Experten sehen keine Revolution, aber Vereinfachungen
Im Hinblick darauf, dass viele Schwerpunktsetzungen im neuen EU-Forschungsprogramm "Horizon 2020" bereits im Vorgängerprogramm angestoßen wurden, sieht die heimische Forschungsszene die neuen Initiative eher nicht als Revolution. Trotz Vereinfachungen drücken laut einer Umfrage von APA-Science drohende geringe Erfolgsaussichten für Anträge und die immer noch komplexe Projektabwicklung aufs Gemüt.
Darauf, dass die im Budgetierungsprozess für "Horizon 2020" ursprünglich angepeilten 90 bis 100 Mrd. Euro über die gesamte Laufzeit von 2014 bis 2020 mit nun etwa 79,4 Mrd. Euro recht deutlich verfehlt wurden, wies Christian Wögerer vom oberösterreichischen Forschungsunternehmen Profactor hin. Einen zentralen Vorteil des Programms sieht der wissenschaftliche Leiter in der Aussicht, "Projekte wesentlich näher an die Marktreife" bringen zu können, als im nun ablaufenden 7. Forschungsrahmenprogramm (FP7). Bürokratische Hindernisse hielten sich insgesamt in "überschaubaren Grenzen". Gut sei, dass es sich eben nicht "um eine Revolution handelt", sondern "evolutionäre Vereinfachungen" vorgenommen wurden. Projekteinsteigern rät Wögerer trotzdem dazu, sich Hilfe von erfahrenen Koordinatoren und Förderberatungsstellen zu holen. Profactor habe bisher jedenfalls viele gute Erfahrungen innerhalb der Programme gemacht.
IV führt geringe Industriebeteiligung ins Treffen
Nach der Einschätzung des Vize-Generalsekretärs der Industriellenvereinigung (IV), Peter Koren, haben solch positive Erfahrungen bisher jedoch scheinbar zu wenige Unternehmen gemacht. Koren verweist auf die "deutlich rückläufige bzw. stagnierende" Beteiligung des privaten Sektors an den Forschungsrahmenprogrammen. Die aktuelle Partizipation der Industrie im FP7 liege gar nur bei sieben Prozent. "Grund dafür sind mit Sicherheit auch unübersichtliche Beteiligungsregeln und langwierige Evaluierungs- und Förderungsverfahren", so Koren. Vor diesem Hintergrund habe sich die IV für "eine massive Vereinfachung in der Abwicklung für Unternehmen eingesetzt". Die Erwartungen der IV an "Horizon 2020" hinsichtlich stärkerer Teilnahme der Industrie und besserer Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) seien dementsprechend "sehr hoch".
ACR übt Kritik an Programmteilen für KMU
Doch gerade seitens der KMU seien laut dem mittelständischen Forschungsnetzwerk Austrian Cooperative Research (ACR) die Erwartungen "eher gedämpft". Den KMU würde "weder mehr Geld als Ansporn zum Innovieren in Aussicht gestellt", noch erscheine eine im Vergleich zu FP7 höhere Erfolgsquote für Projektanträge realistisch. "Das neue KMU-Instrument hat vor allem zum Ziel, hochriskante Innovationsprojekte international umzusetzen, damit wird aber der Großteil der KMU - nicht nur in Österreich - überhaupt keinen Antrag stellen. Auch die Idee, mit kollektiver Forschung (also Forschung für eine ganze Branche) mehr KMU zum Innovieren zu bewegen, ist damit nicht realisierbar", heißt es seitens ACR. In Bezug auf den KMU-Zugang sei FP7 offener gewesen. "Der Eindruck, dass von den maßgeblichen Programmdesignern noch nie jemand in einem KMU gearbeitet hat und daher auch nicht weiß, wie diese in der Realität funktionieren", habe sich "leider nicht verändert".
FHK rechnet mit niedrigeren Bewilligungsraten
Johann Kastner, Ausschussleiter "Forschung und Entwicklung" bei der Fachhochschulkonferenz (FHK), bezeichnet "Horizon 2020" als "tolle Chance, aber leider ist das Budget viel zu gering". Keiner Illusion gibt sich der Experte hinsichtlich der Erfolgsraten hin. Schon im FP7 seien die "ziemlich niedrigen Erfolgsraten von teilweise unter 20 Prozent" problematisch. Im Rahmen des neuen Programms würden diese "sicher noch geringer werden", so Kastner. Das Stellen von Anträgen wurde im Vergleich zu früher vereinfacht, die finanzielle Projektabwicklung sei aber nach wie vor "ziemlich kompliziert". Auch hier sollte es daher weitere deutliche Vereinfachungen geben.
ÖAW: Mittel für Grundlagenforschung nicht reduzieren
Auch an der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) wünscht man sich "eine stärkere Anpassung der administrativen Abläufe an die besonderen Notwendigkeiten eines leistungsorientieren wissenschaftlichen Forschens". Man habe insgesamt positive Erfahrungen mit den Fördermöglichkeiten des für die Grundlagenforschung zuständigen Europäischen Forschungsrats (ERC) gemacht. Die ÖAW erwartet sich daher, dass die "ohnedies knappe Dotierung der Grundlagenforschung keinesfalls reduziert wird". Im Rahmen von "Horizon 2020" sollte zudem "die wissenschaftliche Karriereplanung - vor allem junger Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen - zu einem möglichst frühen Zeitpunkt durch koordinierte Fördermöglichkeit" unterstützt werden.
Uni Wien will noch mehr Drittmittel einwerben
Die Wissenschafter an Österreichs größter Forschungseinrichtung, der Universität Wien, haben mit bisher 25 die meisten Förderungen des ERC eingeworben und zeichnen auch für die zweitmeisten Projektbeteiligungen einer heimischen Institution im FP7 verantwortlich. Vizerektorin Susanne Weigelin-Schwiedrzik sieht in "Horizon 2020" zahlreiche Möglichkeiten zur weiteren Beteiligung: "Insbesondere die thematisch offenen Programmlinien sind aus Sicht der Universität vielversprechende Förderquellen."
Da in dem neuen Programm ein großes Budget für die Erforschung von gesellschaftlich relevanten Problemen vorgesehen ist und die Uni Wien in einigen der definierten Themenfelder bereits gut positioniert sei, sehe man hier "großes Potenzial". Vor dem Hintergrund der stärkeren Gewichtung auf Umsetzung und Verwertung von Forschungsergebnissen wolle man sich "noch intensiver um Drittmittel in Kooperation mit der Wirtschaft bemühen", so die Vizerektorin.