"Making": Vom Garagenhobby zum politischen Hoffnungsträger
Tüfteln, eigene Ideen entwickeln und gleich selbst umsetzen: "Maker" lösen Probleme mit moderner Technik im Do-it-yourself-Verfahren. Silvia Lindtner, Assistenzprofessorin an der Universität Michigan in Detroit, erforscht diese Kultur mit einem ethnografischen Ansatz von innen heraus - im speziellen die aufstrebende Szene in Shenzhen, dem chinesischen "Hollywood" der Maker.
Beim "Making" gibt es kaum Grenzen für die Bastler-Fantasie. Zentrale Elemente sind 3D-Drucker, CNC-Fräsen, Laserschneider, Elektronik, Modellbau, Robotik oder Upcycling - das Neuerfinden und Aufwerten scheinbarer Abfallprodukte und "nutzloser" Stoffe. Grenzen zu herkömmlichen Produktionsprozessen verschwimmen dabei zusehends. "Das ist auch die Ambition Vieler, die in dem Bereich arbeiten, die sagen: Wir wollen, dass die industrielle Produktion für jeden zugänglich ist", sagte Lindtner anlässlich der Veranstaltung "Innovation by Making" bei den Alpbacher Technologiegesprächen im Gespräch mit APA-Science.
Die österreichische Forscherin war nach dem Studium Medientechnik und Design an der Fachhochschule (FH) Hagenberg mehrere Jahre bei Siemens in der Forschung - in München und in Princeton (USA) - tätig und hat sich viel mit Game Design und Research beschäftigt. Im Rahmen ihres Doktorats an der University of California kam sie bei einem Projekt mit der Frage in Berührung, warum Online-Spiele wie "World of Warcraft" in China derart populär sind: "Wir wollten studieren, wie die Leute in China das Internet verwenden - und Gaming im Speziellen." So spornte das von der chinesischen Regierung zensurierte World of Warcraft die Spieler an, eine eigene, auf einer Raubkopie aufbauende Version des Spiels zu kreieren - mit eigener Software und Servern und einer kleinen Mikroökonomie, die daraus entstand.
Im Epizentrum der chinesischen Maker
In China fand Lindtner eine Community vor, die sich gegen technische Widerstände und Zensur ihre eigene Welt erschafft und bereit ist, zu experimentieren und zu basteln - anstatt beim kleinsten Problem neuwertige Geräte wegzuwerfen: "Wir im Westen haben das verloren. Wir wissen gar nicht mehr wie ein Computer von innen funktioniert".
Die Informationswissenschafterin wollte es genauer wissen. Sie lernte chinesisch, schloss sich einer Gruppe von Bloggern und Künstlern in der Technologieszene an, war von 2008 bis 2010 beim Entstehen des ersten "Maker Space" dabei, in die Gründung eines Start-ups integriert und blieb schließlich insgesamt fünf Jahre in China. Das Ganze nennt sich ethnografische Forschung, inkludiert das Führen von Interviews ebenso wie das aktive Designen von Prototypen. Ihre Erfahrungen lässt Lindtner in ein Buch einfließen, das derzeit im Entstehen ist und in ungefähr einem Jahr fertig sein soll.
Besonders im Süden Chinas hat sich im Lauf der Jahre eine Szene entwickelt, die nicht mehr nur Prototypen, sondern auch Produkte bauen wollte. In der westlichen Welt ist die an Hongkong angrenzende 13-Millionen-Einwohner Metropole Shenzhen vor allem als Herkunftsort von elektronischen Konsumgütern bekannt. Dort ansässig sind viele der erfolgreichsten chinesischen Hightech-Unternehmen, aber auch Produktionsstätten ausländischer IT-Konzerne wie etwa der Apple-Zulieferer Foxconn. Die massive Präsenz der Elektronik- und Telekommunikationsindustrie hat auch viele Maker angezogen: "Alles zusammengenommen hat dazu geführt, dass Making nun mehr als nur ein Hobby ist. Es sind auch Start-ups und ein neues Unternehmertum dadurch entstanden."
Hoffnung auf Demokratisierung
Damit eröffnet das Making auch eine politische Dimension. Die Idee: Durch die Demokratisierung des kreativen Schaffens und der Produktion wird auch die Gesellschaft offener. "Man könnte viel mehr Schichten der Bevölkerung in kreative Tätigkeiten einbinden und so schafft man womöglich auch Arbeitslosigkeit ab. Das ist die Vision, die auch für Regierungen reizvoll ist. Die Frage ist natürlich, inwiefern sich das implementieren lässt", sagt Lindtner. Sehr viel davon sei auch nur "schöne Rhetorik" und eine "sehr idealistische Ambition". Nicht zuletzt sei es für sozial benachteiligte Menschen und Minderheiten schwierig, unternehmerische Risiken einzugehen und auch die Zeit dafür aufzubringen. "Man sieht kaum einen Arbeiter aus einer Fabrik in einem Maker Space und auch wenige Frauen. Es ist noch immer eine männliche, privilegierte Vision."
"Arduino" als Starthelfer für Maker
Einer der Ursprünge der Makerbewegung liegt in Italien, von wo das "Arduino" stammt, eine aus Soft- und Hardware bestehende Physical-Computing-Plattform. "Arduino hat es Leuten ohne Engineering-Hintergrund - Künstlern, Designern, Studenten - ermöglicht, mit Hardware zu experimentieren und zu spielen", erklärte Lindtner.
Die 2006 entwickelte Plattform hat sich in den sogenannten Maker oder Hacker Spaces, wo sich die Szene organisiert und austauscht, rasch etabliert. Binnen zwei Jahren gab es eine drastische Zunahme an Maker Spaces, von einer Handvoll auf mehr als 1.000 weltweit.
Schnell wurde die Hobbybewegung über Garagen und Unis hinaus bekannt und zog breiteres Interesse auf sich: "Um 2011/2012 haben nicht nur Unternehmen sondern auch Regierungen angefangen auf diese Entwicklungen aufmerksam zu werden." Konzerne wie Intel begannen Szene-Events wie die - seit April dieses Jahres auch in Österreich etablierte - "Maker Faire" zu sponsern, und auch Staaten treten mittlerweile als Sponsoren in Erscheinung. Diese würden hier neben dem Potenzial für Innovationen und wirtschaftlichem Wachstum auch Möglichkeiten im schulischen Bereich erkennen. "Die Regierung Obama sponsert Making seit 2012 und die chinesische Regierung schon seit 2011. Seit 2015 gibt es in China eine National Policy die das Making als eine Art Entrepreneurship fördert."
Von "Open" auf "Closed" Source
Zentral für die Maker ist das Prinzip des Teilens von Ideen, der gegenseitigen Unterstützung und des Open Source. Umso größer war die Aufregung, als die 3D-Druckerfirma Makerbot, einer der Pioniere der Szene im Hardware Bereich, von "Open" auf "Closed" Source umstellte: "In einem Hacker Space in New York haben sich da drei junge Leute zusammengetan und den ersten erfolgreichen Open Source Drucker herausgebracht - und die Anleitung zum Bau online gestellt. Das hat eine riesige Gemeinschaft im Internet begründet." So wurde die 3D-Drucker-Technologie weit verbreitet und weiter entwickelt - bis die Jungunternehmer die Anleitung vom Netz nahmen und ihr Unternehmen für Hunderte Millionen Dollar verkauften. "Das hat zu einem Riesendilemma und Debakel in der Maker Community geführt", so Lindtner.
Die Frage des geistigen Eigentums steht der ursprünglichen Idee nämlich auch entgegen. Die Idee sei, "wir sind kleinere Einheiten, ob einzelner Maker, ob Maker Space oder Start-up, und als solche können wir ja gar nicht im Wettbewerb mit größeren Firmen stehen wie Siemens oder Intel." Profitieren könne man nur dadurch, offen zu arbeiten und zu teilen - "IP (Intellectual Property; Anm.) ist für uns eher ein Feind und nicht gut für Innovation." Wie westliche Gesellschaften überhaupt Innovationskultur definieren hänge sehr von Patenten ab und von einer IP-Kultur, "und das ist jetzt die große Debatte".
Innovation als Nationsaufbau
Weltweit gesehen seien sich die Innovationskulturen gar nicht mehr so unähnlich, auch was die Rhetorik rund um die globalen Themen Making, Innovation und Entrepreneurship betreffe. "Unterschiedlichste Menschen und Regionen identifizieren sich damit. Was ich die letzten Jahre über in meiner Forschung ganz spannend gefunden habe, ist, dass in China, Amerika und Europa - so unterschiedlich die Regionen auch sind - Innovation sehr oft als eine Art Nationsaufbau verstanden wird."
Dies auch mit unterschiedlichen Ausprägungen. Während in den USA oft von der Rückkehr des "Made in America" geredet wird und im Reich der Mitte der Übergang vom "Made in China" zum "Created in China" zur Diskussion steht, sei in Europa die Veränderung der industriellen Produktion und das Upgraden von älteren Strukturen in der Manufaktur ein Thema.
Von Mario Wasserfaller / APA-Science
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