Schätzungen des Österreichischen Gehörlosenbundes (ÖGLB) zufolge leben hierzulande in etwa 10.000 gehörlose Menschen. Dazu kommen rund 450.000 schwerhörige Personen. Was die Zugehörigen der Gehörlosengemeinschaft verbindet, ist nicht nur eine gemeinsame Kultur und Identitätsstiftung, sondern in erster Linie auch eine gemeinsame Sprache. Sie unterhalten sich in der Österreichischen Gebärdensprache oder ÖGS.
Vor allem eines betonen Forschende und die Gemeinschaft dabei gleichermaßen. Die ÖGS ist eine vollwertige und natürlich entstandene Sprache. Sie weist wie alle natürlichen Sprachen Varianten, wie Dialekte oder Generationsunterschiede, auf und sie unterscheidet sich klar von den anderen hunderten Gebärdensprachen weltweit. Eine österreichweit standardisierte ÖGS hat sich bisher (noch) nicht etabliert. Wie in der Lautsprache verstehen sich Sprecher unterschiedlicher Dialekte aber größtenteils untereinander (siehe „Gebärdensprache ist in einem ständigen Wandel“).
In einem Punkt unterscheidet sich die ÖGS jedoch vom Deutschen. Die ÖGS ist zwar eine offizielle Minderheitensprache Österreichs, der Alltag Gehörloser gestalte sich sprachlich jedoch nach wie vor nicht barrierefrei, berichtet die gehörlose Präsidentin des ÖGLB Helene Jarmer im Gespräch mit APA-Science („Alles außer Hören kann man schaffen“).
Ein junges Forschungsfeld
Die Gehörlosengemeinschaft sieht sich von der ÖGS-Forschung in ihren gesellschaftspolitischen Anliegen ernst genommen und unterstützt, wie klar aus den APA-Science-Interviews hervorgeht. Die entsprechende Forschungslandschaft ist jedoch, vor allem innerhalb Österreichs, noch sehr jung und auch klein. Es gebe deshalb noch zahlreiche Lücken im Wissen über die ÖGS, sind sich die Sprachwissenschafterinnen Verena Krausneker und Julia Krebs einig (siehe „Bildung als Dreh- und Angelpunkt“ bzw. „Gehörlos Sprache verarbeiten„).
In den 1960er-Jahren hat man in Amerika begonnen, Gebärdensprachen als vollwertige Sprachen zu untersuchen. In den 1990er-Jahren haben schließlich auch österreichische Sprachwissenschafterinnen und Sprachwissenschafter am heutigen Fakultätszentrum für Gebärdensprache und Hörbehindertenkommunikation der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt angefangen, die ÖGS zu beforschen. In diesem Zusammenhang bezeichnet Krausneker ihren 2018 verstorbenen Kollegen Franz Dotter (siehe Nachruf) als Pionier der österreichischen Gebärdensprachforschung.
Keine institutionelle Verankerung
Bis heute gibt es jedoch noch keine institutionelle Verankerung der Gebärdensprachforschung oder der Deaf Studies, die neben der Sprache auch Kultur und Alltag der Gehörlosen behandeln, an einer österreichischen Universität. „Es gibt im ganzen Land nicht einen Ort, wo man an die Universität gehen und einfach ÖGS studieren kann“, sagt Krausneker. Vor diesem Hintergrund sei es erstaunlich, wie viel Forschung bereits zur ÖGS betrieben worden ist, ergänzt die Wiener Sprachwissenschafterin.
- Die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) ist eine eigenständige, natürlich entstandene Sprache, die seit 2005 von der österreichischen Verfassung als Minderheitensprache anerkannt ist.
- Zentrale Forderungen der Gehörlosengemeinschaft, darunter barrierefreie Bildung, sind bis heute offen. ÖGS-Lehrpläne sind jetzt allerdings am Weg.
- Die österreichische Forschungslandschaft ist mit der Gehörlosengemeinschaft eng vernetzt und unterstützt deren Anliegen.
Die ÖGS ist eine durch die österreichische Bundesverfassung anerkannte Minderheitensprache. Das Gesetz ist mit 1. September 2005 in Kraft getreten und ist in Artikel 8 unter folgendem Wortlaut zu finden:
(2) Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich zu ihrer gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt. Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung dieser Volksgruppen sind zu achten, zu sichern und zu fördern.
(3) Die ÖGS ist als eigenständige Sprache anerkannt. Das Nähere bestimmen die Gesetze.