Land der Feld-Forschung
Klimawandel, erodierende Böden, ein gestiegenes ökologisches Bewusstsein der Konsumenten und die Frage der Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln - das sind nur einige der vielen Herausforderungen, denen sich die moderne Landwirtschaft heute und in Zukunft stellen muss. Lösungsansätze sind vor allem von den Agrarwissenschaften gefordert - wo deren Stärke- und Problemfelder liegen und wer agrarwissenschaftliche Themen in Österreich "beackert", hat sich APA-Science näher angesehen.
"Die Menschheit steht vor der enormen Herausforderung, die Versorgung mit Nahrungsmitteln mittel- und längerfristig nachhaltig sichern zu müssen. Derzeit sind ca. 870 Mio. Menschen weltweit unterernährt, bis 2050 rechnen wir mit insgesamt 9,5 Mrd., bis 2100 mit elf bis zwölf Mrd. Menschen", erklärte der Rektor der Universität für Bodenkultur (Boku), Martin Gerzabek, auf Anfrage von APA-Science eine Hauptproblematik.
Dazu komme die Notwendigkeit, "die erdölbasierte Chemie durch eine Biomasse-basierte Chemie zu ersetzen und die Biomasse als einen wichtigen Bereich der erneuerbaren Energien zu nutzen" (siehe dazu auch Gastkommentar von Thomas Rosenau; Anm.). Einen weiteren globalen Trend sieht Gerzabek in einer Veränderung der Ernährungsgewohnheiten, zum Beispiel aufgrund der zunehmenden Urbanisierung: "Städter verzehren mehr Fleisch und Milchprodukte, wobei dafür mehr an landwirtschaftlicher Produktionsfläche notwendig ist."
Neben dem quantitativen Bodenschutz sei auch der qualitative zu beachten. Alleine in der EU seien ca. 30.000 Chemikalien im Verkehr, die potenziell in den Boden gelangen können. "Weitere Herausforderungen sind unter anderem der Erhalt der Biodiversität - um die Resilienz der Ökosysteme zu bewahren-, das Management der Nutzungskonflikte und vor allem die Auswirkungen des Klimawandels auf die Primärproduktion", so Gerzabek.
Ein heterogenes Forschungsfeld
Vor diesem Hintergrund fällt neben der politischen Ebene der Agrarforschung selbst die zentrale Rolle zu. Die stark heterogenen, interdisziplinären Agrarwissenschaften verteilen sich in Österreich auf viele verschiedene Institutionen und thematische Bereiche - von Ackerbau, Pflanzenzucht, Pflanzenschutz über Forst- und Holzwirtschaft bis zur Viehzucht und der Veterinärmedizin.
Im engeren Sinne zuständig für die angewandte Forschung ist laut Bundesministeriengesetz das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW). Den Rahmen für die Forschungsaktivitäten gibt das "Programm für Forschung und Entwicklung im Lebensministerium (PFEIL)" vor, dessen Geltungsbereich sich über die Auftragsforschung und ressorteigene sowie ausgegliederte Dienststellen des Ministeriums erstreckt.
Zu den letzteren zählen etwa die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), das Bundesamt und Forschungszentrum für Wald (BFW), das Umweltbundesamt und die Bundesversuchswirtschaften. Ressorteigene Forschung wird unter anderem in den Bundesämtern für Wasserwirtschaft bzw. Weinbau oder in der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Landwirtschaft, Landtechnik und Lebensmitteltechnologie Francisco Josephinum in Wieselburg betrieben (siehe auch dieser Überblick).
Ein Blick in die ministeriumseigene Datenbank für Forschung und Nachhaltige Entwicklung (DaFNE) lässt anhand einiger aktueller und kürzlich abgeschlossener Projekte die Bandbreite der Themen erahnen, die in den Bereich Agrarforschung fallen: "Beurteilung der Rutschfestigkeit unterschiedlicher Gummimattenbeläge", "Wissenschaftliche Begleitung und Unterstützung der Maßnahmen zur HCB-Sanierung im Görtschitztal/Kärnten" (beide LFZ Raumberg-Gumpenstein) oder "Auswirkung von Klimawandel und Düngung auf Produktivität und Kohlenstoffdynamik in Grünland" (Universität Innsbruck).
Magere Forschungsfinanzierung
In der Größenordnung deutlich überschaubarer als die Themenpalette ist die Finanzierung für die Agrarforschung. "Der Gesamtbereich der land-, forst- und wasserwirtschaftlichen Auftragsforschung im Ressort hat sehr wenig Geld zur Verfügung, das sind 2,5 Mio. Euro jährlich", erklärte die Leiterin der Abteilung Forschung und Entwicklung im BMLFUW, Elfriede Fuhrmann, im Gespräch mit APA-Science. Die Gesamtsumme der forschungswirksamen Ausgaben seitens des Ministeriums beläuft sich demnach für das Jahr 2013 auf rund 54 Mio. Euro. Dabei sind sämtliche F&E-Ausgaben der ressorteigenen Forschungseinrichtungen, Bundesanstalten und Bundesämter und ausgelagerten Institutionen (AGES, BFW) sowie des Bereichs Umwelt - hier fallen etwa anteilige F&E-Aufwendungen für den Klima- und Energiefonds sowie für das Umweltbundesamt hinein - eingerechnet.
Die geringen Forschungsmittel wirken sich direkt auf die strategische Ausrichtung der heimischen agrarwissenschaftlichen Forschung aus: Sie orientiert sich notgedrungen über die nationalen Grenzen hinaus. "Wir sind in EU-Rahmenprogrammen aktiv und beteiligen uns an transnationalen Kooperationen", so Fuhrmann. Vor allem an den ERA-NETs, den mehrjährigen Forschungsprojekten des Europäischen Forschungsraums, herrscht rege Beteiligung. Dazu zählen unter vielen anderen etwa das ERA-NET zum biologischen Anbau, CORE Organic, oder Euphresco (phytosanitäre Kontrolle).
Dennoch: "Wenn wir nicht in der Lage sind, mehr Auftragsforschung zu finanzieren, dann ist auch unsere internationale Kooperationsmöglichkeit eingeschränkt", warnt Fuhrmann. Andererseits sei man seitens des Ressorts fast gezwungen, die Wissenschafter und Forschungseinrichtungen "ein bisschen in transnationale Kooperationen zu pushen, weil die Größe unserer Einrichtungen und die Möglichkeiten sehr eingeschränkt sind."
Von Klimawandel bis Schaderreger
Außer dem Klimawandel und Maßnahmen ihn abzufangen sei der Kampf gegen "immer neue Schaderreger" ein wichtiges Thema, so Fuhrmann: "Es gibt immer wieder ein Problem mit Schädlingen. Einige kann man zurückhalten über phytosanitäre Kontrolle oder über Kontrollen im tierischen Bereich, aber vieles dringt nach Österreich ein. Da gilt es immer schon einen Schritt voraus und gewappnet zu sein." Neben Fragen der Biodiversität und der nachhaltigen Produktion im pflanzlichen und tierischen Bereich müsse auch auf die Erhaltung der sogenannten Resilienz geachtet werden. Nicht zuletzt hätten auch sich geänderte gesellschaftliche Wunschvorstellungen von Tierhaltung und Tiergesundheit direkte Auswirkungen auf die Forschung. Für ein ERA-NET zu diesem Thema habe man soeben erst ein Proposal abgegeben, so die Expertin.
Agrarforschung "gut aufgestellt"
Insgesamt ist die Agrarforschung in Österreich auch nach Meinung von Boku-Rektor Gerzabek gut aufgestellt: "Wir haben ein exzellentes Ausbildungssystem - beginnend mit den Fachschulen, den Höheren Lehranstalten, der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik und der Universität für Bodenkultur Wien. Viele beneiden uns darum."
Die wichtigsten österreichischen Institutionen im Bereich Agrarforschung haben sich 2011 unter dem Titel "BIOS Science Austria" zusammengeschlossen. Die Partner erhoffen sich durch die Zusammenarbeit bessere Rahmenbedingungen für Forschung, Lehre, für die Nutzung von Forschungsinfrastruktur und bei der Einwerbung von Drittmitteln.
An "BIOS Science Austria" sind das Landwirtschaftsministerium und nachgeordnete Einrichtungen wie die AGES und das Umweltbundesamt, sowie die Boku und Veterinärmedizinische Universität beteiligt. Damit sind laut den Betreibern in der Plattform nun nahezu 100 Prozent der heimischen Agrarforschung vereinigt. Der Verein setzt laut Gerzabek Initiativen im Bereich der lebenswissenschaftlichen Forschung (Bienen, Görtschitztal, Management von Flüssen, forstliche Langzeitversuche, Wild/Wald,...), aber vor allem auch in der Entwicklung einer wissensbasierten Bioökonomie in Österreich (siehe "Zukunftshoffnung Bioökonomie").
"Spezifische Förderung" notwendig
Österreich habe etwa wesentliche Forschungsstärken im Bereich des Bodens, der Pflanzenzüchtung, der Tierproduktion, der erneuerbaren Energien und der Weiterverarbeitung der Produkte in der Wertschöpfungskette, sowie der Umweltauswirkungen. Allerdings müsse leider gesagt werden, "dass die spezifischen Förderungsmöglichkeiten für wissenschaftliche Projekte im Bereich der Agrarforschung deutlich abgenommen haben in den vergangenen Jahren - die Ressortforschungstöpfe sind zusammengeschrumpft, die Wissenschafter sind auf die EU-Rahmenprogramme und den FWF zunehmend noch mehr angewiesen. Ich glaube, dass Österreich gut beraten wäre, aufgrund der enormen Herausforderungen die Agrarforschung spezifisch zu fördern und um das gesamte Thema der Bioökonomie ein groß angelegtes Forschungsprogramm aufzustellen."
Die Boku selbst reagiert laut Gerzabek auf diese vielen Herausforderungen "mit einem modernen Bildungskonzept in den Agrarwissenschaften". Weiters helfe das Centre for Development Research mit, die Verantwortung gegenüber den am wenigsten entwickelten Ländern wahrzunehmen und in der Forschung vernetze das erst vor wenigen Jahren gegründete Centre for Agricultural Sciences (CAS) die Agrarwissenschaften.
Agrarwissenschaften wollen sichtbarer werden
Dessen neuer Leiter, Jochen Kantelhardt, will das CAS und die Agrarwissenschaften insgesamt in Zukunft sichtbarer machen: "Das Zentrum ist momentan noch im Gestaltungsprozess. Mit dem Universitätsgesetz gab es an der Boku eine starke Umstrukturierung und wir haben jetzt kein Department für Agrarwissenschaften. Alles ist quer verteilt und läuft matrixartig durch die Departments, wir wollen die Interessen wieder zusammenbringen." Zunächst wurde dazu eine Leitungsgruppe gegründet, in die die entsprechenden Departments jeweils zwei Personen entsenden können. "Wir treffen uns ungefähr im Zweimonatsabstand und versuchen gemeinsame Projekte voranzutreiben", so Kantelhardt.
Neben den spezifischen Beschäftigungen der Einzelwissenschafter - Kantelhardt nennt hier zum Beispiel Hermann Bürstmayr vom Department für Angewandte Pflanzenwissenschaften und Pflanzenbiotechnologie, der sich mit Fusarium-Resistenzreaktionen im Weizen und Züchtungen in diesem Bereich beschäftigt - versuche man nun, ein paar übergeordnete Themen zu etablieren. Eine hohe Bedeutung, auch für die Boku insgesamt, habe dabei die Bioökonomie, aber auch die Bereitstellung von Nahrungsmitteln stehe im Zentrum der Aufmerksamkeit.
"Prinzipiell sehen wir als Leitbild, dass man die Agrarwissenschaften als Systemwissenschaften versteht und das Zusammenwirken der einzelnen Disziplinen stark benötigt. Mich würde auch stark interessieren, ein Doktoratskolleg zusammenzubekommen, das ist in Österreich aber schwierig." Ein gemeinsames Thema könnte man hier in der Ernährungssicherung finden, meint der Experte, der sich selbst mit ökonomischen und politischen Fragen des Ressourcenschutzes beschäftigt.
In Österreich gebe es zwar eine beachtenswerte, gut vernetzte Forschungsszene im Bereich der Agrarwissenschaften, die mangelnde Finanzierung durch die öffentliche Hand wirke sich aber spürbar aus: "Ich als Einzelwissenschafter habe gemerkt, dass sich die Sparanstrengungen des (Landwirtschafts-; Anm.) Ministeriums auf meine Forschung ausgewirkt haben. Das hat im Endeffekt dazu geführt, dass ich mich aktuell eher auf europäischer Ebene orientiert habe. Auch insgesamt läuft der Weg immer stärker in diese europäischen Fragestellungen."
Konkurrenz um nationale Forschungsgelder
Zudem spüre man ganz deutlich, dass es um die nationalen Forschungsgelder eine sehr starke Konkurrenz gebe. Als Konsequenz werde die Zusammenarbeit zwischen österreichischen Akteuren schwieriger. "Wenn ich mich in ein europäisches Konsortium hinein bewerbe, dann macht es nicht viel Sinn, dass ich andere österreichische Kollegen dorthin mitnehme in das Konsortium, sondern dann muss ich europäisch aufgestellt sein", so der CAS-Leiter. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit in Österreich werde dadurch erschwert.
"Was ich in Österreich sehe, ist der vergleichsweise starke Praxisbezug in der Agrarforschung", sagt Kantelhardt, der vor sechs Jahren aus Deutschland nach Österreich gekommen ist. "Das ist etwas, was ich schon als Besonderheit wahrgenommen habe." Zwar sei die Anwendungsorientierung in den Agrarwissenschaften grundsätzlich etwas stärker als in anderen Forschungsbereichen gegeben. Gleichzeitig stünden Wissenschafter immer unter Druck, in internationalen Journals zu publizieren. Diese Publikationen sind im Regelfall nicht mehr sehr praxisbezogen. "Diesen Spagat, dass wir gezwungen sind international zu veröffentlichen und zugleich in die Praxis einbezogen zu sein, das funktioniert in Österreich ganz gut."
Von Mario Wasserfaller / APA-Science