Arbeit im Umbruch - wieder
Arbeit wird zusehends digitaler, damit auch die Arbeitswelt. Das Attest ist keine große Neuheit. Doch ist der digitale Veränderungsprozess tatsächlich revolutionär? Von APA-Science befragte Wissenschafter meinen: "Nur bedingt."
Was die Industrie betrifft, ist das laut den Experten zu einem großen Teil lediglich ein weiterer Schritt der Automatisierung, die seit der ersten industriellen Revolution passiert. Dieser Prozess läuft somit bereits seit Generationen, was sich in Schlagworten wie Industrie 4.0 und Smart Factory widerspiegelt. Große Umwälzungen gibt es dagegen in Bereichen wie Handel und Verwaltung. Dort werden künftig zahlreiche Jobs ersatzlos verloren gehen, sind sich die meisten Experten einig.
Insgesamt soll es zu keiner nachhaltigen Erhöhung der Arbeitslosigkeit kommen, wie eine Studie des deutschen Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) mit dem Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) für Deutschland ergeben hat. Dort heißt es: "Die Digitalisierung wird bis zum Jahr 2035 nur geringe Auswirkungen auf das Gesamtniveau der Beschäftigung haben, aber große Umbrüche bei den Arbeitsplätzen mit sich bringen."
Das bestätigen auch Sylvia Kuba, Programmleitung Digitalisierung in der Arbeiterkammer Wien und Herausgeberin des Buchs "Überall ist Zukunft – Gesellschaft im digitalen Zeitalter gestalten", und Annika Schönauer, Arbeitssoziologin bei FORBA - Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt. Der digitale Transformationsprozess sei ja nichts ganz Neues, der laufe bereits seit geraumer Zeit, erklärt Kuba.
Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt würden unterschiedlich bewertet. Einen klaren Konsens gebe es in der Wissenschaft nicht. Gewarnt wird jedoch vor dem voreiligen Verbreiten von allzu dystopischen Szenarien. Darin ist sich die Mehrheit der Experten einig, so auch Kuba: "Welche Produktformen, Bedürfnisse und Trends künftige Treiber der Wirtschaft und des Konsums sein werden, ist mittelfristig kaum auszumachen. Das macht es auch schwierig, quantitative Aussagen zur Arbeit in einer noch mehr digitalisierten Welt zu treffen."
Immer wieder: "Ein Frage der Rahmenbedingungen"
Der Einsatz von Technologien ist für die Experten eine hochpolitische Frage. Dabei prallen laut Kuba unterschiedlichste Interessen wie etwa Kapital und Arbeit, privat und öffentlich, aber auch traditionelle Wirtschaft und New Economy aufeinander. Da bedürfe es eines Interessensaushandlungsprozesses. Der aber eigentlich nicht neu sei, sondern lediglich durch neue Automatisierungsschritte angetrieben werde. "Es geht weiterhin um Löhne, Arbeitszeit und -bedingungen. Der Fokus darauf wird jedoch ein anderer sein, da die digitalen Transformationsprozesse den Rahmen verändern und sich neue Formen des Arbeitens entwickeln", fasst Kuba zusammen..
Eine zentrale Frage ist laut Kuba auch, inwieweit ein Arbeitsplatz automatisierbar ist. Fällt er komplett weg oder nur Teile davon. So werden auch neue Berufe und Jobs geschaffen. Außerdem kommt es darauf an, wie die Rahmenbedingungen gestaltet werden. Historisch gesehen haben sich die Arbeitsstunden laut Kuba zwischen 1870 und 2000 halbiert. Gleichzeitig hat es keine nachhaltig gesteigerte Arbeitslosigkeit gegeben. Das liege daran, dass entsprechende Maßnahmen gesetzt wurden – so etwa Arbeitszeitverkürzungen oder produktivitätsorientierte Löhne. Das habe zu Wirtschaftswachstum und mehr Konsumnachfrage geführt, was wiederum den Arbeitsmarkt angetrieben hat. Außerdem sind neue Berufe entstanden.
Arbeitsmarkt aktiv gestalten
Dass es Verschiebungen geben wird, ist unumstritten. Und hier sollte laut der AK-Vertreterin auch angesetzt werden. Da brauche es dann gestalterische Maßnahmen bei der künftigen Arbeitsmarktpolitik. Bei den Verschiebungen innerhalb von Branchen und den verschiedenen Sektoren müsse darauf geachtet werden, dass es zu keinen Härtefällen komme. "Das ist eine politische Herausforderung", so Kuba.
Ähnlich sieht das Schönauer: "Besonders in der klassischen Administration verändert sich derzeit sehr vieles, vor allem unter der sichtbaren Oberfläche. Zahlreiche Verwaltungsjobs fallen gerade durch Automatisierung weg. Auch in der Logistik und dem Handel ändert sich derzeit das Arbeiten auf revolutionäre Weise." In diesen Sparten wird es – zum Teil auch massive – Freisetzungen geben. Dass Weiterbildungsmaßnahmen und Umschulungen, wie von der Politik skizziert, die freigesetzten Personen in großer Zahl fit für den digitalisierten Arbeitsmarkt machen, glaubt Schönauer nicht: "Das ist eine Illusion und wird zu viel Frustration führen."
Ein Musterbeispiel ist also der Handel. Hier werden durch das Onlinegeschäft neue Arbeitsplätze geschaffen, gleichzeitig gehen im traditionellen Segment welche verloren. "Da muss sich die Politik der Frage stellen, wie viele bekomme ich mittels Umschulungen, Weiterbildungen etc. vom stationären in den Onlinehandel? Das ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe, die genau überlegt und ausverhandelt werden will", meint Kuba.
Onlinehandel: Potenzial wird verschwendet
Dass es einen Arbeitsplatzabbau im Bereich des stationären Einrichtungshandels geben wird, ist auch für Paul Scheithauer, Gründer und Geschäftsführer des Online-Einrichtungshändlers ONLOOM, unbestreitbar: "Der Onlinehandel kann die freigesetzten Stellen aktuell nicht vollständig substituieren, aber es wäre viel mehr möglich." Im dritten vollen Geschäftsjahr beschäftigt das Unternehmen 17 Mitarbeiter. Darunter sind laut Scheithauer auch Personen, die aus dem klassischen Flächenhandel kommen. "Erfahrung und eine gute Ausbildung im Fachhandel zahlt sich bei uns aus. Das digitale Know-how kommt dann schon noch dazu. Wir wollen den traditionellen Einrichtungshandel mit seinen Filialen auch nicht vollständig verdrängen. Gerade im Miteinander sehen wir die größten Chancen", wünscht sich der Unternehmer mehr Mut, Flexibilität und Investitionsbereitschaft seitens der großen Händlern beim Punkt E-Commerce.
Das E-Commerce-Potenzial in Österreich schlummere noch vor sich. Das gehöre wachgeküsst, so der Onlinehändler. Derzeit würden aber viel Umsatz, Wertschöpfung und auch Jobs von großen Unternehmen im Ausland abgesaugt. Unter idealen Bedingungen kann sich Scheithauer vorstellen, mehrere hundert Mitarbeiter zu beschäftigen: "Hier wird aktuell enormes Wachstumspotenzial verschenkt. Verbesserungen in diesem Sektor würden einen beträchtlichen konjunkturellen Impuls geben."
Scheithauer sieht vor allem die Politik in der Pflicht. Es brauche da wirtschafts- und vor allem steuerpolitische Weichenstellung, dass der Onlinehandel einen höheren Stellenwert bekommt. Mittelfristig würde das in Österreich zusätzliche Wertschöpfung mit den entsprechenden Arbeitsplätzen schaffen.
Standardisiert, international, unsichtbar
"Hochstandardisierte Arbeiten werden künftig zusehends automatisiert oder international in billigere Länder ausgelagert. Es gibt aber immer noch genug Jobs, die nur peripher von der digitalen Automatisierung betroffen sind. Das umfasst im Großen und Ganzen den sozialen und den Bildungsbereich, aber auch das Handwerk braucht weiter gute Fachkräfte", erläutert Schönauer. Da gebe es großes Potenzial, je nachdem wie viel öffentliches Geld künftig für den Bereich Soziales und Bildung in die Hand genommen werde. Da gehe es auch um die Wertschätzung derartiger Berufe. In der Bezahlung spiegle sich das derzeit kaum wider, sind sich die befragten Experten einig. Der Ball liege hier klar bei der Politik.
Räumliche Entfernungen und organisatorische Grenzen verlieren durch die vernetzten digitalen Technologien also zunehmend an Bedeutung. Dadurch wird Arbeit internationaler und oft auch unsichtbarer, da vieles nur noch im virtuellen Raum passiert. "Crowdsourcing" ist eine der Überschriften dazu. Noch ist es in Österreich kein großes Thema, da es quantitativ noch nicht relevant ist.
"Das Potenzial derartiger Plattformen ist aber groß", so Schönauer. Die Fragmentierung der Projekte in kleine Aufträge, die via Internet vergeben werden, könnte für viele Unternehmen sehr attraktiv werden. Letztlich brauche man dann im Unternehmen nur mehr jemand, der die verschiedenen Aufgaben zusammenführt, erläutert sie weiter: "Da ist man dann schnell im Bereich vom internationalen Lohndumping von durchaus qualifizierter Arbeit."
Der Verdienst dabei ist sehr unterschiedlich wie Studien dazu belegen. Er bewegt sich je nach Plattform und Komplexität der Aufgaben durchschnittlich zwischen 144 und 662 Euro im Monat, hat zum Beispiel die Studie "Crowdworker in Deutschland" gezeigt. Jedenfalls sind Arbeitnehmervertretungen alarmiert. Schönauer sieht hier die Gefahr der internationalen Prekarisierung von Arbeit. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) beobachtet das ebenfalls und hat derartige Jobformen in ihre Agenda aufgenommen. "Das ist eine der großen künftigen arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen", meint Kuba. Dass es dafür schnelle – vor allem internationale - Lösungen geben wird, bezweifelt dagegen Schönauer. Überhaupt ist der Komplex Crowdworking laut der Arbeitssoziologin mit all den Facetten wie Arbeitszeit, soziale Absicherung, Bezahlung, "Machtverschiebung hin zum Auftraggeber, ja oder nein?" etc. derzeit "kaum einzufangen".
Den Mensch in den Mittelpunkt
Schönauer wünscht sich, dass der Diskurs weniger technologiegetrieben passieren sollte. "Das wird oft schon als evolutionär dargestellt." Es gehe zu sehr um "Technologie um der Technologiewillen". Das gelte auch für das Förderwesen, meint sie. Es müsste vielmehr thematisiert werden, wie die digitale Technik das (Arbeits)-Leben jedes Einzelnen verbessern kann.
In der Studie "Arbeit 4.0 – Auswirkungen technologischer Veränderungen auf die Arbeitswelt" hat sie dazu gemeinsam mit Jörg Flecker von der Universität Wien und Thomas Riesenecker-Caba (ebenfalls FORBA) geschrieben: "Mit einer technikzentrierten Entwicklungsperspektive können viele Chancen auf Beschäftigung und günstige Arbeitsbedingungen verschenkt werden, während eine humanzentrierte Technikentwicklung gerade arbeitsorientierte politische Ziele berücksichtigen kann. Geht es nicht um Automation um jeden Preis und wird aktiv nach Möglichkeiten gesucht, die Bedingungen an bestehenden Arbeitsplätzen zu verbessern, so sind andere Verteilungswirkungen und für die Beschäftigten günstigere Folgen zu erwarten als bei einer rein auf Technik fixierten Entwicklung."
Von Hermann Mörwald / APA-Science