Forschungsprojekt bereitet Holocaust-Filmdokumente digital auf
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des Ludwig Boltzmann Institute for Digital History (LBIDH) bereitet seit Jänner 2019 Filmdokumente des Holocaust anhand digitaler Technologien auf. In dem auf vier Jahre ausgelegten Projekt "Visual History of the Holocaust: Rethinking Curation in the Digital Age" werden die Filme außerdem mit ähnlichen Dokumenten, wie Texten, Interviews usw. verknüpft. Mit den digitalen Technologien sollen beispielgebende Konzepte und Anwendungen für die Vermittlung in Museen, Gedenkstätten oder in Schulklassen entwickelt werden, erläutert LBIDH-Leiter Ingo Zechner.
Im Zentrum steht laut Zechner eine Webplattform, auf der die Film- und sonstigen Materialien digital abgebildet und für die breitere Öffentlichkeit sowie für Wissenschafter mittels Benutzeroberflächen aufbereitet werden. Ein Prototyp ist für Ende 2020 geplant. "Die Idee ist, ein komplexes digitales Ausstellungsobjekt zu schaffen", so Zechner. Zu diesem Zweck werden die einzelnen Bilder und Sequenzen mit anderen Dokumenten wie Texten, Zeitzeugenberichten, Korrespondenzen, Informationen der Kameraleute oder Fotografien ergänzt, die sich auf das Gesehene beziehen.
Möglich machen sollen das automatische Bild- und Textanalyse-Technologien, die vom Projektpartner Technische Universität (TU) Wien in Zusammenarbeit mit einer Wiener Firma entwickelt werden. Zudem werden alle Sequenzen geocodiert. "Das erlaubt mir, genau die Filmsequenzen und verknüpften Dokumente aufzurufen, die sich auf den Ort beziehen, an dem ich mich gerade befinde", erklärt der Wissenschafter.
Auch der Frage der Manipulierbarkeit digitaler Bilder gehen die Forscher nach. "Wir wollen ein Best-practice-Modell entwickeln, wie man Filme digitalisieren kann, ohne den Informationsverlust des Originalmediums in Kauf zu nehmen", sagt Zechner. Erprobt werden sollen die "neuartigen Vermittlungsanwendungen" zunächst in den Gedenkstätten Mauthausen, Dachau und Bergen-Belsen, die ebenfalls zum Projektkonsortium gehören.
Digitaler Schub für die Filmanalyse
Überhaupt würden die digitalen Technologien den wissenschaftlichen Umgang mit Filmen ändern, meint Zechner prinzipiell. "Filme waren bis zur Kommerzialisierung des analogen Videos nur in Kinos oder Archivbeständen zugänglich. Sichtung, Aufarbeitung und Analyse waren mit enormem Aufwand und oftmals nur mit Zusatzqualifikationen möglich", so der Chef des LBIDH.
In der Ära des kommerziellen analogen Videos habe sich das dann etwas verbessert. Den wahren Boost bringe jedoch die Digitalisierung. Riesige Filmbestände seien nun leicht und relativ rasch analysierbar. Einen weiteren Schub könne man sich durch automatisierte und indizierte Bildanalyse von visuellen Quellen erwarten. Da würden sich dann neue Quellenbestände und Forschungsansätze für die Film- und Medienwissenschaft bis hin zur Geschichte, Anthropologie etc. ergeben.