Vom Traum zur Realität: Der lange Weg zur Wunschschule
Wenn Robert Parma auf dem Sportplatz steht und den Blick über "seine" Schule - die AHS Wien West - gleiten lässt, wirkt er ausgesprochen zufrieden. 18 Jahre lang verfolgte er diesen Plan, jetzt scheint es geschafft. Ein top-modernes Gebäude, ausreichend Ressourcen und handverlesene Lehrkräfte - darüber kann nicht jeder Direktor verfügen.
Geboren wurde das Projekt aus der Not. Das Gymnasium Maroltingergasse im 16. Wiener Gemeindebezirk, an dem Parma 25 Jahre unterrichtete, war quasi doppelbelegt: Vorgesehen für 28 Klassen wurden letztendlich 52 untergebracht. "Die Schüler haben sich eine Klasse geteilt und das Gebäude wurde viel schneller abgewohnt. Teilweise wollten die Kinder nicht mehr aufs Klo gehen, weil das schon so grauslich war", erzählt Parma. Das half natürlich bei der Überzeugungsarbeit, dass ein neuer Standort notwendig sei. Ein schwierigeres Thema war die Standort-Suche: "Das hat ungefähr zehn Jahre gedauert. Wenn man dann etwas halbwegs Adäquates findet, geht es ums Geld."
Nachdem auch das im positiven Sinne geklärt war, hat die Bundesimmobiliengesellschaft einen Architektenwettbewerb ausgeschrieben. "Dass wir eingeladen waren mitzudenken, hat uns sehr gefreut und deshalb ist die Schule auch besonders schön geworden", ist der Direktor überzeugt. Im September 2018 wurde die AHS Wien West auf dem Gelände der ehemaligen Biedermann-Huth-Raschke-Kaserne eröffnet, "ein erhebendes Gefühl". Die Schule wird als Realgymnasium geführt und bietet neben Regelklassen sowohl in der Unter- als auch in der Oberstufe einen Zweig für Leistungssportler an. Der wurde bereits in der Maroltingergasse entwickelt, von Parma geleitet und gleich an den neuen Standort mitgenommen. Insgesamt sind es 14 Klassen, jeweils eine in der Unterstufe und zwei in der Oberstufe, die ein Jahr länger dauert, weil am Vormittag das Training durch die Fachverbände stattfindet.
"Dass mit den Leistungssportlern auch 40 bis 45 Lehrer mitgewechselt sind, war natürlich ein Vorteil, weil ich genau gewusst habe, wer da mit mir mitgeht und wie das Team agiert", sagt Parma: "Die Schule ist sehr schön, aber entscheidend ist das Lehrer-Team und was im Unterricht gemacht wird." Was das Realgymnasium betrifft, ist man gerade mit der zweiten Klasse gestartet. "Da haben wir erstmals die Situation gehabt, dass zehn neue Lehrer dazukommen. Es gab sehr viele Anfragen. sodass wir uns die Lehrkräfte aussuchen konnten. Das ist natürlich ein Riesenvorteil, weil bei uns das Team zählt, nicht der klassische Einzelkämpfer, den es früher gegeben hat. Als ich noch Lehrer war, habe ich die Türe hinter mit zugemacht und es hat keinen interessiert, was ich da drinnen im Unterricht gemacht habe. Das ist jetzt völlig anders. Wir unterrichten extrem viel im Team und sind sehr gut ausgestattet, was die Ressourcen betrifft."
Schulversuch bringt mehr Ressourcen
Mit ein Grund dafür ist, dass in der Unterstufe nach dem Modell der Wiener Mittelschule unterrichtet wird. "Wir sind eine AHS, nehmen aber 20 Prozent nicht AHS-reife Kinder, die also beispielsweise einen Dreier in Deutsch oder Mathe in der Volksschule haben. Da wir dieses 20 Prozent-Modell als Schulversuch fahren, haben wir mehr Ressourcen bekommen, was sich als extrem positiv herausgestellt hat. Allein die Doppelbesetzung in Deutsch, Mathematik und Englisch bringt sehr viel", so der 56-Jährige. Zum Start des Schulversuchs vor zehn Jahren habe man nicht viele Schulen gefunden, die da mitmachen. "Die meisten AHS wollten mit der Mittelschule nichts zu tun haben. Da hat es großen Widerstand bei den Lehrern im AHS-Bereich gegeben. Dabei wäre das ein Ansatz, durch den man eine bessere Durchmischung erreicht", erklärt Parma.
Am ärmsten seien die Volksschullehrer, weil auf sie unglaublicher Druck ausgeübt werde, um die Kinder ins Gymnasium zu bekommen. "Dementsprechend muss man die Noten sehr mit Vorsicht genießen. Da gibt es Kinder, die kommen mit lauter Einsern und schaffen die erste Klasse bei uns nicht. Und es gibt Kinder, die nicht AHS-reif sind, die auf einmal einen guten Erfolg haben. Man erkennt auch relativ schnell, bei welcher Volksschule es eine gewisse Notenwahrheit gibt und wo nicht. Das ist aber kein Vorwurf an die Volksschullehrer, weil ich mir vorstellen kann, was sich da abspielt." Das Problem sei, dass dann total überforderte Kinder in den Gymnasien sitzen würden. "Einzelne Defizite kann man mit Fördermaßnahmen leicht in den Griff kriegen. Aber manche bekommen in allen Fächern präsentiert, dass sie hier nicht geeignet sind. Das muss ganz schrecklich sein. Da nehmen wir dann schnell Kontakt mit den Eltern auf."
"Alle wollen unbedingt in die AHS"
Schwierigkeiten gebe es vor allem in den Ballungszentren. "Alle wollen unbedingt in die AHS. Ich bin ratlos, wo man da ansetzen könnte. Wir sind aber ein Beispiel, dass das mit 20 Prozent nicht AHS-reifen Kindern sehr gut funktionieren kann. Eine gewisse Arbeitshaltung und unsere Unterstützung vorausgesetzt, schaffen auch Kinder aus bildungsferneren Familien das. Wenn aber in einer Klasse 98 Prozent sitzen, die extreme Schwierigkeiten haben, was soll da rauskommen? Das hat nichts mit der Sprache Deutsch zu tun, es geht auch um die Einstellung zum Lernen. Syrische Flüchtlingskinder kommen oft mit einem Dreier in Deutsch - logisch wenn sie die Sprache erst seit zwei Jahren lernen - sind dann aber extrem gut, weil die Eltern, auch wenn sie selbst nicht viel helfen können, da offensichtlich dahinter sind. Würden die in einer normalen Mittelschule ohne diese Durchmischung sitzen, würde das vielleicht anders aussehen", gibt Parma, der Lehramt Turnen und Geschichte studiert hat, zu bedenken.
Insgesamt sind die Anforderungen an die Schüler seiner Meinung nach deutlich gestiegen. Durch die Einführung der Zentralmatura im Jahr 2015 sei klar festgelegt worden, was mindestens verlangt werde. "Früher waren die Beispiele oft zu erraten, da hat es sogenannte Rettungsbeispiele gegeben. Manche haben das einfach auswendig gelernt und wollten es gar nicht verstehen. Die haben einen Vierer bekommen. Jetzt geht ohne ein gewisses Grundverständnis gar nichts mehr", so Parma. Außerdem habe sich die Rolle des Lehrers dadurch verändert: "Nicht der Lehrer verlangt viel, sondern man sagt: Schau, was bei der Zentralmatura gefordert wird. Ich kann dir zeigen, wie das geht, wenn du möchtest. Wir arbeiten gemeinsam darauf hin. Der Lehrer wird zum Coach. Und die Schüler nehmen das in den meisten Fällen an."
"Helikopter-Eltern" auf dem Vormarsch
Immer seltener nehmen hingegen die Eltern Tipps und Entscheidungen an. "Bei uns gibt es eine gute Durchmischung. Aber generell ist die Elternarbeit schwieriger geworden - Stichwort Helikopter-Eltern. Vor allem bei Kindern aus behütetem Haus ist es oft sehr mühsam. Die Eltern glauben, dass ihr Kind das einzige ist, das wir hier unterrichten, und können nicht begreifen, dass in einer Klasse 25 Kinder sitzen. Oder dass der Skikurs nicht nur auf ihr Kind ausgerichtet ist", moniert Parma. Besonders schwierig sei das bei disziplinären Angelegenheiten, "wenn der Lehrer sagt, das geht nicht, und sich dann die Eltern einmischen, gleich zum Direktor gehen und am liebsten den Bundespräsidenten anrufen würden, um ihn über die Ungerechtigkeiten des Lehrers in Kenntnis zu setzen. Da höre ich auch aus anderen Schulen, dass da gleich mal das Rechtsanwalts-Karterl am Tisch liegt."
Oft gehe es dabei um die Noten. "Glauben Eltern wirklich, dass der Lehrer absichtlich einen Fünfer hinschreibt? Aus rein egoistischen Gründen wird er das nicht machen. Er erspart sich die Nachprüfung, die Diskussion mit dem Kind und den Eltern. Viel lieber gibt er einen Vierer. Und wenn er sich für einen Fünfer entscheidet, dann hat er sich das gut überlegt. Das ist manchmal nicht sehr leicht, das den Eltern beizubringen. Was der Schüler kann, ist den Eltern oft wurscht. Hauptsache er hat einen Vierer. Wir haben auch schon Einzelfälle gehabt, wo das Kind gesagt hat, dass es eigentlich lieber einen Beruf lernen will. Das wurde aber nicht akzeptiert, weil alle in der Familie mindestens Matura haben. Das war schrecklich und wir haben versucht, da pädagogisch einzuwirken - auf die Eltern", erzählt der Direktor.
Was sich Parma für die Zukunft wünscht? Eine mittlere Managementebene an den Schulen, die klare Zuständigkeiten und eine Entlastung mit sich bringt. Und: "Dass man uns weiter in Ruhe arbeiten lässt."
Von Stefan Thaler / APA-Science