Der (Wasser-)Stoff, aus dem Träume sind
Niemand, der sie nicht kennt, die meistgekaufte Puppe der Welt, mit ihrem rippen- und organbefreiten Oberkörper, ihrer beachtlichen Oberweite - und natürlich ihrer wasserstoffblonden Mähne. Die berühmteste Blondine der Welt verdankt ihr voluminöses Haar wie viele andere Frauen dem Wasserstoff, der in Verbindung mit Sauerstoff zu Wasserstoffperoxid wird und als starkes Oxidationsmittel zum Bleichen und Desinfizieren verwendet wird. Ein Überblick über das leichteste aller Gase, von Haarfärben bis Hindenburg.
War Barbie Ende des vergangenen Jahrtausends hauptberuflich schön, so ist sie mittlerweile erfolgreich in der Arbeitswelt angekommen und neben ihren diversen Jobs als Lehrerin, Astronautin und Thoraxchirurgin auch als Chemikerin tätig. Gekleidet in einen weißen Laborkittel und mit Schutzbrille weiß sie: Wasserstoff trägt die Ordnungszahl 1 (befindet sich somit im Periodensystem ganz links oben und besitzt ein einziges Proton im Atomkern), steht (obwohl ein Nichtmetall) in der Gruppe der Alkalimetalle und wird symbolisch durch den Buchstaben H (für Hydrogen) dargestellt. Unter normalen Bedingungen tritt er als molekularer Wasserstoff H2 auf, eine Verbindung zweier Wasserstoff-Atome.
Er ist das häufigste Element des Universums, Bestandteil von Wasser und beinahe allen organischen Verbindungen. Somit kommt Wasserstoff in gebundener Form in sämtlichen lebenden Organismen vor. Identifiziert wurde er 1776 vom englischen Chemiker Henry Cavendish, sieben Jahre später dann von Antoine Laurent de Lavoisier nach den zwei griechischen Wörtern "Hydro" (Wasser) und "Genes" (Schöpfung) benannt.
Sonne, Mond und Sterne
Der Name ist durchaus passend, denn es gibt den Wasserstoff seit Anbeginn der Zeit - der Schöpfung, wenn man so möchte. Als erstes Element im Universum stellt er 75 Prozent der gesamten Masse sowie 93 Prozent aller Atome unseres Sonnensystems - im gesamten Weltall ist der Anteil vermutlich sogar noch größer (lässt man die dunkle Materie außer Acht).
In seiner natürlichen Form gasförmig und bei unter −252 Grad Celsius flüssig, existiert er in Jupiter und Saturn aufgrund der extremen Drücke, die in ihren Tiefen herrschen, sogar in metallischer Form. Sterne und auch die großen Gasplaneten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun bestehen zu einem Großteil aus diesem Element. So wie Barbie nicht nur in Kaufhäusern und Kinderzimmern, sondern in einem schicken Raumanzug auch im All eine gute Figur macht, kommt man also um den Wasserstoff selbst in den hintersten Winkeln des Weltalls nicht herum.
Auf der Erde ist Wasserstoff seltener und kommt größtenteils in gebundener Form vor, meistens in Verbindung mit Sauerstoff als Wasser, aber auch als Wasserdampf in der Atmosphäre sowie in allen Lebewesen in Verbindung mit Kohlenstoff, in Gasen, Erdöl und Mineralen. Da er beim Verbrennen kaum Abgase hinterlässt und somit ein guter Ersatz für Kohle, Erdöl und Co. sein kann, ist seine Herstellung für die Industrie von großem Interesse.
Wie man zum Wasserstoff kommt
Um Wasserstoff herzustellen, braucht es folglich einen Rohstoff, aus dem man ihn gewinnt. Als dieser kommen Verbindungen infrage, die Wasserstoff enthalten. Die Herstellung erfolgt über verschiedene Verfahren:
Mit über neunzig Prozent ist die Reformierung die häufigste Methode. Dabei werden Kohlenwasserstoffe bei hohen Temperaturen und hohem Druck in einem ersten Schritt in Methan, Wasserstoff, Kohlenstoffmonoxid sowie Kohlenstoffdioxid aufgespalten, in einem zweiten Schritt dann das Methan unter Zugabe von Wasser erneut gespalten, und zwar in Wasserstoff und Kohlendioxid.
Auch Verfahren wie die Partielle Oxidation, die Pyrolyse, das Kværner-Verfahren oder auch die Fermentierung mit anaeroben Mikroorganismen direkt aus Biomasse setzen auf kohlenstoffbasierte Rohstoffe als Grundlage.
Im Gegensatz dazu steht die Wasserspaltung, die Wasser als Grundlage hat, aus dem (teils unter sehr hohen Temperaturen mit Hilfe von elektrischem Strom; teils mithilfe von Sonnenlicht) Wasserstoff und Sauerstoff sowie mögliche Nebenprodukte wie Metalle oder Chlor erzeugt werden.
Das Ergebnis dieser unterschiedlichen Verfahren wird anschließend unter hohem Druck oder in flüssiger Form gespeichert.
In (fast) allen Farben des Regenbogens
Wasserstoff als Element ist in seiner gasförmigen und flüssigen Form zwar farblos, wird aber dennoch, je nach seiner Erzeugung, als grün, türkis, blau oder grau bezeichnet. Wird Wasserstoff CO2-neutral hergestellt (etwa durch Vergasung und Vergärung von Biomasse sowie Reformierung von Biogas), nennt man ihn grün. Entsteht er durch eine thermische Spaltung von Methan, nennt man ihn türkis. Bei diesem Verfahren wird Methan durch Wärme in festen Kohlenstoff und Wasserstoff zerlegt - erfolgt die Wärmeversorgung aus erneuerbaren Energieträgern wie Biomasse, ist dieses Verfahren ebenfalls CO2-neutral. Die Produktion von grauem und blauem Wasserstoff erfolgt mittels fossiler Energieträger, beispielsweise durch die Umwandlung von Erdgas in Wasserstoff und CO2. Die beiden farblichen Kennzeichnungen unterscheiden sich dadurch, dass bei blauem Wasserstoff das freigewordenen CO2 gespeichert oder weiterverarbeitet wird, weshalb auch dieses Verfahren als CO2-neutral bilanziert werden kann.
Falls Barbie eine verspätete Pubertät durchleben sollte, kann sie während dieser rebellischen Phase also vielleicht mit grünem oder blauem Wasserstoff herumexperimentieren und so ihre Haarpracht aufhübschen. (Übrigens: Ursprünglich gab es die Puppe sowohl mit blondem als auch mit brünettem Pferdeschwanz zu kaufen. Erst 1977 wurde diese Haarvielfalt aufgegeben, bis Anfang der 90er-Jahre blieb Barbie einheitlich blond.)
Fahren und Fliegen mit Wasserstoff
In ihrer Freizeit ist Barbie mitunter recht sportlich unterwegs, betätigt sich etwa als Judoka, Surferin oder Tennisspielerin. Dadurch hat sie es weit gebracht, bis zu den Olympischen Spielen nämlich, anlässlich derer Hersteller Mattel fünf entsprechende Kostüme kreierte, die die Puppe bereit für den Wettkampf machen sollen. Und auch in Olympia ist der Wasserstoff nicht weit, denn bei den ursprünglich für 2020 geplanten Spielen in Tokio sollte die olympische Fackel etappenweise mit Wasserstoff (statt wie üblich mit Propen oder einem Mix aus Propan und Butan) befeuert werden. In einer extra für die Unterbringung der Sportler errichteten Stadt sollten Strom und heißes Wasser aus dem reichlich vorhandenen Element erzeugt werden sowie rund 500 wasserstoffbetriebene Fahrzeuge zum Einsatz kommen, um die Veranstaltung umweltfreundlich zu gestalten.
Auch Barbie ist gerne motorisiert unterwegs, ihr vermutlich liebstes Fahrzeug ist ein rosa Cabriolet. Bei österreichweit nur fünf öffentlich zugänglichen Wasserstofftankstellen wäre es aber kein Wunder, wenn sie sich so wie 99,99954 Prozent der Österreicher gegen ein Auto mit Wasserstoff-Antrieb entscheidet. Von den fast 5 Millionen Fahrzeugen in Österreich werden nämlich lediglich 42 mit Wasserstoff betrieben. Weltweit sind es um die 6.500.
Für längere Strecken wählt Flugbegleiterin Barbie vermutlich lieber ein Flugzeug - in den 1930er-Jahren hätte sie sich vielleicht aber als Pilotin für einen Zeppelin gemeldet. Diese wurden zwar mit Dieselmotoren betrieben, jedoch lange Zeit mit Wasserstoff gefüllt - in Deutschland sogar noch bis zum 6. Mai 1937, als das berühmte Starrluftschiff LZ 129 Hindenburg bei seiner Landung in Lakehurst (New Jersey, USA) Feuer fing. Eine geplante Umstellung auf nichtentzündliches Helium als Trag-Gas war von den USA, damals der einzige Exporteur von Helium, mit Hinblick auf den erstarkenden Nationalsozialismus in Deutschland durch ein Exportverbot verhindert worden. So wurde die Hindenburg wie ihre Vorgänger mit Wasserstoff gefüllt, fing beim Landeanflug auf New Jersey Feuer und ging innerhalb einer halben Minute zu Boden.
"Quelle von Hitze und Licht"
Während Wasserstoff in Ballons also nicht gerade sicher ist, gibt es einen unverhältnismäßig gefährlicheren Einsatz, nämlich bei einer Wasserstoff- oder Fusionsbombe. Im Gegensatz zu einer Atombombe, die auf der Spaltung von Atomkernen beruht, basiert die Fusionsbombe auf der Kernverschmelzung der Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium. Die erste ihrer Art wurde 1952, sieben Jahre nach der ersten Atombombe, im Pazifik gezündet und hatte eine 800-mal so starke Sprengkraft. Im Vergleich wird aber weniger Radioaktivität freigesetzt, weshalb sie als "sauberer" gilt - obwohl die für die Fusion notwendige Temperatur durch die Zündung einer kleinen Atombombe ausgelöst wird.
Das Potenzial von Wasserstoff reicht folglich von "sehr gut" (als grüner Energielieferant) bis hin zu "nicht genügend" (in Form einer Massenvernichtungswaffe). Wie er letztendlich eingesetzt wird, hängt dabei vom Interesse der beteiligten Akteure ab. "Ich glaube, dass Wasser eines Tages als Brennstoff benutzt wird, dass Wasserstoff und Sauerstoff, aus denen es besteht, einzeln oder zusammen, eine unerschöpfliche Quelle von Hitze und Licht sein werden", prophezeite Science-Fiction-Autor Jules Verne Ende des 19. Jahrhunderts. Damals wurde er für seine Aussage (beziehungsweise die des fiktiven Ingenieurs Cyrus Smith, dem er die Worte in seinem Roman "Die geheimnisvolle Insel" in den Mund legte) belächelt. Heute steht Vernes Vision kurz davor, Realität zu werden.
Von Anna Riedler / APA-Science