"Es gibt keinen Mittelweg mehr"
Als die Niederösterreicherin Eva Lindenhofer nach der Matura zum Studieren nach Wien ging, wollte sie eigentlich Ernährungswissenschafterin werden. Der Plan ging nicht auf und sie schwenkte auf ein Lehramtsstudium in Linz um. Nach 17 Jahren als Hauptschul-Lehrerin in Neustadtl an der Donau (OÖ) und fünf Jahren Karenz wechselte sie an die Private Neue Mittelschule (PNMS) Amstetten, wo sie bis heute Deutsch, Geografie, Bewegung und Sport unterrichtet.
Im Interview mit APA-Science erzählt sie von ihrem Werdegang, was ihr am Lehrerjob gefällt und was nicht - und was sich in den insgesamt mehr als zwei Jahrzehnten ihrer Lehrtätigkeit am stärksten geändert hat.
APA-Science: Wie haben Sie sich für den Beruf als Lehrerin entschieden? War immer schon eine Leidenschaft dafür vorhanden?
Eva Lindenhofer: Eigentlich überhaupt nicht. Ich habe 1992 maturiert und wollte ursprünglich in Wien Ernährungswissenschaften studieren. Diese Studienrichtung hat es aber offiziell in Wien noch nicht gegeben, ich hätte mir das aus Biologie, Medizin, Chemie etc. selbst alles zusammenstoppeln müssen. Somit habe ich mir gedacht, mache ich halt einmal die Pädak (Pädagogische Akademie; heute: Pädagogische Hochschule; Anm.). Ich bin dann nach Linz gegangen und habe mich für Deutsch und Geografie entschieden. Das war grundsätzlich der richtige Weg, ich habe es eigentlich nicht bereut. Die Ernährungswissenschaften wären natürlich noch mehr in meine Richtung gegangen.
Sie sind jetzt seit 1992 Lehrerin, zuerst in Neustadtl, dann in Amstetten. Was hat sich in dieser ganzen Zeit geändert - was Lehrer, Schüler, aber auch die Eltern betrifft?
Generell fällt mir bei den Schülern auf, dass ihre Leistungsbereitschaft einfach nicht mehr ist, wie sie früher war. Freizeit und alles andere ist wichtiger. Sie wissen teilweise nicht mehr, dass Bildung wichtig und grundlegend ist, sie machen das halt irgendwie. Sie glauben, dass man nach vier Jahren Mittelschule dann ohne Anstrengung auch die Matura bekommt.
Auch die Elterngeneration hat sich gewandelt, das fällt mir auf. Das Bild ist zweigeteilt: Es gibt Eltern, denen es wichtig ist, dass die Kinder eine gute Bildung haben, dass sie Werte vermittelt bekommen und Eltern, denen das egal ist, die gar nichts machen für die Kinder. Es gibt keinen Mittelweg mehr.
Ist der Job für Sie dadurch schwieriger geworden?
Ja, natürlich. Weil ich mich als Lehrerin komplett anders vorbereiten muss, immer wieder eine Übungsphase habe und den Stoff immer wieder wiederholen muss, bis das wirklich sitzt. Vieles wird einfach wieder vergessen und die Schüler schauen sich den Stoff gar nicht an und wiederholen ihn nicht.
Ich habe selbst Kinder in der 4. Klasse Volksschule und in der ersten Klasse Gymnasium - ich weiß also, was gemacht wird. Wir machen in der 3. Klasse Mittelschule die österreichischen Bundesländer und Landeshauptstädte durch. Das ist ein Basiswissen, aber das sitzt einfach nicht. Wenn ich einen 13-Jährigen frage, sollte er das wissen. Man kann zwar im Smartphone wischen und nachschauen, aber ein gewisses Grundwissen muss ich haben.
Als Sie Lehramt studiert haben, welche Erwartungen hatten Sie an den Lehrerberuf?
Dass die Arbeit mit Kindern etwas Schönes ist und spannend und eine Entdeckungsreise. Wenn man sie mit 10 Jahren übergeben bekommt, was dann mit 14 ist, wie weit man sie gebracht hat - und später erfährt, was aus ihnen geworden ist. Da freut man sich schon. Das ist sicher eine der schönsten Sachen, wenn man mit Kindern arbeiten kann. Ich arbeite auch nach wie vor sehr gern mit Kindern, aber die Eltern sind anders geworden. Die glauben, sie müssen immer überall mitreden. Nachdem jeder einmal in die Schule gegangen ist, weiß 'man' halt alles besser.
Wie Sie sagen, jeder ist einmal in die Schule gegangen und hat bestimmte Vorstellungen vom Lehrerberuf. Gibt es da auch Klischees, die sich bei den Leuten halten und ärgert Sie das?
Natürlich! Wenn wir auf Sportwoche fahren oder auf Skikurs, dann heißt es, du hast einen schönen Urlaub und kommst braungebrannt zurück. Oder dass man zu Mittag um 1 Uhr heimgeht. Aber dass dann zuhause auch noch Arbeit wartet, das kann man sich nicht vorstellen. Die typischen Klischees kommen immer wieder, aber es kommt auch immer auf die Leute und ihre Bildung an. Es gibt aber auch solche, die sagen, ich beneide dich nicht um deinen Job.
Was ist das Besondere an Ihrer Schule, wie würden Sie sie in eigenen Worten beschreiben?
Erstens einmal, dass wir eine katholische Privatschule sind, wobei natürlich auch andere Religionen vertreten sind. Dass wir schon sehr wertorientiert sind und das Religiöse im Vordergrund steht, mit Schulmessen, Beten und Singen. Das gefällt mir ganz gut, wobei ich nicht regelmäßig in die Kirche gehe.
Wir versuchen wirklich, die Gemeinschaft zu leben. Ich sage manchmal, es ist eine große, schöne Familie. Man kennt sich einfach, auch die Eltern, man weiß, mit wem man es zu tun hat, das ist das Schöne. Es ist eigentlich eine Landschule in der Stadt. Manchmal ist es dadurch aber auch schwer, offen und ehrlich zu sagen, was man sich gerade so denkt.
Worin liegt für Sie der Unterschied, in einer Kleinstadt zu unterrichten, vielleicht im Gegensatz zu Wien?
Wahrscheinlich ist es der hohe Migrantenanteil in Wien. Wir haben vereinzelt schon auch Migrantenkinder, aber die sprechen gut Deutsch. Ganz vereinzelt hatten wir syrische Kinder, aber die lernen relativ rasch die Sprache, die wollen das.
Wie hat sich der Unterricht seit Ihrer eigenen Schulzeit verändert?
Wir haben noch Lehrstoff vermittelt bekommen - Buch auf und jetzt wird gelesen, so wie es geschrieben steht. Und das hat man eben gelernt. Heute habe ich schon auch ein Buch, aber ich muss alles dementsprechend aufbereiten, damit die Kinder das verstehen, mit den verschiedensten Anschauungsmaterialien - Kärtchen, Spielchen usw. Früher war es mehr oder weniger Frontalunterricht und heute muss man überlegen, welche Methode man einsetzt. Die Schulbücher haben sich natürlich auch sehr verändert. Sie sind teilweise schon sehr umfangreich. Trotzdem, nur mit einem Buch zu arbeiten, das geht einfach nicht.
Welche Rolle spielen digitale Lehr- und Hilfsmittel?
Wir haben überall in den Klassen einen Computer stehen und die Kinder dürfen das WLAN benutzen. Meine sind in der dritten Klasse. Da ist es mir wichtig, dass sie zum Beispiel im Wörterbuch nachschauen, wie man ein Wort schreibt. Das machen wir mit dem Handy. Da muss man den Kindern schon zeigen, wie sie schnell etwas finden, weil für sie ist das eher ein Spielzeug. Die können dafür andere Sachen.
Wie haben Sie in der ganzen Zeit die verschiedenen Schulreformen erlebt, die beschlossen wurden?
Nachdem ich am Land aufgewachsen bin und damals nicht ins Gymnasium gehen durfte, weil es von der Strecke her zu weit war, bin ich ein Leistungsgruppenkind gewesen. Das heißt, ich habe selber die Leistungsgruppen erlebt und sie dann auch unterrichtet. Dann ist die NMS eingeführt worden und es gibt nicht mehr den A- und B-Zug wie es früher war. Ich muss aber sagen, die Leistungsgruppen haben sich bewährt, warum verändert man das? Die NMS mit Teamteaching-Stunden hat nichts gebracht und ab nächstem Jahr soll dann wieder die Standardgruppe kommen mit der AHS-Gruppe, wo man wieder ein bisschen nach Leistung teilen darf. Warum hat man es nicht gleich gelassen?
Wenn Sie die Bildungspolitik steuern und durchsetzen dürften, was würden Sie im Schulwesen ändern?
Ich würde die Leistungsgruppen wieder einführen. Und das mit der Autonomie ist ein bisschen eine Alibisache. Wenn man sagt, jede Schule darf selbstständig entscheiden. Man sollte da wieder einheitlichere Richtlinien haben. Weil jeder Direktor hat seine eigenen Schwerpunkte und im Endeffekt hängt alles an einer Person und die anderen müssen es mittragen. Man kann es im Team besprechen, aber in Wahrheit gibt der Direktor die Linie vor.
Was gibt es sonst noch anzumerken zum Thema Schule, aus Ihrer persönlichen Sicht?
Ich werde nächstes Jahr 50 und bin eine der Jüngsten im Lehrkörper. Wir haben Pensionierungen, aber es ist generell so, dass jeder Lehrer schnauft. Das Unterrichten macht Spaß, aber das ganze Drumherum wird immer anstrengender. Mit 50 und darüber sagt jeder von uns, wir können uns nicht vorstellen, dass wir bis 65 unterrichten müssen. Es gibt Kollegen, die gehen in Teilzeit, aber die Teilzeit wird es nicht mehr geben. Wir müssen dann alle mehr oder weniger die volle Lehrverpflichtung erfüllen und wir alle wissen nicht, ob es mit 58 oder 59 einen Sinn hat zu unterrichten, vor allem auch die jungen Kinder. Das ist glaube ich das große Problem, da muss man sich etwas überlegen. Man sieht das auch in den Statistiken, ich kenne selber Kollegen, die ein Burn-out hatten. Es wird immer anstrengender. Aber das ist vielleicht heute in jedem Job so.
Man kann aber auch einen Mittelschullehrer nicht mit einem Lehrer vom Gymnasium vergleichen. Die fahren ihr Programm einfach durch, du kannst als Schüler lernen oder halt nicht - friss oder stirb. Wir haben doch irgendwo den Druck oder auch die Verantwortung, dass wirklich aus jedem Kind etwas wird und dass es eine Grundbildung erreicht. Wenn ein Kind im Gymnasium bei Mathe oder Latein nicht mitkommt, dann hat es quasi im Gymnasium nichts verloren. Und wenn bei mir in Deutsch ein Kind nicht Aufsatz schreiben kann, dann muss ich schauen, wie wir gemeinsam zu einer Leistung kommen.
(Das Interview führte Mario Wasserfaller / APA-Science)