"Digitale Geisteswissenschaften? Läuft!"
Der digitale Wandel macht vor den Geisteswissenschaften nicht halt. Junge Förderprogramme wie Go!Digital oder Initiativen wie das Austrian Centre for Digital Humanities helfen innovativen Projekten in den digitalen Geisteswissenschaften auf die Beine. Die bisherigen Ergebnisse können sich sehen lassen.
Die Geisteswissenschaften werden immer digitaler. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat daher in den vergangenen fünf Jahren stark in die Digital Humanities investiert. Es galt die Entwicklung neuer Methoden und Forschungsansätze anzuregen und gleichzeitig die notwendigen effizienten Forschungsinfrastrukturen zu schaffen.
2015 wurde von der ÖAW das Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH) gegründet, das durch die Schaffung eines großen Netzwerks mit zahlreichen Partnern in Österreich und weit darüber hinaus auch zur Sichtbarkeit der österreichischen Aktivitäten auf der internationalen Ebene beigetragen hat. Die Bündelung und Vermittlung von Kompetenz im Bereich der Digital Humanities sowie die Schaffung von Möglichkeiten zur Langzeitarchivierung von Projektergebnissen und Forschungsdaten der digitalen Geisteswissenschaften haben das ACDH zu einem bedeutsamen Player für die Digital Humanities in Österreich gemacht. Besonders die Etablierung des digitalen Langzeitarchivs ARCHE (A Resource Centre for the HumanitiEs) ist eine der großen Leistungen der ÖAW-Einrichtung.
9,5 Millionen Euro im Wettbewerb vergeben
Als weitere Maßnahme zur Förderung der digitalen Agenda in Österreich wurden von der ÖAW mehrere kompetitive Programme ausgeschrieben. In zwei Programmschienen, Projekten zum digitalen kulturellen Erbe einerseits sowie der etwas kleiner dimensionierten Programmschiene Go!Digital, wurden in vier Calls 37 Projekte gefördert. Insgesamt wurden etwas mehr als 9,5 Millionen Euro an Förderungen vergeben. Die Gelder für die Ausschreibungen kamen aus Zuwendungen des BMBWF oder durch eingeworbene Mittel der Nationalstiftung.
Das Ziel der Programme ist, in den Geisteswissenschaften zu einer Erweiterung des Methodeninventars anzuregen, auf zukunftsorientierte Themen zu fokussieren und technische Innovationen für die Erhaltung und Interpretation des kulturellen Erbes zu intensivieren. An den Ausschreibungen konnten sich Forscher/innen von wissenschaftlich arbeitenden Einrichtungen in ganz Österreich beteiligen. Die Ergebnisse der bewilligten Projekte haben die Erwartung an die Etablierung der digitalen Geisteswissenschaften in Österreich in hohem Maß erfüllt – wie die folgenden beispielhaft herausgegriffenen Projekte illustrieren sollen.
Kulturelles Erbe in 3D
Der Wert der Visualisierungsmöglichkeiten der Digitalisierung zeigt sich besonders in kunsthistorischen oder in archäologischen Projekten. So ist in einem aufwendigen 3D-Modell die Bauhistorie der Wiener Hofburg nachzuvollziehen. Mit dem virtuellen Modell ist umfangreiches Bildmaterial verknüpft, das zu einer vertiefenden Entdeckung dieses bedeutenden Bauwerks der österreichischen Geschichte und Gegenwart einlädt.
Ein weiteres Beispiel: Zu den Schätzen des Archivs der ÖAW zählen die Abklatsche (Inschriftenabdrücke) aus der Region des heutigen Jemen des österreichischen Semitisten Eduard Glaser (1855-1908). Die Abklatsche sind sehr fragil und in einer einfachen Fotografie schlecht lesbar, daher bietet das Projekt mehrere Ansichten der Abklatsche, unter anderem auch eine drehbare Version in 3D, sowie Informationen zu Fundort und Transkription des Textes der Inschrift. Im Zuge des Nachfolgeprojekts "Glaser Collection – Open Access" werden zusätzlich die erhaltenen Fotografien, Glasplattennegative und Tagebücher der Expeditionen digitalisiert und der Forschungscommunity online zur Verfügung gestellt.
Historische Kartenschätze im Netz
Auch die Sammlung des Wiener Privatgelehrten Erich Woldan (1901-1989) befindet sich im Archiv der ÖAW. Sie war zu Lebzeiten Woldans die wohl umfangreichste Kollektion von geographischer Literatur und alten Karten in Österreich. Im Projekt "Woldan goes Digital" wurden bislang mehr als 500 kartographische Objekte digitalisiert und diese Daten in ein auf GeoNode (Geospatial Content Management System) basierendes geographisches Suchsystem eingespielt. Die alten Karten wurden zusätzlich georeferenziert und damit ihre Abmessungen in einer modernen digitalen Karte sichtbar gemacht.
Die einzelnen Objekte enthalten nicht nur den Link zur eigentlichen Bilddatei, sondern liefern über eingearbeitete Metadaten auch Informationen zu Autor, Titel, Veröffentlichung, kartographisch-technische Angaben und eine physische Beschreibung des vorliegenden Exemplars sowie einen wissenschaftlichen Kommentar und die verfügbare Literatur zur Karte. Die Digital Humanities ermöglichen es damit – und in einem umfangreicheren Maße, als er es selbst hätte ahnen können – dem Wunsch Woldans zu entsprechen, dass seine Sammlung einer weiten Öffentlichkeit uneingeschränkt zur Verfügung gestellt wird.
Digitale Zeitgeschichte mit Bürgerbeteiligung
Und schließlich sei noch ein Projekt von stark zeithistorischer Relevanz erwähnt, die Downed Allied Air Crew Database Austria. Aufbauend auf umfangreicher Forschung werden Daten und Informationen zum Schicksal amerikanischer und britischer Flugzeugbesatzungen zur Verfügung gestellt, die zwischen 1939 und 1945 über dem heutigen Österreich abstürzten, in Gefangenschaft gerieten, Opfer von Verbrechen wurden und/oder zu Tode kamen. Dieses Projekt nutzt auch die dialogischen Potentiale der Digital Humanities, indem Besucher/innen der Webseite die Möglichkeit haben, Informationen beizusteuern und die Datenbank so weiter anzureichern.
All diese Beispiele sollen nicht nur den hohen Nutzen der Digital Humanities für Forschung und Öffentlichkeit illustrieren, sie sollen auch zeigen, dass die Projekte so geplant wurden, dass auf ihren Ergebnissen wiederum aufgebaut werden kann. Die Daten sind nachnutzbar und stehen über ARCHE langzeitarchiviert zur Verfügung. Übrigens: Es hat sich gezeigt, dass die Qualität der Anträge von Ausschreibung zu Ausschreibung gesteigert werden konnte. Etwas Besseres kann man sich für die Zukunft der Förderprogramme nicht wünschen.