Quanten-Verschlüsselung: Experten sehen Technologie an der Schwelle
"Wir stehen an der Schwelle zu einer Technologie, die tatsächlich auch gebraucht wird", sagte der Quantenphysiker Rupert Ursin kürzlich bei einer Diskussionsveranstaltung in Wien. Anders als in den 1980er-Jahren, wo noch mehr "ins Blaue hinein" geforscht wurde, habe man heute in der Quantenphysik bereits praktische Anwendungen, etwa die abhörsichere Verschlüsselung, vor Augen.
Passend zum Start des neuen Quanten-Flaggschiff-Forschungsprogramms der EU, das am 29. Oktober offiziell vom Stapel gelaufen ist, diskutierten Experten in einem vom Bildungsministerium veranstalteten "Science Talk" das Thema "Quantenkryptografie", also die Verwendung quantenmechanischer Effekte zur Verschlüsselung und Entschlüsselung von Nachrichten. Laut Quantenmechanik bleiben zwei verschränkte Teilchen, etwa Lichtteilchen (Photonen), miteinander verbunden, auch wenn sie sich über beliebige Distanzen voneinander entfernen.
Misst man an einem dieser Teilchen beispielsweise die Richtung der Lichtschwingung (Polarisation), schwingt augenblicklich auch das andere Teilchen in diese Richtung. Der von Albert Einstein einst als "spukhafte Fernwirkung" abgetane Effekt findet mittlerweile unter anderem Anwendung in der Quantenkryptografie. Mit seiner Hilfe lassen sich Code-Schlüssel auf absolut abhörsichere Weise übermitteln - versucht ein Dritter mitzuhören, schlägt das System sofort Alarm.
Aktuelle Kryptografien leicht knackbar für Quantencomputer
Aktuelle, komplizierte mathematische Verschlüsselungen lassen sich im Prinzip mit großem Rechenaufwand - und oft ohne das Wissen der Betroffenen - trotzdem knacken. Ein Quantencomputer hingegen braucht für aktuelle Kryptografien nur Millisekunden. Ist eine Konversation aber mithilfe der Quantenverschränkung verschlüsselt, müsste ein Hacker Unmögliches vollbringen und zunächst die Naturgesetze und die Physik ändern, erklärte Ursin, Gruppenleiter und Vize-Direktor am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).
Die Aufgabe der Kommunikationsunternehmen, so Manfred Litzlbauer, Geschäftsführer der Energie AG Oberösterreich, sei es, Kommunikation absolut abhörsicher zu machen. Doch auch wenn in Zukunft keine unbemerkten Eingriffe in einen Informationsaustausch mehr möglich sind, werden sich Hacker statt auf die Software auf die Hardware oder gleich die Schwachstelle Mensch konzentrieren, mutmaßte Tracy Northup, Professorin für Experimentelle Physik der Universität Innsbruck.
In das "Quantum-Flagship" der EU soll in den kommenden zehn Jahren eine Mrd. Euro fließen, Quantentechnologien sollen damit in Richtung Marktreife gebracht werden. Die zweite Quantenrevolution (die erste ermöglichte Technologien wie den Transistor oder den Laser) werde aber "für uns alle nicht wirklich greifbar sein", so Ursin. Abhörsichere Kommunikation werde die Infrastruktur betreffen, etwa Online-Käufe oder Bankgeschäfte sicherer machen.
Geld und Vernetzung nötig
Damit es so weit kommt, brauche es eine Vorfeldfinanzierung, sagte Klaus Pseiner, Geschäftsführer der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG). In Österreich fehle es aber an mehr als nur Geld. Es brauche eine Dynamik und Vernetzung von Forschungseinrichtungen, Industrie und Unternehmen, um ein Abwandern des Know-hows ins Ausland zu verhindern. Österreich müsse "alle Hebel in Bewegung setzen. Es sind gute Ansätze da, die aber nicht ausreichen. Wir müssen Speed aufnehmen", betonte Pseiner.
In Anbetracht der Summen, die andere Länder in diese Quantentechnologien investieren, habe Österreich Aufholbedarf, befand auch Ursin. Obwohl die EU die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft ist, stecke China zehn Mal so viel Geld in die Quantenforschung. Auf diese "weltweite Entwicklung" müsse man reagieren. Als Beispiel nannte Pseiner das weltweit erste internationale, quantenkryptografisch verschlüsselte Videotelefonat zwischen Anton Zeilinger, dem Präsidenten der ÖAW, und seinem chinesischen Amtskollegen Chunli Bai, im September 2017.
Momentan stehe die Quantenverschlüsselung vor dem Problem, dass über große Distanzen Photonen in Glasfaserkabeln von der Faseroptik absorbiert werden und verloren gehen, erklärte Northup. Aus diesem Grund setzen marktübliche Techniken auf kurze Distanzen oder vertrauenswürdige Dritte. Das Telefonat zwischen Zeilinger und Bai fand stattdessen über einen chinesischen Quantenkommunikationssatelliten statt und hat gezeigt, dass eine absolut abhörsichere Kommunikation über große Distanzen mit der richtigen Technologie möglich ist. Einen solchen Quantensatelliten zu bauen, wäre mit österreichischem Know-how durchaus möglich gewesen, sagte Pseiner, aber nicht von der Finanzierung her - sehr wohl aber in China.
Von der tatsächlichen Anwendung im Alltag seien Quantentechnologien noch recht weit entfernt, da sind sich die Experten einig. "Wir reden von Jahren bis zur kommerziellen Anwendung", gab sich Pseiner überzeugt, keinesfalls könne aber von einem Hype die Rede sein.