Die großartigste von Menschen gebaute Maschine
Wenn er einst fertig ist, wird er das komplizierteste Gerät sein, das je von Menschen gebaut wurde: Der universelle Quantencomputer. Vorstufen dazu gibt es schon heute, zum Beispiel im Labor von Rainer Blatt am Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck, nämlich quasi kleine "Quantencomputerchen", die nur mit wenigen Informationseinheiten (Qubits) jonglieren, aber in speziellen Bereichen mehr leisten als konventionelle Rechner.
Außerdem arbeiten die Theoretiker wie Peter Zoller vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Innsbruck und Blatt bereits seit einigen Jahren mit Quantensimulatoren, die als ausgelagerte Prozessoren in Hybridsystemen mit "normalen" Computern zusammenarbeiten, um komplizierte Probleme aus der Quantenwelt lösen. Quantencomputer und Quantensimulatoren sind zwei Säulen des eine Milliarde Euro schweren "Quantum-Flagship" Programms der Europäischen Union, das laut Insidern auf 1,5 Milliarden, möglicherweise sogar auf 2 Milliarden Euro aufgestockt werden soll.
Verbindet man die ganzen Quantenrechner und -Simulatoren zu einem Quanteninternet, hat man etwas, das dem heutigen Bild mit den hausbackenen Rechnern und dem althergebrachten Internet durchaus nahe kommt. Doch der Anwendungsbereich der Quantenmaschinen wird stets ein anderer sein als jener der heutigen elektronischen Datenverarbeiter, so die Experten. "Quantencomputer sind keine Allheilmittel und nicht ein Ersatz für alle klassischen Computer, sondern sie ergänzen diese für Spezialprobleme", meint Blatt. Sprich: Niemand würde in Zukunft auf Quantencomputern Internetvideos schauen, Textdokumente verfassen und Präsentationen abspielen.
Was der Quantencomputer besser kann
Was ein Quantencomputer allerdings besser kann als die herkömmlichen Rechner, ist komplexe, schwierige Probleme aus der Quantenwelt zu lösen. Das ist zum Beispiel sehr im Sinne von Chemikern. "Hier gibt es sehr viele Prozesse, die sich auf klassischen Computern nur schwer abbilden lassen", sagte Blatt. So hervorragend die modernen Computerprogramme für die Chemie auch seien, müsse man die Quanteneigenschaften, die das Verhalten der Moleküle beeinflussen, dort immer kompliziert in der Software nachbilden. Je schneller die Vorgänge ablaufen und je mehr Teilchen involviert sind, umso schneller ist die Rechnerleistung dadurch am Ende. Selbst die größten Supercomputer schaffen hier nicht mehr, als die quantenmechanischen Überlagerungen und dynamischen Prozesse von mehr als 40 Teilchen gleichzeitig zu berechnen, erklärte er.
Quantencomputer haben hier quasi ein Heimspiel, bei ihnen sind die Quanteneigenschaften bereits intrinsisch in der Hardware verankert. Damit kann man zum Beispiel besser dynamische Prozesse in der Chemie optimieren, oder komplizierte biologische Abläufe wie das Einfangen des Lichts und Umwandeln seiner Energie in elektrischen Strom untersuchen, wie dies im pflanzlichen Chlorophyll passiert.
Zweitens würden die Materialwissenschaften von den Möglichkeiten der Quantencomputer profitieren, und drittens könne man damit auch die Signalverarbeitung besser studieren. "Wenn Signale kohärente Prozesse beinhalten, die atomar also sehr schnell ablaufen, dann lässt sich das unter Umständen mit Quantencomputern besser untersuchen", so der Physiker. Allerdings sei die Menge der Rechenverfahren, wo man zur Zeit mit Quantencomputern erwiesenermaßen Vorteile gegenüber konventionellen Großrechnern hat, derzeit noch recht überschaubar.
Wie weit der Quantencomputer gediehen ist
Der universelle Quantencomputer wird aber noch einige Jahrzehnte auf sich warten lassen, sind sich die Experten einig. "Das ist eine schwierige Aufgabe, dazu müssen noch eine ganze Reihe von wichtigen Dingen geklärt werden – an denen wir aber dran sind", sagte Blatt: "Wenn man hingegen den Quantencomputer so definiert, dass er ein Gerät ist, das Quantenrechnungen in digitaler Form machen kann, dann haben wir bereits zwei davon bei uns hier im Haus stehen". Man könne damit demonstrieren, dass solche Systeme funktionieren und Dinge machen, die man sonst kaum durchführen kann.
In einer Studie, die bereits 2016 in der Fachzeitschrift "Nature" erschienen ist, hat er sich gemeinsam mit Peter Zoller und anderen Kollegen ein schwieriges und komplexes Hochenergiephysik-Problem vorgenommen (eine Gittereichtheorie) und auf einem Ionenfallen-Quantencomputer im Blatt'schen Labor zu simulieren. "Bereits vor 25 Jahren haben wir solche Systeme vorgeschlagen, und jetzt funktionieren sie bereits im kleinen Maßstab", so Zoller: "Es ist extrem bemerkenswert, dass die Experimentalphysiker solche Systeme tatsächlich machen können". Der kleine, aber voll programmierbare Quantencomputer muss zwar nur mit vier Quantenbits auskommen, habe aber letztlich 220 Quantengatter, das sind die elementaren Operationseinheiten, die ein Quantencomputer durchführen kann. Im Labor funktionieren sie also schon, die universellen Quantencomputer, wenn auch nur als "kleine aber feine" Rechen- und Simulationsmaschinen.
In den Labors gefangen
"Ein großes Problem ist natürlich, das Gerät endlich aus dem Labor rauszubringen", erklärte Thomas Monz vom Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck. Zwei Aspekte seien hier entscheidend: Die Fehlertoleranz und Skalierbarkeit. "Wenn kleine Fehler auftreten, sollten sich diese selbstständig auskorrigieren", sagte er. Normalerweise geschieht dies in der Technik durch Redundanz. "Das kann man sich vorstellen wie einen Mehrheitsentscheid – wenn fünf Leute in Wien am Abend ausgehen und dann diskutieren, wo sie ihr Auto hingestellt haben. Einer meint bei der Hofburg und vier hinter dem Parlament, dann wird wohl eher die Mehrheit richtig liegen als der Einzelne".
Auf diese Art könne man auch quantenmechanisch eine Fehlerkorrektur implementieren und einen fehlertoleranten Quantencomputer realisieren. Skalierbarkeit wiederum bedeutet, dass das System kontinuierlich größer werden kann, ohne dass die Fehlerrate ebenso plötzlich so groß wird, dass es nicht mehr funktioniert. "Bei einem Eisenbahnzug weiß man, er kommt nicht nur mit ein oder zwei Waggons an, sondern auch, wenn man zwanzig dran hängt", so Monz. Das gleiche müsse für einen robusten Quantencomputer gelten, also dass man die Speichergröße wie bei konventionellen Rechnern Schritt für Schritt steigern kann, ohne dass sich die Fehler häufen und mögliche Probleme zur Unlösbarkeit aufschaukeln.
Außerdem sind die derzeitigen Systeme an den Unis und in den Forschungslabors nicht gerade aufgeräumte Einheiten, die sich durch Kompatibilität der einzelnen Elemente auszeichnen. "Meist ist es ein wüst zusammengebasteltes Ding, aber das Hauptproblem ist, dass die meisten Quantengeschichten auf gedämpften schweren Tischen mit großen Edelstahlplatten von einer halben Tonne und Luftpolsterdämpfung stehen müssen – also ein Laptop oder kompaktes 'Kastl' wird das nicht so schnell werden", so Monz.
Man müsse sich nun überlegen, wie man solche Systeme ohne akustisch und Magnetfeld-abgeschirmte Bereiche realisieren kann, damit man etwa kästchenförmige Module mit genormten Maßen bauen kann, die man einfach in ein Rack schiebt, auf einen Knopf drückt, und das Gerät läuft. Blatt, Monz und Zoller haben genau zu dem Zweck, solche Systeme zu konzipieren und entwickeln, vor kurzem die Firma Alpine Quantum Technologies GmbH (AQT) gegründet.
Abgesehen von den derzeit für den Alltag unpraktikablen Formaten ist noch nicht klar, welche Plattform sich durchsetzen wird, meint Blatt. In Innsbruck setzt man derzeit auf Atome und Ionen, Philip Walter und seine Kollegen in Wien arbeiten mit Photonen, und Firmen wie IBM, Rigetti und Google verwenden Supraleiter-Technologien. "Jede dieser Plattformen hat gewisse Vor- und Nachteile", erklärt der Forscher.
Quantensimulatoren – potente Partner für konventionelle Rechner
Aus gegenwärtiger Sicht viel realistischer sind programmierbare Quantensimulatoren. Das sind auf bestimmte Aufgaben spezialisierte Quantenprozessoren, die nicht universell, sondern nur auf eingeschränkte Weise programmierbar sind, erklärte Zoller. Sie funktionieren als Gehilfen von klassischen Rechnern und leisten Dinge, die diese nicht oder nur sehr eingeschränkt schaffen, wie zum Beispiel hochverschränkte Zustände zu erzeugen und Mehr-Teilchen-Probleme zu lösen. "Wir Theoretiker können auf diese Quantensimulatoren von unseren Schreibtischen aus mit unseren klassischen Computern zugreifen und verwenden den programmierbaren Quantensimulator somit als Quantencoprozessor", sagte er. Hier schafft quasi der konventionelle Computer dem Quanten-Koprozessor eine Aufgabe an – zum Beispiel einen bestimmten Quanten-Grundzustand zu bestimmen -, dieser erfüllt sie, berichtet das Ergebnis an den Hauptrechner, und der wiederum entscheidet, was damit zu tun ist.
In einer aktuellen, noch nicht publizierten Arbeit habe man so ein komplexes Problem, nämlich den Grundzustand eines Hamiltonoperators, ausgerechnet. Der Quanten-Koprozessor wurde dabei in einem Quanten-Feedback-Loop zehn hoch fünf mal aufgerufen, berichtet er. "Es ist jetzt also eine Welt angebrochen, wo wir noch nicht den universellen Quantencomputer haben, aber spezielle Systeme im Labor, die man programmieren und als Koprozessoren vor klassische Rechner spannen kann", so Zoller.
Das Netz der Quantensprünge
Ähnlich wie die Quantencomputer noch ganz im Anfangsstadium befindet sich das Quanteninternet, sagte Ben Lanyon vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der ÖAW. Aber auch das klassische Internet begann klein – mit zwei bis drei Computern, die zu einem Netzwerk zusammengeschlossen wurden –, umspannt heute aber den ganzen Globus. "Jetzt gerade entwickeln wir eines der ersten Beispiele eines Quantennetzwerks hier in Innsbruck", so der Forscher. Dort baue man ein Netzwerk von drei Knoten, aktuell werden die ersten beiden davon verlinkt.
Ein weltweites Quanteninternet sei aber noch Zukunftsmusik. Dazu brauche es außerdem auch zahlreiche, auf dem Globus verteilte Quantenrechner. Wenn man diese zusammenschließt, passiert etwas, das es bei klassischen Rechnern nicht gibt, erklärte er: Dann werden sie auf einmal noch leistungsfähiger, was die gemeinschaftliche Zusammenarbeit fördern könnte und damit einen sozialen und politischen Einfluss hätte. Eine wichtige Aufgabe für das Quanteninternet wäre eine sichere Signalübertragung, die nicht abgehört werden kann.
"Es ist vom Prinzip aus unmöglich, dass ein Lauscher den geheimen Schlüssel erfahren und somit die Codierung knacken könnte", sagte Lanyon. Vorteile böte ein Quantencomputer-Netzwerk auch bei Messungen, die im Raum und in der Zeit und bezüglich physikalischen Feldern viel präziser und empfindlicher wären, als mit klassischen Computern und Netzwerken. Zum Beispiel astronomische Daten könnte man damit viel genauer messen, als es derzeit möglich ist.
Auf dem Weg in die Quantencomputerwelt
Prinzipiell gilt in der Quantenwelt: Der Weg ist das Ziel. Niemand von den Experten wartet auf den universellen Quantencomputer und ein weltumspannendes Quanteninternet, um dann erst loszulegen. "Wir schauen uns an, was man mit den heutigen Systemen machen kann und verbessern sie schrittweise, und träumen nicht nur, was man in 50 Jahren alles damit machen kann", sagte Zoller.
Die Quantenrechnerwelt ist also bereits angebrochen, und die Forscher arbeiten daran, mit Quantenmaschinen Dinge zu machen, die mit klassischen, elektronischen Geräten nicht oder nur höchst eingeschränkt durchführbar sind. Sie sind noch nicht in der Lage, die Leistungen der klassischen Computer mit Quantensystemen zu schlagen, aber nach eigenen Angaben "knapp dran" das zu erreichen, was man auf Neudeutsch "Quantum Supremacy" nennt: Die Überlegenheit der Quantensysteme gegenüber konventionellen Computern.
Von Jochen Stadler