Schon Leonardo da Vinci hat sich für seine Flugmaschinen an der Natur orientiert, indem er sich den Flug von Vögeln zum Vorbild genommen hat. Sich von Pflanzen, Organismen und Ökosystemen inspirieren zu lassen und davon für Architektur, Kunst, Technologie und Naturwissenschaften zu lernen, ist die Philosophie hinter der interdisziplinären Wissenschaft Bionik. Nicht umsonst setzt sich das Wort auf Deutsch aus BIOlogie und TechNIK zusammen. Im englischen Sprachraum dagegen versteht man unter dem von dem amerikanischen Luftwaffenmajor Jack E. Steele 1960 eingeführten Terminus „Bionics“ dagegen eher eine Kombination aus Biologie und Elektronik.
„Deswegen hat sich im wissenschaftlichen Kontext Biomimetik eingebürgert als deutsches Wort und Biomimetics als englisches. Aber Bionik und Biomimetik im Deutschen ist dasselbe“, erklärt dazu die Bionik-Expertin Ille Gebeshuber im Gespräch mit APA-Science. Die Physikerin ist am Institut für Angewandte Physik an der Technischen Universität Wien tätig und beschäftigt sich mit Nanophysik und Biomimetik (siehe auch Bionik, kinderleicht erklärt bzw. Interview zum Nachhören).
Bottom-Up
Grundsätzlich gibt es in der Bionik einen problem- und eine lösungsbasierten Zugang. Beim lösungsbasierten Ansatz (Bottom-Up) wird Grundlagenforschung betrieben und ein biologisches System auf mögliche technische Anwendungen hin untersucht. „Ein Beispiel dafür ist der Lotusblatt-Effekt, den ein Botaniker aus Deutschland, Professor Wilhelm Barthlott aus Bonn, entdeckt hat“, sagt Gebeshuber. Der Effekt bezeichnet die Eigenschaft von Lotusblättern, dass Wasser aufgrund ihrer speziellen Oberflächenstruktur in Tropfen an ihnen abperlt und dabei Schmutzpartikel mitnimmt. Das Prinzip der Selbstreinigungsfähigkeit wasserabweisender mikro- und nanostrukturierter Oberflächen wurde seit den 1990er-Jahren in bionische Anwendungen wie etwa Fassadenfarben übertragen.
Top-Down
Beim problembasierten Ansatz (Top-Down) dagegen stellt man bei einem bereits definierten technischen Problem quasi eine „Frage an die Natur“, wie etwa: „Wie lässt sich die Tragfläche eines Flugzeugs so optimieren, dass der Treibstoffverbrauch sinkt?“ Davon ausgehend sieht man sich in der Natur um, in diesem Fall bei großen gleitenden Vögeln, erklärt Gebeshuber: „Man sieht zum Beispiel, dass da am Ende der Flügelspitzen diese Federn abgehoben werden und transferiert das als die sogenannten Winglets oder vielleicht auch Spiroide in die Technik.“
Lotus-Effekt, Winglets oder auch der vom Schweizer Wissenschafter Georges de Mestral 1948 nach Vorbild der Klette entwickelte Klettverschluss sind häufig genannte, schon klassische Beispiele für bionische Anwendungen. Ihnen ist aber gemein, dass sie alle schon einige Jahre auf dem Buckel haben. Aber ist Bionik deshalb kein Thema mehr? Vorweg: Heute wird zwar noch immer bionische Forschung betrieben, nur nicht mehr zwangsläufig unter diesem Namen.
Spurensuche in Österreich
Man muss nicht das Wort Hype bemühen, aber vor gut zehn bis 15 Jahren war das Thema Bionik wohl weit präsenter als heute. Bereits 2006 untersuchte das Institut für Technikfolgenabschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) im Auftrag des Technologieministeriums (BMVIT; heute: BMK) das „Bionik-Potenzial in Österreich“. Resümee: Außer verstreuten Einzelinitiativen gebe es keinen nennenswerten österreichweiten Austausch oder eine sichtbare Darstellung von Bionik, wohl aber seien hohes Potenzial und Kompetenz vorhanden.
Eine Folgestudie kam 2010 zu einem ähnlichen Ergebnis, nur setzte sich das Ministerium im Geleitwort zum Ziel, „den Beitrag der Bionik im österreichischen Innovationssystem substantiell zu erhöhen“. Kurz, Bionik wurde zu dieser Zeit offiziell zum In-Thema und auf verschiedene Arten sichtbarer. An der TU Wien wurde 2008 das Kooperationszentrum für Bionik/Biomimetics „TU BIONIK“ gegründet, die Wirtschaftskammer veranstaltete 2012 einen „InnovationsDialog“ Bionik, und an der FH Kärnten (Villach) gab es einen Masterstudiengang Bionik/Biomimetics in Energy Systems. Heute ist von solchen Initiativen oder Lehrgängen mit „Bionik“ im Namen nicht mehr viel übrig, zumindest ist ein eigenes Studium dazu vorerst nicht in Sicht („Der Traum von einem Bionik-Studium“).
- Bionik und Biomimetik als Thema weniger präsent als vor zehn bis 15 Jahren
- Keine eigenen Ausbildungen an Hochschulen, aber vereinzelte Lehrveranstaltungen
- Zahlreiche Forschungsprojekte und technische Lösungen, aber oft nicht als „bionisch“ deklariert
Eine Statistik, wie viele Projekte in Österreich zu den Themen Bionik/Biomimetik gefördert oder patentiert wurden, kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Dazu sind die Projekte wegen der uneinheitlichen Terminologie nicht eindeutig genug zuordenbar. Die Zahlen geben nur Treffer wieder, die unter einschlägigen Stichworten aufscheinen.
Eigene Programmschienen gibt es in den beiden wichtigsten für Forschungsförderung zuständigen Institutionen keine. In den Datenbanken von Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) und Wissenschaftsfonds (FWF) finden sich aber sehr wohl einschlägige Projekte. In der Projektdatenbank der FFG scheinen seit 2011 acht Projekte unter den Stichworten (bioni*, biomime* oder bioinspir*) auf.
Mit leicht erweiterten Suchbegriffen registrierte der FWF von 2011 bis 2020 207 Anträge und 46 geförderte Projekte. Die beantragte Fördersumme beläuft sich auf 87 Mio. Euro, die geförderte Summe auf 13,9 Mio. Euro. Nach Wissenschaftsdisziplinen gereiht entfällt der Großteil der Projekte auf Chemie (38,7 Prozent) und Biologie (23,1 Prozent), mit großem Respektabstand folgen Physik, Astronomie (8,7) und Informatik (4,4). Die restlichen 25 Prozent verteilen sich auf eine breit gestreute Gruppe von Land- und Forstwirtschaft bis Kunstwissenschaften.