinflusst wurden und die Filmträume ihrer Jugend nie aus dem Kopf verloren haben", so der Experte, der selbst eine besondere Vorliebe für Trash- und Low/No-Budget-Filme hat - von "Dark Star" (1974) bis zum hinter "Angriff der Killertomaten" "zweitschlechtesten Film der Welt": Der wissenschaftliche Wahrheitsgehalt von "Plan 9 from outer space" dürfte aber wohl am gleichen seidenen Faden hängen wie die Plastikuntertassen, die darin herumfliegen.
Von Mario Wasserfaller / APA-Science