Studie: Digitale Geisteswissenschaften mit "enormen Potenzialen"
Die digitalen Geisteswissenschaften sind in Österreich gut aufgestellt, die Akteure sollten aber angesichts der breit vorhandenen Potenziale trotz knapper finanzieller Ressourcen verstärkt auf Synergien setzen. Das zeigt eine in Wien vorgestellte Studie, die erstmals einen Überblick über die wichtigsten Beteiligten, Themenfelder und Strukturen der heimischen "Digital Humanities" gibt.
Die vom Zentrum für Soziale Innovation (ZSI) im Auftrag des Bildungsministeriums erstellte Studie erhebe mangels aussagekräftiger Statistiken und Indikatoren erst gar nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr sei der Gedanke dahinter, mehr über die wissenschaftliche Landschaft zu erfahren und präzisere Informationen zu bekommen. Die Problematik bei dieser Querschnittsmaterie beginne schon bei der Definition von "Digital Humanities", erklärte Studienautorin Katja Mayer vom ZSI gegenüber der APA: "Es ist kontextabhängig, ob darunter eine eigene Fachdisziplin oder ein Set an Methoden verstanden wird."
Bücher, Landkarten, Handschriften und Co.
Im weitesten Sinne fallen unter "Digital Humanities" alle Aktivitäten, analoge Materialen wie Bücher, Landkarten oder Handschriften zu digitalisieren und anschließend sowohl mit geisteswissenschaftlicher Expertise als auch mit computergestützten Methoden auszuwerten und die Daten miteinander zu verknüpfen und aufzubereiten. Ein typisches Beispiel dafür sind digitale Editionen, die etwa das Werk eines Schriftstellers mit zahlreichen biografischen und audiovisuellen Informationen wie Tagebucheinträgen oder Kindheitsfotos angereichert darstellen, als virtuelles Gesamtpaket erlebbar und teilweise auch interaktiv nutzbar machen.
In Österreich sind die digitalen Geisteswissenschaften bereits seit den 1990er-Jahren aktiv, von "Digital Humanities" ist laut Mayer ungefähr ab dem Jahr 2015 verstärkt die Rede. Mit dafür ausschlaggebend dafür sei unter anderem die Gründung des Austrian Centre of Digital Humanities an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ACDH-ÖAW, mittlerweile ACDH-CH, wobei CH für Cultural Heritage steht), der Universität Wien (ACDH-UniWien) und der Universität Graz (ACDH-ZIM Graz) sowie die Präsentation einer "Digital Humanities Strategie" gewesen. Der Begriff der "Digital Humanities" sei zudem maßgeblich von den Institutionen und Personenkreisen rund um das Forschungsinfrastruktur-Konsortium CLARIAH-AT geprägt worden, heißt es in der Studie.
Förderprogramme wie das von der Nationalstiftung für Forschung, Technologie und Entwicklung finanzierte ÖAW-Programm "go!digital" hätten das ihre dazu getan, einschlägige Forschungsprojekte in Österreich voranzutreiben. Abseits solcher dedizierten Förderschienen sei die wichtigste "Bottom-up"-Finanzierungsquelle für die "Digital Humanities" der Wissenschaftsfonds FWF. Dessen Förderstatistik erlaubt einen der wenigen quantitativ gut greifbaren Einblicke in die Welt der digitalen Geisteswissenschaften. Seit 2012 wurden vom FWF 52 Projekte unter diesem Titel gefördert. An 17 davon war das ACDH-ÖAW beteiligt, der Rest verteilt sich hauptsächlich auf Universitäten und andere ÖAW-Institute.
Sprache und Literatur ganz oben
Thematisch entfallen die meisten Projekte dabei auf die Sprach- und Literaturwissenschaften, Geschichte und Archäologie. Doch auch abseits der Beschlagwortung mit "Digital Humanities" gäbe es viele interessante Projekte und Aktivitäten, die zeigen würden, wie reichhaltig die Forschung dazu in Österreich sei, und wie wichtig hierfür Kooperationen zwischen Forschung, Gedächtnisorganisationen und dem Bildungsbereich sind, ergänzte Mayer.
Für die Studie wurden 24 Expertinnen und Experten interviewt. Zusätzlich flossen Ergebnisse einer Online-Befragung ein, an der sich 110 Personen beteiligten. Als Problemfelder seien in den Interviews sehr oft prekäre Arbeitsbedingungen genannt wurden: "Die 'Digital Humanities' sind ganz stark auf dieser Projektförderlogik aufgebaut, was überhaupt nicht nachhaltig ist."
Expertin empfiehlt Ausbau der Infrastrukturen
Als "oberste Priorität" empfiehlt die Studienautorin, den Ausbau der Infrastrukturen ins Zentrum zu stellen, "aber dabei bei aller Technik nicht auf die Inhalte und personellen Ressourcen zu vergessen". Bis dahin sollten die Akteure im Bereich der "Digital Humanities" so viel wie möglich versuchen, Synergien bei Infrastrukturen zu nutzen und verstärkt auf Kooperation und Komplementarität zu setzen. Wobei es auch hier Anreize brauche, denn "in einem kompetitiven Umfeld mit relativ vielen Organisationen muss man sich um die verfügbaren Mittel arrangieren".
Insgesamt sei man in Österreich gut und auch thematisch breit aufgestellt. Die Digitalisierung biete "enorme Potenziale" für die Geisteswissenschaften. Eines der derzeit größten Probleme sieht Mayer jedoch in der bisher fehlenden Evaluation der diversen Aktivitäten. "Dadurch, dass die 'Digital Humanities' so jung sind und so fragmentiert begonnen haben, konnten wir bisher noch ganz wenig aus Erfahrungen lernen. Hier gibt es viel Aufholbedarf."
Service: Die Studie ist Ende Februar unter diesem Link abrufbar: https://www.zsi.at/de/object/publication/5469