"Bei Wasserstoff herrscht derzeit Goldgräberstimmung"
Als Energiespeicher bietet Wasserstoff die Möglichkeit, Strom langfristig zu speichern (was derzeit nicht im großen Stil möglich ist). Als chemischen Grundstoff kann man ihn in synthetische Treibstoffe umwandeln. Und eingesetzt in Brennstoffzellen kann man Elektromotoren betreiben. Mit diesen Vesprechen weckt Wasserstoff aktuell viel Hoffnung und viele Akteurinnen und Akteure wittern neue Geschäftsfelder.
Die Nachteile sind jedoch gravierend. Die Herstellung von Wasserstoff ist energieintensiv und der globale und österreichische Wasserstoffbedarf wird heute zu fast 100 Prozent von fossiler Energie gedeckt. Weitere Anwendungsfelder würden also den fossilen Verbrauch noch zusätzlich steigern. Österreich müsste für den heutigen Verbrauch von 140.000 Tonnen jährlich seine Stromerzeugung um etwa 10 Prozent (oder 7 Terawattstunden) steigern, um alleine die Treibhausgasemissionen in den aktuell Wasserstoff verbrauchenden Sektoren zu decken (chemische Industrie, Raffinerie). Bei einigen Sektoren, etwa der Schwerindustrie, die keine anderen Möglichkeiten zur Dekarbonisierung haben, werden weitere rund 30 Terawattstunden benötigt.
Aufgrund der erheblichen Verluste bei der Umwandlung von Strom zu Wasserstoff und dann der Umwandlung für die jeweilige Anwendung (die Energieverluste bei der Mobilität betragen rund 80 bis 90 Prozent, bei Gasturbinen ebenfalls 70 bis 80 Prozent) würde man außerdem sehr billigen und "überschüssigen" Strom benötigen. Durch die Verluste und relativ hohen Transportkosten ist die Verwendung fast immer teurer als die direkte Verwendung von Strom. All das ist in den nächsten Jahrzehnten absehbar fraglich. "Überschüssigen" Strom zeigt keine einzige Prognose in annähernd ausreichender Menge. Günstige Produktionsstandorte sind rar - aus diesem Grund ist Wasserstoff auch überall, wo er eingesetzt wird, auf erhebliche Förderungen angewiesen.
Die Herausforderung für die strategische Energie- und Klimapolitik ist, eine sichere und CO2-freie Energieversorgung zu ermöglichen und gleichzeitig unnötige Abhängigkeiten und hohe volkswirtschaftliche Kosten zu vermeiden. Gleichzeitig ergeben sich zweifellos technologisch interessante Möglichkeiten. Zu diesen Fragen wird noch 2020 eine österreichische Wasserstoffstrategie veröffentlicht. Ziel ist es, passend zum österreichischen Energiesystem, der geopolitischen Lage und der Vermeidung politischer oder wirtschaftlicher Abhängigkeiten wie etwa bei fossilen Energieträgern, Sektoren zu identifizieren, die fokussiert entwickelt werden können und vor allem, dass nicht nur eine Technologie entwickelt und Partikularinteressen befriedigt werden, sondern die Technologie auch einen sinnvollen Beitrag liefern kann.
Die Kernfrage der Strategie ist neben technologischen Fragen vor allem, welches Problem der aktuellen Transformationsphase Wasserstoff lösen kann. Als chemischer Speicher kann er beispielsweise zur Deckung von Stromversorgungslücken eingesetzt werden, aufgrund einer verhältnismäßig hohen Energiedichte kann er in einigen Bereichen Vorteile gegenüber der direkten Elektrifizierung haben (wenn auch unter hohem Aufwand). Das deutsche Fraunhofer Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik hat erst kürzlich eine Art Rollenaufteilung für die Nutzung in Deutschland bis 2050 vorgelegt. Der zentrale Ansatz: Will man bis 2050 klimaneutral werden (für Österreich hieße das 2040) muss man heute beginnen, die Volkswirtschaft zu transformieren. Unter Berücksichtigung der Investitionszyklen (das heißt von der Lebensdauer von Heizkesseln bis zur Nutzungsdauer von Industrieprozessen) sollte eine strategische Politik frühzeitig ansetzen, um eine planbare und verlässliche Umsetzung durch die Akteurinnen und Akteure, die eine Perspektive brauchen, zu sichern.
Wasserstoff produzieren um des Wasserstoffs willen macht da wenig Sinn und man muss identifizieren, welches Problem er effizient lösen kann und wo er aufgrund seiner Nachteile mittel- bis langfristig mangels Konkurrenzfähigkeit als Option ausscheidet. Daher fokussiert die Verwendung von Wasserstoff auf den Einsatz in "Hard to Abate"-Sektoren. Das sind Sektoren, in denen die Dekarbonisierung nicht durch effizientere und bessere Technologien erreicht werden kann. Sektoren, in denen man trotz der Verluste und der aufwändigen Bedingungen Wasserstoff noch relativ preisgünstig einsetzen kann.
Für Österreich sind das teilweise Prozesse, die über unsere langfristige Wettbewerbsfähigkeit entscheiden. Vor allem die Industrie (bspw. Stahlherstellung, chemische Industrie) und, mit deutlichen Abstrichen, der Schwerstverkehr. Als Grundstoff für synthetische, flüssige Treibstoffe kann Wasserstoff im Flugverkehr oder bei Schiffen Einsatz finden, hier ist neben der benötigten Menge auch die Kostenfrage derzeit allerdings noch vollkommen unbeantwortet. Auch die Frage, ob und wie mit Wasserstoff saisonal Energie gespeichert werden kann, wird aufgrund der Komplexität des Energiesystems und diverser technischer Probleme fordernd. All diese Themen werden aller Voraussicht nach in großem Maßstab selbst bei ambitioniertem Vorgehen das Jahrzehnt von 2030 bis 2040 prägen. Die notwendigen Weichen finanzieller, technischer aber auch politischer Natur müssen in den meisten Fällen aber bereits jetzt gestellt werden.
Derzeit rittern vor allem fossile Unternehmen und auf europäischer Ebene auch die Nuklearenergie um ihre Claims auf diesem Sektor. Eine Strategie wird sich also auch auf die Sicherstellung der notwendigen Klimaschutzbedingungen auf europäischer Ebene stützen müssen. Klar ist, dass mit Wasserstoff alleine weder eine nachhaltige Wirtschaftspolitik noch Klimaschutz stattfindet. Die angesprochene Goldgräberstimmung lenkt davon ab, dass wir erneuerbare Energien massiv ausbauen und den Verbrauch fossiler Energie radikal senken müssen, um selbst die bei fokussiertem Einsatz notwendige Energie bereitstellen zu können. Das heißt auch, dass dieser Baustein als Teil der Lösung von morgen zwar heute schon angegangen werden muss, dass er aber selbst bei großen Versprechen nicht die alleinige Lösung, unter Umstände auch nicht der größte Baustein, sein wird.