Mehr Wasserstoff in die Industrie
Wasserstoff findet zusehends mehr Zuspruch in der Industrie. Die Entwicklungen für die Herstellung und Anwendung laufen auf Hochtouren. Viel Geld soll dafür im nächsten Jahrzehnt in die Hand genommen werden. In Österreich fokussiert man auf grünen Wasserstoff. Das soll auch in einer nationalen Strategie festgelegt werden. Die lässt noch auf sich warten, soll aber bald kommen, hofft man zumindest in Industrie- und Wissenschaftskreisen.
Grüner Wasserstoff kann vor allem zur Dekarbonisierung der Industrie einen Beitrag leisten, was besonders für die energieintensiven Branchen wie Stahl, Papier-, Zement- und Chemie von Bedeutung ist. Die Stahlindustrie alleine ist für rund 10 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen - regional unterschiedlich verteilt - verantwortlich.
Aber auch als Basisstoff ist Wasserstoff in der chemischen Industrie essenziell. Der größte Teil der rund 150.00 Tonnen grauer Wasserstoff (wird aus Erdgas hergestellt), die derzeit in Österreich zum Einsatz kommen, geht daher in industrielle Anwendungen, erklärt Horst Steinmüller, Geschäftsführer und Obmann der Wasserstoff-Vorzeigeregion WIVA P&G, die sich mit der Weiterentwicklung von grünem Wasserstoff auseinandersetzt. Die Hauptanwender sind einerseits die OMV am Standort Schwechat/NÖ, die daraus hauptsächlich höherwertige Treibstoffe produziert, andererseits mit fast 100.000 Tonnen Borealis in Linz (Ammoniakproduktion).
Grüner Stahl
"Die Industrie ist heute das Haupteinsatzgebiet von Wasserstoff", unterstreicht auch Alexander Trattner, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter vom Hydrogen Center Austria (HyCentA): "Chemie und Raffinerie, Haber-Bosch-Verfahren, Hydrofining, Hydrocracking, Halbleiterindustrie, Kältetechnik - zahlreiche Industriebereiche brauchen Wasserstoff als Ausgangsstoff für chemische Prozesse, oft aber auch für Hochtemperaturprozesse."
In der Stahlherstellung ist Wasserstoff - vor allem grüner - ein wichtiges Thema, weil sich damit große Mengen CO2 einsparen lassen. Das ist eine der großen Herausforderungen für die Industrie und somit die Wissenschaft, da fossiler durch erneuerbaren Wasserstoff ersetzt werden muss. Haupthindernis sind die Kosten. Grüner Wasserstoff ist immer noch drei mal so teuer wie fossiler. Trattner sieht sich hier als Wissenschafter gefordert: "Dafür sind wir da, damit wir die entsprechenden Technologien weiter erforschen und kostengünstiger gestalten."
Andererseits würden jedoch die Elektrolyse-Kosten kontinuierlich sinken, bestätigt Alexander Peschl, Project Development Siemens Energy Austria, gegenüber APA-Science. Langfristig werde man mit großtechnischer grüner PEM-Elektrolyse in den Bereich von drei Euro pro Kilogramm grüner Wasserstoff kommen - derzeit sind es sechs Euro/Kilogramm, so Trattner. Das sei realistisch, werde aber noch zehn Jahre oder mehr dauern. Da braucht es laut den Experten politisches Commitment und adäquate Steuerinstrumente, weil solange CO2 keinen Preis habe, solange die Umweltfolgeschäden im fossilen Energieverbrauch nicht berücksichtigt würden, "solange werden Erneuerbare leider die teurere Option sein. Langfristig sind sie definitiv die kostengünstigeren", meint Trattner.
H2FUTURE
Die Stahlindustrie geht also im Moment europaweit sehr ambitioniert an das Thema Wasserstoff heran - hierzulande etwa die voestalpine. Im Projekt "H2FUTURE" betreibt der österreichische Stahlhersteller am Standort Linz gemeinsam mit dem Verbund und Siemens eine PEM-Elektrolyseanlage mit 6 MW Anschlussleistung. "Dabei sollte unter anderen die Skalierbarkeit getestet werden", so Peschl von Siemens. Die Anlage ist derzeit weltweit die Größte ihrer Art - größere sind aber bereits in Planung. Dabei sollte unter anderem auch getestet werden, wie es um die Netztauglichkeit zum Ausgleich von Schwankungen ausschaue, was neben der voestalpine auch besondere Bedeutung für die Verbund-Netztochter APG hat.
Das Projekt läuft gut, hört man. Noch gibt es aber einige Fragen zu klären, erzählt Hermann Wolfmeir, Projektleiter H2FUTURE bei der voestalpine: "Nach über 2.000 Betriebsstunden fragt man sich zum Beispiel: 'Wie schaut das aus, wenn man es viel länger betreibt?' Da muss man am Ende des Tages wissen: 'Wie lange halten diese Module? Wie hoch sind die Kosten für die Instandhaltung?' Das kann man erst im Laufe der Zeit beantworten. Elektrolysesysteme werden ja nicht besser mit der Zeit. Die Effizienz sinkt und es müssen immer höhere Spannungen aufgewendet werden, damit sie die gleiche Menge Wasserstoff erzeugen. Wie schnell das geht, ist eine ganz entscheidende Frage. Darauf haben wir noch keine Antwort. Aber das ist das Spannende für die hochskalierte Nutzung. Die Anlagen sollen künftig ja 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche laufen, ohne dass man sich damit intensiv beschäftigen muss."
Die langfristige Dekarbonisierungsstrategie der voestalpine sieht jedenfalls vor, den Anteil von grünem Wasserstoff und erneuerbarer Energie in der Stahlerzeugung schrittweise zu steigern, um bis 2050 die CO2-Emissionen um mehr als 80 Prozent reduzieren zu können.
Wasserstoffplasma
Neben dem H2FUTURE-Projekt forscht die voestalpine auch an weiteren Technologien, die auf dem Einsatz von grünem Wasserstoff basieren. Mit einem Projekt am Standort Donawitz (SuSteel) will der Konzern in Donawitz etwa einen komplett neuen Stahlherstellungs-Prozess via Wasserstoffplasma entwickeln. Grundsätzlich konnte die Machbarkeit der Wasserstoffreduktion im Plasma gezeigt werden. Nun geht es laut den Projektpartnern darum, die Anlagen weiter zu entwickeln. "Die Stahlindustrie wird einer der grünen Wasserstoffpioniere sein, da sie ein Reduktionsmittel brauchen, das Kohlenstoff-frei ist", ist sich Steinmüller sicher.
Man könne auch aus Erdgas Wasserstoff ohne Kohlenstoffbelastung herstellen, verweist Steinmüller auf die Carbon Capture- and Storage-Technologie (CCS). Eine weitere klimafreundliche Methode wäre die Erdgas-Pyrolyse, wobei der Kohlenstoff fest abgeschieden wird. Die Technologie ist noch recht jung und bewegt sich erst auf dem "technology readiness level" 3 (Skala bis 9). Besonderes Interesse daran würden große Gaskonzerne wie Gazprom haben, die weiter ihr Gas an den Mann bringen wollen. Wie schnell die Technologie auf ein höheres Niveau gebracht wird, ist natürlich auch eine Frage der Forschungskapazitäten und wenig überraschend des Geldes. Steinmüller meint, es könnte in 20, 30 Jahren ein derartiges Verfahren geben.
Preisfrage
Österreich stellt rein auf grünem Wasserstoff ab, was zu einer weitgehenden Dekarbonisierung der Industrie, der Mobilität und der Haushalten beitragen soll. Derzeit werden je nach Berechnungsart 90 bis 99 Prozent des weltweit produzierten Wasserstoffs aber durch den Einsatz von fossilem (grau) oder atomarem Strom (pink) gewonnen. Da stellt sich die Frage, woher soll der grüne Wasserstoff zu welchem Preis kommen? Herstellungskosten von grünem zu konventionellem Wasserstoff liegen - wie erwähnt - etwa beim Faktor 3. Das könnte sich noch bis 2030 angeglichen haben, meinen viele Experten. Außerdem werden die Preise wohl durch hochskalierte Elektrolyseanlagen sinken. Einen Stolperstein stellt die Menge dar.
Der Wille ist prinzipiell da. Bei der voestalpine meint man dazu: "Grundvoraussetzung für die Dekarbonisierung der Stahlproduktion ist, dass Strom aus erneuerbarer Energie in ausreichender Menge und zu wirtschaftlich darstellbaren Preisen und leistungsfähige Netze zur Verfügung stehen." Das ist aber viel. Das Umweltministerium (BMK) rechnet vor: "Würde man den derzeitigen grauen Wasserstoffverbrauch durch grünen ersetzen und zusätzlich die voestalpine dekarbonisieren bräuchte man satte 27 TWh Strom."
Laut Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber wiederum wären allein für die Hälfte des Wasserstoff-Bedarfs 30 bis 40 TWh an zusätzlichem Strom bis 2030 nötig. Letztlich werde Österreich aber wohl nur ein Viertel jener 1,2 Mio. Tonnen Wasserstoff pro Jahr selbst produzieren können, die für das Temperatur-Absenkungsziel von 1,5 Grad erforderlich seien. "Das heißt, man wird einen großen Teil des Wasserstoffs, der mit Hilfe von erneuerbarem Strom gewonnen wird, importieren müssen." Kommen könnte dieser grüne Wasserstoff laut Anzengruber aus Skandinavien - etwa von Offshore-Windkraft, die nur dafür errichtet werde - oder aus Nordafrika bzw. Osteuropa (Rumänien, Bulgarien, Ukraine).
Ähnlich sieht das der Siemens-Vertreter: "Es muss langfristig gehandelt werden, wird man doch weder die voestalpine noch das Energiesystem von heute auf morgen dekarbonisieren", so Peschl. Es müsse intensiv über alternative Wege nachgedacht werden. Vom europäischen Dachverband Hydrogen Europe wird laut Peschl eine Wasserstoff-Erzeugung in der Ukraine oder auch in Nordafrika angedacht. Dort würden Potenziale bestehen, entsprechende erneuerbare Anlagen aufzubauen. Conclusio für Peschl ist, ohne Importe von grünem Wasserstoff wird langfristig keine Dekarbonisierung möglich sein. Dabei sollte man andenken, wie Projekte außerhalb der EU mit in das Fördersystem der Union eingebaut werden könnten.
CO2-Bepreisung
Bei der Preisfrage kommt CO2 ins Spiel. Die künftige Frage bezüglich das Faktors CO2-Bepreisung ist für Steinmüller, ob ein "level playing field" erzeugt werden kann. Dafür müsse auch über "border adjustment" nachgedacht werden, verweist er auf den deutschen Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der kürzlich meinte: "Ich glaube, dass die Idee eines Mechanismus des 'border adjustment für Kohlenstoffe' (...) einen wichtigen Beitrag dazu leisten kann, dass umweltfreundliche Produkte aus Europa im Vergleich zu Waren aus Ländern mit niedrigeren Klimaschutz- und Umweltstandards nicht benachteiligt werden."
Sprich, an den Grenzen sollen Steuern für wenig umweltfreundliche Produkte eingehoben werden. Der europäische Stahlverband aber auch die Zementhersteller können sich laut Steinmüller Derartiges vorstellen. Das widerspreche auch nicht dem Gebot des freien Warenhandels. Steinmüller verweist darauf, dass auch die WTO solch Vorgehen (green measures) im Umweltbereich zulässig findet. Peschl ergänzt: "Der ETS-Markt (Emissions Trading System) müsste endlich zu normalen Marktpreisen funktionieren. Wenn sich das Preisniveau auf dem derzeitigen Stand bewegt - durch Corona gab es eine zusätzliche Abwärtsbewegung -, greift das System nicht."
Österreichs Wasserstoffstrategie
Was ist also mit der Wasserstoffstrategie? Die wird kommen, hört man aus dem BMK. Gleichzeitig heißt es, dass man nicht alle Wünsche erfüllen wird können. Die Gießkanne bringe niemanden etwas, man wolle sich auf die Nischen konzentrieren, in denen Österreich stark sei. "Das ist auch gut so", meinen sowohl Steinmüller als auch Peschl: "Will man mit einer österreichischen Wasserstoffstrategie heimische Wertschöpfung heben, dann wird vieles klarerweise in Nischen passieren." Für Steinmüller steht fest, dass was die Wasserstoffforschung und -entwicklung betrifft, nur europaweit zu lösen sein wird: "In der Wasserstoff-Vorzeigeregion (WIVA) kooperieren wir viel mit Deutschland, Frankreich usw. und versuchen das eine oder andere in Österreich umzusetzen." Steinmüller meint auch, dass es in einem ersten Schritt eine Roadmap geben könnte. Für eine Strategie brauche es schließlich auch entsprechende legistische Maßnahmen, verweist er auf ein Positionspapier der Vorzeigeregion zu regulatorischen Maßnahmen, die zu setzen wären.
Eine österreichische Wasserstoffstrategie - besonders die Industrie betreffend - mache nur Sinn, wenn sie in ein europäisches System eingebettet ist. Ein nationaler Alleingang bringe nichts, die Mehrkosten, die durch die Umstellung auf Wasserstoff in der heimischen Industrie anfallen würden, könnte diese niemals am internationalen Markt unterbringen, erklärt der WIVA P&G-Geschäftsführer. Innerhalb der EU sei zudem bekanntlich kein "Grenzausgleich" möglich.
EU-weite Zusammenarbeit notwendig
Um dem Wasserstoff international zum Durchbruch zu verhelfen, brauche es also EU-weite Zusammenarbeit. Dafür gibt es u.a. das "Fuel Cells and Hydrogen Joint Undertaking" (FCH JU), die gemeinsame Technologieinitiative für Brennstoffzellen und Wasserstoff, die unter dem EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation "Horizon 2020" etabliert wurde. Dort werden Gelder ausgeschüttet, die Wasserstoff-Technologien voranbringen sollen. So wurde etwa die Pilotanlage bei der voestalpine von der FCH JU gefördert. "Es ist wichtig, dass dieser Topf auch von österreichischen Unternehmen und Institutionen für Zusatzfinanzierungen abgezapft wird. Dabei gehe es um richtig viel Geld", sagt Steinmüller.
Peschl hält es für wichtig, dass Österreich eine ambitionierte Wasserstoff-Strategie definiert und formuliert, verweist er wie Steinmüller auf den internationalen Ansatz. Dabei müssten die europäischen Rahmenbedingungen ständig im Auge behalten werden. Das passiere aber schon, versichert der Siemens-Vertreter. Als Beispiel nennt er die vom BMK kürzlich veröffentlichte Hydrogen-Förderschiene (IPCEI), die auf einem EU-weiten Förderprojekt beruht, wo die Nationalstaaten eigene Geldmittel aufbringen müssen.
In den Fördertöpfen der Wasserstoffstrategien liegt also viel Geld. Deutschland zum Beispiel wendet bis 2030 jährlich 700 Millionen Euro plus 200 Millionen für internationale Partnerschaften auf. In einer ähnlichen Größenordnung bewegt sich der französische Plan, der aber auch auf anders gefärbte Wasserstoffe (Atomstrom) zielt. Die deutschen Zahlen typisch auf Österreich heruntergebrochen wären das dann 70 Millionen im Jahr. Kanzler Sebastian Kurz hat dazu 2019 von 50 Millionen Euro/Jahr für die heimische Wasserstoffforschung und -entwicklung gesprochen. "Da sind wir dann ja nicht so weit weg von Deutschland, wenn man noch die angesprochene Netzbefreiung dazu nimmt", so Steinmüller.
Von Hermann Mörwald / APA-Science