"Wozu etwas auswendig lernen, wenn Google eh alles weiß?"
"Am Anfang war es schon ein mulmiges Gefühl, in einer Klasse zu stehen", beschreibt Eva Wokatsch ihre ersten Erfahrungen als Lehrerin. Im Interview mit APA-Science sprach die Sportlehrerin über Herausforderungen im Lehrerdasein, Fehler im Bildungssystem und das Vorurteil, Turnlehrer würden weniger leisten als andere.
"Es ist nur learning by doing", erzählt Wokatsch, die an einem BORG im ersten Bezirk in Wien unterrichtet. Im Lehramtsstudium sei sie nicht darauf vorbereitet worden, vor einer Klasse zu stehen und sich Respekt verschaffen zu müssen. "Da hat die Ausbildung komplett versagt." Wokatsch hat Sport und Ernährungswissenschaften auf Lehramt studiert. Der pädagogische Aspekt sei zu ihrer Zeit definitiv zu kurz gekommen. "Damals waren die Turner die einzigen, die Praxis gehabt haben und keine Berührungsängste mit einer Klasse hatten. Das Glück, dass man beim Sportwissenschaften-Studium hat, ist, dass es im Gegensatz zu den anderen Fächern praxisorientiert ist. Dadurch haben wir uns immer von den anderen Lehramtsstudenten abgehoben: Wir waren mit der Ausbildung fertig und wussten, was uns erwartet. Hingegen in Ernährungslehre in eine Klasse zu gehen, hat viel mehr Überwindung bedeutet."
Es lebe der Sport
Die Unsicherheit von damals gehört schon lange der Vergangenheit an. Je älter man werde, desto gefestigter sei die Persönlichkeit und desto besser könnte man sich in einer Klasse durchsetzen, so Wokatsch, die mittlerweile auf rund 23 Jahre Unterrichtserfahrung zurückblicken kann. Ihr Karriereweg sei für sie bereits während ihrer eigenen Schulzeit klar gewesen. "Damals stand das Unterrichten allerdings noch im Hintergrund - ich wusste einfach, dass ich Sport studieren möchte." Untermauert wurde der Entschluss durch die Vorbildfunktion ihrer eigenen Sportlehrerin, die sie als außerordentlich cool empfand: "Sie ist immer mit dem Moped herumgedüst, das habe ich vom Fenster in meiner Klasse aus gesehen." Da sei ihr bewusst geworden, dass ein Bürojob für sie nicht infrage käme. Später kam die Familienfreundlichkeit für Wokatsch, die mittlerweile zwei Kinder im schulpflichtigen Alter hat und viele Jahre Teilzeit unterrichtete, als entscheidender Faktor dazu.
"Die oberste Prämisse war für mich in jungen Jahren die Möglichkeit, eine derart große Sportauswahl zu haben und bei den besten Sportlehrern lernen zu können", beschreibt Wokatsch, die von Ski- und Snowboardfahren über Klettern, Tanzen und Schwimmen bis hin zu Zehnkampf so ziemlich jede Sportart ausprobiert hat. In ihr Zweitfach Ernährungswissenschaften ist sie hingegen eher zufällig hineingerutscht. "Ich wollte Geografie studieren, wurde aber bei einem Stammtisch von meinen zwei Sitznachbarn überredet, umzuinskribieren. Von uns Dreien war ich dann allerdings die einzige, die es fertig studiert hat."
Schule damals und heute
Seither hat sich einiges geändert - nicht nur in der Ausbildung der Pädagogen, sondern auch in den Schulen. Das Aufgabengebiet werde immer dichter, so Wokatsch. Neben der Lehrtätigkeit müssten die Pädagogen immer mehr zusätzlichen Tätigkeiten nachkommen: "Die Bürokratie ist mittlerweile ein Wahnsinn, das killt wirklich sehr viel Unterrichtszeit."
Und auch für die Schüler sind neue Aufgaben dazugekommen. "Sie müssen flexibler sein und mehr leisten", spricht Wokatsch unter anderem die Vorwissenschaftlichen Arbeiten an, die im Rahmen der Zentralmatura Pflicht für einen Abschluss sind. "Das hat die Universität auf das Gymnasium abgewälzt. Früher war das die Aufgabe der Uni, heute muss es die Schule übernehmen."
Gesteigertes Konfliktpotenzial und veraltete Lehrpläne
Der Schulalltag stelle die Schüler vor neue Herausforderungen. Beispielsweise sei das Konfliktpotenzial gestiegen, erklärt Wokatsch, weil man Schüler aller Milieus in einer Klasse sitzen habe. "Wir sind eine Brennpunktschule. Wir haben in jeder Klasse Schüler aus ganz prekären Verhältnissen sitzen. Welche, die sich bemühen und lernen wollen - und jene, die es nicht wollen. Untereinander wird viel gestritten, weil viele kulturelle Unterschiede und Auffassungsunterschiede zusammenkommen."
Außerdem verbrächten sie und ihre Kollegen immer mehr Zeit damit, mit Schülern zu diskutieren. "Vieles, das von ihnen hinterfragt wird, ist aber berechtigt! Einiges von dem, was gelehrt wird, geht am Zeitgeist vorbei. In Zeiten des Internets bin ich überzeugt: Wozu etwas auswendig lernen, wenn Google eh alles weiß?", kritisiert sie die reine Wissensabfrage, die sich in den Lehrplänen immer noch wiederfinde und nicht mehr zeitgemäß sei.
Für all diese Probleme gebe es eine verhältnismäßig simple Lösung, ist sich Wokatsch sicher. Kleinere Klassen von 17, maximal 18 Schülern, das sei der Schlüssel. Dann sei jeder Lehrer fähig, eigene Ideen zu verwirklichen und den Unterricht produktiver zu gestalten. Die allgemeine Qualität des Unterrichts würde steigen. "Mehr Schüler, das geht einfach nicht. Die Aufmerksamkeit sinkt, der Unterricht leidet, die Lehrer leiden. Und letztendlich leiden die Schüler."
Das Klischee des faulen Turnlehrers
Dass man als Turnlehrer weniger leiste als andere Lehrer, weist sie entschieden von sich. "All jene, die das sagen und sich meinen Unterricht ansehen, gehen danach liebend gern wieder in ihre eigenen Klassen zurück." Das Klischee, dass man im Turnunterricht ohnehin das ganze Jahr über nur Ballspiele spiele, treffe auf ihren Unterricht nicht zu. Stattdessen gestalte sie ein wechselndes Sportangebot, wo für jeden etwas dabei ist. "Man muss vielfältig, dem Alter entsprechend und anspruchsvoll gestalten. Dadurch gibt es keinen Einheitsbrei, zumindest bei mir nicht."
Tatsächlich hätten schon oft Lehrerkollegen ihrem Sportunterricht beigewohnt oder in den großen Pausen, wo der Turnsaal von Wokatsch ebenfalls für Schüler zum Austoben geöffnet wird, zugesehen - und ihre Tätigkeit zu würdigen gelernt. "Der Lärm, der Stress, die Streitereien, all die Aggressionen, die da im Turnsaal frei werden, das geht an die Substanz. Es ist eine ganz andere Art der Belastung, die ständige Präsenz fordert."
Was sie an ihrer Tätigkeit als störend empfinde, seien die großen Löcher zwischen den Unterrichtseinheiten im Tagesverlauf, wenn beispielsweise eine Stunde auf den Morgen und eine auf den Nachmittag fällt. "Irgendwann marginalisiert sich die Vorbereitungszeit, die wird im Laufe der Jahre immer weniger." Und zwischen den Stunden bleibt dann "jede Menge Zeit zum Däumchendrehen."
Von Anna Riedler / APA-Science