Digital arbeiten: Das Ende der Routine
Digitale Technologien werden das Arbeiten weiter verändern. Das steht für Ulrich Remus, Experte für digitale society von der Universität Innsbruck, außer Diskussion. Künftig werden laut Remus vor allem andere Kompetenzen gefordert sein. Es werde mehr in Richtung Problemlösung, -strukturierung, Kooperation, Kreativität etc. gehen.
"Tätigkeiten an 'der Spitze' werden zunehmen und kognitiv und intellektuell anspruchsvoller. Das trägt konsequenterweise einige Herausforderungen an das Bildungssystem heran", so Remus. Es werde künftig eine breite Ausbildung brauchen, die systemisches, integratives Denken fördere, um die Komplexität der neuen Automatisierungsprozesse zu erfassen. Dort, wo die Automatisierungsprozesse den höchsten Komplexitätsgrad (Industrie 4.0, kollaborative Robotik ...) aufweisen, brauche es künftig topausgebildete Mitarbeiter - schon alleine, um das System zu verstehen.
Bildung ist also ganz zentral, um Menschen für die digitale Arbeitswelt zu befähigen. Nicht alle werden dabei Schritt halten können und manche sogar Gefahr laufen, ganz aus der Arbeitswelt hinauszufallen. Das werde in den nächsten Jahren eine sozialpolitische Herkulesaufgabe sein, ist sich der Wirtschaftsinformatiker sicher.
Ein Hoffnungsträger könnte laut dem Experten der soziale Bereich sein (siehe auch: "Arbeit im Umbruch - wieder"), der nur zu einem kleinen Teil automatisiert werden kann. Letztlich bedürfe es da des politischen Willens, soziale Berufe wie die Altenpflege aufzuwerten und aus der Nische der Billigjobs zu holen. Remus sieht eine Diskrepanz zwischen kognitiv anspruchsvollen und sozialen Berufen. Jobs, bei denen emotionale Intelligenz gefordert ist, sind weit unterbezahlt. "Wir werden uns da zusehends gesellschaftliche Probleme einhandeln, wenn hier nicht bald gegengesteuert wird", glaubt er, der die momentane Entwicklung vorderhand technikgetrieben sieht. Die Pflegediskussion etwa zähle auch zu den alten Hüten, werde aber nicht an Brisanz verlieren. Das könne man nicht alleine mit mehr und besserer Technik lösen.
Autonomes Fahren
Ein Gebiet, wo die digitale Automatisierung extrem rasch voranschreitet, ist das Berufsfeld Fahrdienste und Transportunternehmen. Hier werden zusehends Bewegungsdaten ausgewertet. Damit kann die Effizienz der Touren und der eingesetzten Fahrer gesteigert werden. Die Frage ist, wann wird gänzlich auf den Fahrer verzichtet. Über kurz oder lang werden derartige Dienstleistungen rund um die Uhr kostengünstiger - für Kunden und Unternehmer. Mehr Daten heißt aber nicht nur mehr Effizienz, sondern auch mehr Möglichkeiten der Kontrolle. Da stellen sich zusätzliche ethische Fragen, inwieweit Bewegungsdaten eingesetzt werden dürfen, verweist Remus auf potenzielle ungewünschte Nebeneffekte. Eine Diskussion, die aber auch nicht ganz neu ist.
Eine weitere potenzielle ungewünschte Auswirkung sind sogenannte Reboundeffekte, die sich auf Klima und Umwelt auswirken könnten. Auch wenn künftig mehr E-Fahrzeuge eingesetzt werden sollten, wird das durch das Plus an Fahrten zu einem höheren Stromverbrauch führen. Da Elektrizität weiter zu einem hohen Prozentsatz in thermischen Kraftwerken hergestellt werden muss, wird der Ausstoß an Klimagasen angetrieben. "Quantitative Vorhersagen dazu sind schwer zu treffen. Da so etwas aber durchaus passieren könnte, braucht es gut ausgebildete Menschen, die über den Tellerrand des eigenen Fachgebiets blicken können und sich derartiger Probleme im Bedarfsfall annehmen", erläutert der Informatiker im Gespräch mit APA-Science.
Wer will schon offline sein?
Im Umgang mit den digitalen Techniken wird immer wieder über die Entgrenzung gesprochen - Grenzen zwischen privat und professionell verschwimmen zusehends. Offline ist keine Alternative mehr. Permanente Konnektivität wird vom einzelnen Individuum vorausgesetzt. Remus meint dazu." "Das Gefühl des Verbunden-Seins ist für viele Menschen mittlerweile ein wichtiger Aspekt des Wohlbefindens." In einer Studie hat er mit seinem Team in einer Unternehmensberatung festgestellt, dass es für die meisten Mitarbeiter belastender war, offline als ständig online erreichbar zu sein. Relativierend erklärt der Wirtschaftsinformatiker dazu, dass die ständige Konnektivität sehr dem eigenen Rollenbild der Mitarbeiter in dem untersuchten Unternehmen entspricht. Mögliche pathologische Ausformungen - besonders langfristig - wie Überlastung, Depression oder gar Suchtverhalten sollten nicht außer Acht gelassen oder gar schön geredet werden.
Der Mensch lässt sich durch das immer Online-Sein bei seinen Aktivitäten häufig unterbrechen, oder unterbricht sich selbst, um in den sozialen Netzwerken auf den neuesten Stand der - meist privaten - Dinge gebracht zu werden. "Wir haben in unserer Arbeit festgestellt, dass sich der Einzelne in der Arbeit selbst mehr unterbricht als das von außen passiert", so Remus. Das sich immer wieder auf neue Kontexte einstellen kostet Zeit und kann zulasten der Produktivität gehen. Selbstmanagement im Umgang mit den ständig verfügbaren digitalen Kanälen wird daher für Remus immer mehr zu einer sozialen Fähigkeit. Das braucht Disziplin und das Hinterfragen, was ist im Moment wirklich nötig ist: "Überhaupt wird die soziale Kompetenz im Umgang mit der digitalen Konnektivität in Zukunft noch wichtiger werden."
Konnektivitätstypen
Am Institut für Wirtschaftsinformatik, Produktionswirtschaft und Logistik der Universität Innsbruck haben die Wissenschafter rund um Remus anhand jahrelanger Forschungen vier Konnektivitätstypen herausgearbeitet: Der "Passenger" geht in der virtuellen Kommunikation sehr überlegt und behutsam vor. Er möchte Missverständnisse unbedingt vermeiden. Der "Bricoleur" dagegen kann seine Kommunikationsform situativ flexibel anpassen. Für ihn ist Konnektivität normal, er passt sie aber in seiner Freizeit entsprechend an. Zu den "Maniacs" zählen Menschen, die ständig verfügbar sind. Sie kontrollieren ihre Kommunikationskanäle sehr regelmäßig und reagieren rasch. Die virtuelle Kommunikation ist für sie nicht nur normal, sondern oft auch Ersatz für Face-to-Face-Kommunikation. Der "Pragmatist" bedient sich der digitalen Kommunikation hauptsächlich, um Aufgaben zu erfüllen und schafft sich dafür eigene, vordefinierte Zeitfenster.
Die Forscher untersuchen derzeit, wie Personen mit individuell unterschiedlichen Konnektivitätsmustern innerhalb eines Unternehmens interagieren. Da stellen sich Fragen wie: Wie handeln die verschiedenen Typen eine Basis aus, um produktiv kommunizieren zu können? Wer behält die Oberhand? Kommt es zu Diskriminierungen? oder auch "Wie schauen Kompromisse aus?". Das ist gemäß Remus ein sehr dynamischer Prozess, der von vielen Faktoren abhängig ist. Bis jetzt zeigt sich, es konvergiert, es findet sich in der Regel ein gemeinsamer Nenner auch zwischen den unterschiedlichsten Konnektivitätsmustern. "Das spricht für die Konsensfähigkeit des Menschen", so Remus, der hier die Rolle von Vorgesetzten gefordert sieht, zu erkennen, welche Kommunikationsbedürfnisse gut für die Mitarbeiter sind. Für Unternehmensführungen wird künftig das Anforderungsprofil wohl umso etwas wie "social connectivity skills" erweitert.
Selbstverantwortung
"Man ist der Digitalisierung nicht ganz so ausgeliefert, wie es in vielen Diskussionen häufig dargestellt wird", mahnt Remus zu mehr Ruhe im öffentlichen Diskurs. "Wir sind da nicht nur Opfer, sondern auch Täter, das sollten wir nicht vergessen. Wir können noch immer sehr viel steuern, alleine dadurch, dass wir zum Beispiel eine E-Mail oder WhatsApp-Nachricht priorisieren, ob wir überhaupt reagieren müssen. Man hat es durch das eigene Kommunikationsverhalten in der Hand, wie einen die Umgebung definiert und welche Kommunikationsansprüche an einen selbst herangetragen werden." Er plädiert für eine bewusste, aktive Selbstverantwortung im Umgang mit virtuellen Kommunikationskanälen.
Von Hermann Mörwald / APAScience