Wasserstoff macht mobil
Wasserstoff hat als Antriebsstoff in den vergangenen Jahrzehnten eine abwechslungsreiche Geschichte: Er wurde als Lösung aller Dinge gehandelt, verschwand wieder unter der Wahrnehmungsschwelle, nur um wieder als Lösung aller Mobilitätsprobleme hervorgezogen zu werden. Für eine beständige Entwicklung der Wasserstoff-Antriebstechnologie ist dies nicht optimal, so Experten. Sie sehen das energiereiche Element als probaten Antriebsstoff für gewisse Bereiche von Langstrecken-Pkw-Fahrten bis Güterschwerverkehr, vor allem aber als sehr guten Energiespeicher auch in der Mobilität.
Es gibt zwei Möglichkeiten, Wasserstoff für motorisierten Vortrieb zu nützen: Man kann ihn in Brennstoffzellen verstromen oder in Verbrennungsmotoren verwenden. Aktuell werden meist Brennstoffzellenfahrzeuge gemeint, wenn man von Wasserstoffmobilität spricht.
Bei Autos kommen sogenannte "Wasserstoff-Sauerstoff-Brennstoffzellen" zur Anwendung. Dort wird Wasserstoff mit dem Oxidationsmittel Sauerstoff zusammengeführt, die beiden reagieren miteinander zu Wasser. Die dabei entstehende chemische Reaktionsenergie wird in elektrischen Strom umgewandelt, der einen Elektromotor antreibt, welcher wiederum die Räder bewegt.
"Man muss diese Wasserstofftechnologie zur Elektromobilität zählen, weil vom elektrochemischen Vorgang ist kein großer Unterschied zwischen einer Batterie und einer Brennstoffzelle", erklärt Alexander Trattner vom Hydrogen Center Austria (HyCentA) der Technischen Universität Graz: "Eine Brennstoffzelle wandelt die chemische Energie des Kraftstoffs durch Zufuhr des Oxidationsmittel in Strom, eine Batterie macht genau das gleiche, nur dass dort Oxidations- und Reduktionsmittel schon vorher gebunden sind." Als Antriebsmittel bringe Wasserstoff demnach die Vorteile der Elektromobilität mit sich: Sie ist emissionsfrei und geräuschlos. Im Gegensatz zu batterieelektrischen Fahrzeugen (BEVs) sind Brennstoffzellenautos sehr schnell betankt und haben eine hohe Reichweite, dafür ist ihr Wirkungsgrad geringer.
Dieser Unterschied ist nicht unerheblich, rechnet Manfred Schrödl vom Institut für Energiesysteme und Elektrische Antriebe der Technischen Universität (TU) Wien vor: Um Wasserstoff herzustellen und ihn komprimiert in Tanks zu füllen, verbraucht man 30 Prozent der ursprünglichen Energie für die Elektrolyse und weitere zehn Prozent für die Verdichtung. Die Brennstoffzelle arbeitet mit einem Wirkungsgrad von 50 Prozent, der Elektromotor lässt zehn Prozent ungenutzt. Von 100 Kilowattstunden kommen bei Brennstoffzellenautos demnach knapp 30 am Rad an.
Bei Elektroautos mit Akku gibt es 15 Prozent Verlust beim Laden, ebenso viel wird in der Fahrzeugbatterie beim Speichern verloren, und im Motor nochmals zehn Prozent. Es kommen etwa 65 Kilowattstunden am Rad an. Dies ist gut doppelt so viel wie bei Wasserstoffautos, man braucht demnach mit Batterie-elektrischen Autos weniger als die Hälfte des Stroms pro Kilometer. Die Technik in Brennstoffzellenautos ist auch komplizierter und deswegen teurer als in Batterieautos, so der Experte gegenüber APA-Science: "Es hat zusätzlich eben jene Brennstoffzelle und einen Hochdruck-Tank und kommt auch nicht ohne leistungsfähige Batterie aus, die die Brennstoffzelle beim stärkeren Beschleunigen und beim Rekuperieren (Anm.: Energie technisch Rückgewinnen), etwa beim Bremsen oder Bergabfahren, unterstützt."
Brennstoffzellen dürfen noch reifen
Noch ist die Brennstoffzellentechnik nicht so ausgereift wie andere Antriebstechnologien, doch sie ist auf der Überholspur, meint Viktor Hacker vom Institut für Chemische Verfahrenstechnik und Umwelttechnik der TU Graz: "Es haben immerhin schon drei Hersteller aus dem Fernen Osten geschafft, sie kommerziell zu vertreiben." Dies sei ein großer Schritt gewesen, der in der Öffentlichkeit gar nicht so wirklich wahrgenommen wurde. Die Sicherheitstechnik sei ausgereift. "Die Lebensdauer von Brennstoffzellen ist noch ausbaufähig, aber zumindest schon hoch genug, dass man sie Kunden zumuten kann", sagte er: "Dafür hat sie großes Potenzial und wird in Zukunft den anderen Technologien weit überlegen sein." Momentan sei sie immerhin mit den anderen vergleichbar.
Warum sie trotzdem den Durchbruch nicht so recht schaffen will, liegt unter anderem am hohen Preis, der bei keinem der Wasserstoffautos unter 60.000 Euro liegt. Der ist wiederum in der fast händischen Fertigung begründet. "Wenn man ein Diesel-Fahrzeug ebenso in Manufaktur bauen würden, wäre es genauso teuer", erklärte Trattner. Demnach bedarf es laut Experten Investitionen im Milliardenbereich, die irgendjemand tätigen muss, damit eine Massenfertigung möglich wird. Bei diesen Preisen wird die Nachfrage jedenfalls nicht von sich so schnell steigen.
Hennen und Eier
Beim Preis gibt es also ein Henne-Ei-Problem, das gilt aber ebenso für die Tankstelleninfrastruktur. In Österreich gibt es gerade einmal fünf Wasserstofftankstellen für Pkws. Brennstoffzellenautomobilität ist hierzulande demnach äußerst unpraktisch und ineffizient, wenn man nicht gerade neben einer davon sein Domizil hat. Für die Eigentümer teurer Wasserstofftankstellen ist es hingegen nicht kommerziell vertretbar, sie für die laut Statistik Austria zugelassenen 42 Brennstoffzellenautos zu betreiben. Sie tun es aus anderen Gründen.
"Das ist kein Markt, und neun Euro pro Kilogramm Wasserstoff sind ein Kunstpreis, mit dem sich derzeit keine Tankstelle rentiert", sagt Bernhard Geringer vom Institut für Fahrzeugantriebe und Automobiltechnik der TU Wien. Für Benzin und Diesel sei die Infrastruktur über hundert Jahre lang gewachsen, bei Wasserstoff haben aus Klimaschutzgründen nicht die Zeit, so lange zu warten: "Man muss das Ganze so schnell wie möglich hochfahren", meint er.
Wasserstoff für Busse, Lieferwagen und Schwerverkehr
Beim öffentlichen Verkehr, in Speditionen und auf Zugstrecken dürfte der Durchbruch von Wasserstoff einfacher werden. Mit einer Tankstelle könnte man eine ganze Busflotte bzw. die Fahrzeuge eines Logistikzentrums versorgen oder sie an einem Knotenpunkt für Zuglinien aufstellen. Generell ist die Wasserstofftechnologie ohnehin eher in diesen Bereichen zielführend, so die Experten. Durch den hohen Wirkungsgrad sind Batterie-elektrische Fahrzeuge bei allen kleinen mobilen Geräten, vom Rasenmäher bis zum Mittelklasse-Pkw wohl überlegen. "Der Wettlauf scheint nun entschieden zu sein, und Elektroautos erobern die Märkte. Jedes Jahr werden die Verkaufserwartungen übertroffen. Es scheint sehr unwahrscheinlich, dass das Brennstoffzellenauto jemals eine wirkliche Alternative zum Batterieauto darstellen wird", erklärt Jan Rosenow vom Regulatory Assistance Project (RAP) in Oxford (GB) in seinem Gastkommentar.
Bei längeren Strecken und schwereren Fahrzeugen spielen aber wiederum die Brennstoffzellen und Wasserstoff als Energiespeicher ihre Vorteile aus: Der etwas schlechtere Wirkungsgrad wird durch Gewichts- und Reichweitenvorteile wettgemacht, umso größer die Vehikel und umso länger die Strecken sind. Außerdem ist das Tanken, das bei Batterieautos immer noch recht zeitaufwändig ist, in kürzester Zeit erledigt. Bei den Bussen werden zum Beispiel schon in vielen Städten Pilotversuche durchgeführt. "Es gibt so viele Tests, dass man gar keine Busse mehr kriegt. Wasserstoffbusse sind schlichtwegs ausverkauft", sagt Theresia Vogel vom Klima- und Energiefonds in Wien.
"Aus heutiger Sicht zeichnet es sich technologisch also ab, dass für kleinere Pkw die Batterie geeigneter ist, für größere Pkw, Busse, Lkws und Züge eher die Brennstoffzelle", meint Trattner. Es gäbe aber noch einen recht breiten Zwischenbereich, wo es aus technologischer Sicht unklar ist, welche Speicher- und Antriebsart Vorteile bringt. Dieser könnte sich durch unterschiedliche Fortschritte in den besagten Technologien auch noch verschieben. "Nichtzuletzt hat auch der Kunde ein Mitspracherecht und die Nachfrage bestimmt, welche Technologien gebaut werden", so der Forscher.
Bei sehr schweren Transportmitteln und auf langen Strecken, wie bei Flugzeugen und Schiffen, kommt dann wiederum die Brennstoffzellentechnologie an ihre Grenzen, erklärt Geringer gegenüber APA-Science. Dort könnten als klimaschonende Alternative sogenannte E-Fuels verwendet werden, das sind aus nachhaltigen Rohstoffen produzierte flüssige und gasförmige Brennstoffe. Zu ihrer Herstellung verwendet man Wasserstoff als Zwischenprodukt, solche E-Fuels kann man in Reinform verwenden oder auch schlichtweg beimischen. "Generell ist eine der Hauptbotschaften bei der Frage von nachhaltiger Mobilität, dass es nicht eine Patentlösung gibt, sondern man in unterschiedlichen Bereichen verschiedene Technologien und Speicherstoffe einsetzen muss", sagt Geringer.
Wasserstoffverbrenner als Alternative
Selbst bei der Nutzung von Wasserstoff für Vortrieb gibt es eine Alternative, die man nur allzu selten bedenkt: ihn in Verbrennungsmotoren zu verbrennen. Wenn er aus erneuerbaren Quellen hergestellt ist (siehe "Wasserstoff ist noch auf keinem grünen Ast"), können Wasserstoff-Verbrennungsmotoren damit nachhaltig und klimaschonend betrieben werden. Vor einigen Jahren wurden solche Autos schon etwa von der Firma BMW gebaut, sie verschwanden aber wieder in der Versenkung. Ein Grund war damals die gänzlich fehlende Infrastruktur.
"Wasserstoffmotoren hatten zudem das Image, dass sie leistungsmäßig nicht konkurrenzfähig sind, das hat sich aber mittlerweile geändert", erklärt Helmut Eichlseder vom Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Thermodynamik der TU Graz: "Mit der Entwicklung der vergangenen Jahre ist es gelungen, sie auf ein vergleichbar hohes Niveau wie Ottomotoren zu bringen." Im Gegensatz zu diesen scheiden sie aber keine Treibhausgase aus. "Die einzig relevante Schadstoffkomponente sind Stickoxide, die bei jeder Verbrennung über 2000 Grad Kelvin entstehen", so der Experte. Mit einer in Graz entwickelten Verfahrenstechnik könnte man das Niveau extrem niedrig halten, und zwar im Bereich von wenigen Millionstel Molekülen (Parts per Million, ppm) Schadstoffkonzentration in den Abgasen. Dies liegt unter der Schwelle für Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt. Wasserstoff-Verbrennungsmotoren gelten daher als absolut unproblematisch (Zero Impact).
Sie sollten Brennstoffzellen- und Batteriebetriebene Fahrzeuge freilich nicht ersetzen, sondern ergänzen, erklärt Eichlseder. Dazu brächten sie einige Vorteile mit: "Es ist eine relativ kostengünstige Technologie, die ausgereift und rasch umsetzbar ist", sagte der Experte. Man könnte die Wertschöpfungsketten lokal in Europa aufbauen: "Das ist eine Technologie, wo wir in Europa gegenüber Asien wirklich im Moment die Nase vorne haben, und diesen Vorsprung sollten wir nicht so einfach verschenken", meint er. Während Brennstoffzellen aufwändig gekühlt werden müssen, kann übermäßige Hitze bei den Verbrennungsmotoren in großem Maß über den Auspuff entweichen. Der Wartungsbedarf ist gering.
"Solche Motoren können überall dort eine Rolle spielen, wo in Nutzfahrzeugen Robustheit, Ausgereiftheit und eine lange Lebensdauer gefragt ist", erklärte er. Das wäre bei Baumaschinen in harter Umgebung bis zu Schiffantrieben denkbar. Außerdem stellen sie nicht so hohe Ansprüche an die Reinheit des Wasserstoffs, man könnte ihn sogar mit Wasserstoff-Mischgasen betreiben. Wenn bei der Wasserstoffherstellung wiederum die Hochreinigung entfällt, ist er günstiger. Freilich arbeiten Brennstoffzellen hingegen völlig abgasfrei, und weil sie keine Wärmekraftmaschinen sind, können sie zumindest theoretisch einen viel höheren Wirkungsgrad haben, als Verbrenner, erläutert Eichlseder. Das zeige wieder einmal, dass man in der Mobilitätsfrage flexibel und technologie-offen sein sollte: "Es hängt tatsächlich immer und überall von der Anwendung ab, was die geschickteste Lösung für einen CO2-neutralen Antrieb ist", sagt er.
Von Jochen Stadler / APA-Science